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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kirche der Wüste; Kirchen; Kirchenaccente; Kirchenälteste; Kirchenamt; Kirchenärar; Kirchenbann; Kirchenbaukunst

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Kirche der Wüste - Kirchenbaukunst.

satz zu dem je länger, desto ausschließlicher römisch gewordenen, von dem Geiste des Jesuitismus und vielfach auch von seinen Händen geleiteten Katholizismus, bez. Ultramontanismus. In theologischer Beziehung dagegen hat sich protestantischerseits wenigstens in der offiziellen Kirchlichkeit als Gegenschlag auf Aufklärung und Rationalismus, Revolution und Radikalismus zunächst unter den Auspizien der romantischen Geistesströmung und der auf die Napoleonische Ära folgenden Restaurationspolitik eine so weit gehende Rückbewegung vollzogen, daß die Lebensbedingungen beider Richtungen, der ultramontan-katholischen und der orthodox-protestantischen, vielfach dieselben geworden sind. Die nämliche Staatsräson begünstigte beide zugleich; dieselben einflußreichen Persönlichkeiten halfen beiden immer wieder auf, so oft auch Geschichte und Naturwissenschaften das Todesurteil über sie gesprochen haben mochten; dieselbe Trägheit und Stumpfheit der großen Massen ist es, worauf beide ihr Machtgefühl, ihre Siegesgewißheit, ihre Verachtung aller der mannigfachen Mächte gründen, die ihnen im geschulten und gebildeten Bewußtsein der Zeit unversöhnlich gegenüberstehen. Aber unter letztern Mächten ist eine, welche schon jetzt der K. den Rang im Herzen der Völker streitig macht und ihr vielleicht auch auf die Dauer gewachsen bleiben dürfte: es ist der Drang nach nationaler Selbständigkeit, wie er seit der Losreißung Nordamerikas, seit der französischen Revolution, seit der italienischen und deutschen Staatenbildung zum Mittelpunkt aller Weltereignisse, zur Signatur der neuern Zeit geworden ist. Als eine der mächtigsten Wirkungen dieses Zuges der Zeit berührt die Auflösung des Kirchenstaats (1870) unsre unmittelbare Gegenwart. Aber auch der französische Klerus wird auf die Dauer seines Gallikanismus (s. d.) nicht vergessen bleiben können, und in Deutschland wird sich trotz alles guten Willens, sie zurückzudrängen, immer wieder aufs neue die Frage stellen, wer Herr ist - Kaiser oder Papst.

Eine Gefahr von ganz andrer Art wieder hat die K. in jener unsichtbaren Macht vor sich, welche die verselbständigte, dem religiösen Gängelband angeblich oder wirklich entwachsene Sittlichkeit der modernen Menschheit, das mehr künstlerisch und wissenschaftlich als religiös gesättigte Kulturleben der Gegenwart, die alle Dogmatik im Grundsatz verwerfende neuere Philosophie und moderne Weltanschauung, der historische Sinn unsrer Zeit, der das Christentum im Zusammenhang mit der allgemeinen Geistesentwickelung des Geschlechts und nach Analogie andrer Weltreligionen zu verstehen sucht, konstituieren. Thatsächlich wird die von Strauß aufgeworfene Frage: "Sind wir noch Christen?" von vielen Tausenden, welche sich äußerlich zur K. halten, mit nein beantwortet, und ebenso sind ihrer Tausende, welche die Frage zwar aufrichtig bejahen, aber doch der Meinung sind, das Christentum werde die K. überleben, die K. des 18. und 19. Jahrh. sei nur noch der Mond, nicht mehr die Sonne, und zwar der Mond im abnehmenden Licht; sie müsse allmählich einige ihrer Funktionen an die staatliche, andre an die künstlerische Gemeinschaft übergeben etc. Wenn solche Stimmen recht behalten sollten, so ständen wir jetzt so ziemlich vor dem Ende der lebendigen Kirchengeschichte; künftige Jahrhunderte würden nur noch Verwesungsgeruch empfinden, wo frühere erquickenden Lebensduft atmeten. Zieht man jedoch diejenigen Triebe und Instinkte in Betracht, welche die ungeheure Mehrheit auch der zivilisierten Menschheit als zugkräftig empfindet, von welchen sie sich thatsächlich bestimmen läßt, so erscheinen derartige Fragen wenigstens für jedwede für uns absehbare Zukunft doch nur fast als rein akademische Erörterungen. Die Zeiten des "Kulturkampfes", zumal des beendeten, sind jedenfalls solche, die noch ganz und voll in die Kirchengeschichte hineingehören und ebenso reichlichen wie ernsthaften Anlaß bieten, diese Kirchengeschichte, welche das Verständnis der Gegenwart eröffnet, sich recht genau anzusehen und ihre Weisungen verstehen zu lernen.

Kirche der Wüste heißt nach Offenb. 12, 6 die reformierte Kirche Frankreichs von der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 bis zur Gewährung bürgerlicher Existenz 1787, weil in dieser Schreckensperiode ihre Geistlichen (pasteurs du désert) nur heimlich und unter steter Todesgefahr Gottesdienst und Seelsorge üben konnten. Ähnlich hieß Kirche unter dem Kreuz die reformierte Kirche in Holland und am Niederrhein, solange sie sich unter dem Drucke katholischer Landesregierungen befand.

Kirchen, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Koblenz, Kreis Altenkirchen, an der Sieg und der Linie Hagen-Betzdorf der Preußischen Staatsbahn, hat eine katholische und eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, eine Oberförsterei, Eisenerzgruben, mehrere Hochöfen, ein Feinblechwalzwerk, eine Lokomobilenfabrik, Kunstwollspinnerei, eine Holzstofffabrik, Dampf- und Wassermühlen und (1885) 1225 Einw.

Kirchenaccente, s. Accentus ecclesiastici.

Kirchenälteste, s. Presbyter.

Kirchenamt, amtliche Stellung im Kirchendienst; in der protestantischen Kirche auch die amtliche Bezeichnung von Kirchenaufsichtsbehörden.

Kirchenärar (Kirchenfabrik, Fabrica ecclesiae), das Vermögen der Kirche, welches zur Bestreitung der gottesdienstlichen Bedürfnisse und für die Unterhaltung der Kirchengebäude bestimmt ist; s. Kirchenvermögen.

Kirchenbann, s. Bann.

Kirchenbaukunst. Die Christen hielten ihre ersten gottesdienstlichen Versammlungen in dem Tempel zu Jerusalem und in den Synagogen, nach dem Beginn der Christenverfolgungen in Privathäusern, Begräbnisstätten (s. Katakomben) und an andern entlegenen Orten ab. Die ersten Nachrichten über eigens erbaute christliche Kirchen datieren aus dem 3. Jahrh., wo man in Rom dergleichen bereits 40 zählte, die im sogen. Basilikenstil (s. Basilika) erbaut waren. Von ihnen nahmen besonders die Kirchen des Abendlandes Form und Einrichtung an, während die von Justinian erbaute Sophienkirche in Konstantinopel den christlichen Kirchen des Morgenlandes zum Vorbild diente. Die oblonge Form der Basilika blieb auch in den christlichen Kirchen des romanischen, gotischen und Renaissancestils die vorherrschende, während die zentrale Form des byzantinischen Baustils den Grundtypus auch der Moscheen bildete. Die seit dem 4. Jahrh. geltenden, dem Vorhof, Heiligen und Allerheiligsten des jüdischen Tempels entsprechenden drei Hauptteile einer Kirche sind: die für den Aufenthalt der Katechumenen und Büßenden bestimmte Vorhalle nebst Brunnenhof und den zur Vornahme von Taufen sowie zur Aufbewahrung der heiligen Gerätschaften bestimmten Nebengebäuden (Baptisterien und Sakristeien), das für das versammelte Volk bestimmte, meist die Kanzel und die seit dem 9. Jahrh. in Aufnahme gekommene Orgel enthaltende Schiff und das von ihm durch Schranken (cancelli) getrennte Chor mit den meist erhöhten Räumen zur