Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nowgorod

272

Nowgorod (Gouvernement und Stadt).

umfaßt 122,337 qkm (2221,75 QM.) und wird von der Alaunischen Hochebene durchzogen, welche sich im S. zum Waldaigebirge (313 m) erhebt, die Wasserscheide zwischen dem Baltischen und dem Kaspischen Meer bildend, während sie im W. zum Ilmensee (32 m ü. M.) abfällt und gegen Norden in bodenlose, oft über 1000 qkm große Sümpfe übergeht, die fast ein Sechstel des Areals bedecken. Bewässert wird N. von 3216 Seen (darunter der Ilmen, der Bjelo Osero und der Woshe) und einer Menge von Flüssen, von denen die wichtigsten sind: Scheksna, Mologa, Tschagodoschtscha und Kowsha (zum Wolgasystem), Wolchow und Sjaß (zum Ladogasystem) und Msta und Lowatj (zum Ilmensee gehörig). Wichtiger noch für die Schiffahrt sind die Kanalsysteme: das Wischni-Wolotschokische, das Mariensche und das Tichwinsche, sowie der Kanal des Herzogs Alexander von Württemberg. In geognostischer Hinsicht gehört der westliche Teil der devonischen Formation an, während Steinkohlenformationen den östlichen Teil einnehmen. Die Trias- und permische Formation treten nur im äußersten Osten auf. Die ältern Formationen sind überall ziemlich hoch von Diluvium überdeckt. Das Klima ist rauh, der Winter lang; die mittlere Jahrestemperatur beträgt 3,8° C., dabei sind Fröste von -36° C. im Winter und Hitze von 36° C. im Sommer nichts Ungewöhnliches. Die Bevölkerung betrug 1883: 1,144,852 Seelen, 9 auf 1 qkm. Sie besteht (mit Ausnahme von etwa 26,000 Karelen, 7000 Tschuden, 4000 Deutschen, einigen Juden und Zigeunern) aus Großrussen, die zur griechisch-orthodoxen Kirche gehören. Die Zahl der Eheschließungen war 1883: 8899, der Gebornen 51,925, der Gestorbenen 42,325. Das Areal setzt sich zusammen aus 49,3 Proz. Wald, 21,7 Proz. Unland, 16,4 Proz. Wiesen und Weiden und nur 12,6 Proz. Ackerland. Der Ackerbau deckt den innern Bedarf an Roggen, Hafer und Gerste. Die Ernte betrug 1884: 2⅚ Mill. hl Roggen, 3,1 Mill. hl Hafer, 175,000 hl Gerste, 1 Mill. hl Kartoffeln. Eingeführt werden: Weizen, Buchweizen, Erbsen und Hirse. Die Viehzucht, ausgenommen vielleicht die Rindviehzucht, ist unzureichend. Man zählte 1883: 401,431 Stück Rindvieh, 226,481 Schafe, 66,923 Pferde, 4871 Schweine. Der Waldreichtum (große Föhren-, Tannen- und Birkenwälder bedecken drei Fünftel des Landes) sowie die Moräste bedingen eine gute Jagd. Das Mineralreich liefert Sumpfeisen, Kalkstein, Lehm, Steinkohlen (doch stark mit Schwefelkies untermischt), Kupfer am Wolchow und etwas Silber an der Suda (Kreis Bjelosersk); auch gibt es viele Mineralquellen, namentlich in Staraja Russa (s. d.). Ein großer Teil der Bevölkerung verläßt jährlich auf einige Monate das Gouvernement, um in Petersburg und den angrenzenden Provinzen Arbeit zu suchen. Von den ca. 100 Jahrmärkten des Gouvernements sind nur der beim Kloster Kirilo-Nowojesersk, der in Staraja Russa und der in Tscherepowez nennenswert. Der Handel ist nicht unbedeutend, namentlich mit Holz, außerdem mit Getreide, Metall und Salz aus den Wolgagouvernements und mit Manufaktur- und Galanteriewaren, Droguen etc. aus Petersburg. Die Industrie ist im Steigen begriffen. Sie repräsentiert (1884) in 300 Fabriken mit 7237 Arbeitern einen Wert von 8,322,000 Rubel, hauptsächlich Getreidemüllerei, Schnapsfabrikation, Holzsägerei, Schreibpapierfabrikation, Zündhölzchenfabrikation, Glas- und Porzellanindustrie, Branntweinbrennerei, Bierbrauerei und Leinweberei. An Lehranstalten bestehen 19 Mittelschulen mit 2551 Schülern, 524 Elementarschulen mit 25,578 Lernenden und 5 Fachschulen (ein Priester-, 2 Lehrerseminare und 2 Handwerkerschulen). Administrativ zerfällt N. in elf Kreise: Bjelosersk; Borowitschi, Demjansk, Kirilow, Krestzy, N., Staraja Russa, Tichwin, Tscherepowez, Ustjushna, Waldai.

Die Hauptstadt N. (Nowgorod Weliki) liegt am Ausfluß des Wolchow aus dem Ilmensee (dadurch oft von Überschwemmungen heimgesucht), durch Zweigbahn mit der Linie Petersburg-Moskau verbunden, und zerfällt in zwei Hauptteile: die Sofiiskaja Storona mit dem Kreml am linken und die mit ihr durch eine Brücke verbundene Torgowaja Storona ("Handelsseite") am rechten Wolchowufer. N., im Mittelalter (s. unten) eine bedeutende Handelsstadt, bietet heute nur einen schwachen Abglanz ihrer frühern Herrlichkeit. Von den Hunderten von Kirchen und Klöstern, deren einige jetzt 5-7 km von der Stadt entfernt liegen, hat es nur noch wenige aufzuweisen; die wertvollste ist die Sophienkathedrale im Kreml, ursprünglich 989 aus Holz erbaut und nach einem Brand 1045 nach dem Muster der Sophienkirche zu Konstantinopel in Stein ausgeführt. Dieselbe beherbergt die Überreste verschiedener Heiligen, ein wunderthätiges Christusbild aus der Mitte des 11. Jahrh., interessante Reliquien früherer Zaren und Metropoliten, ein chaldäisches Lesepult (Altar) u. a. Beachtenswert sind ferner die berühmten, 1152-1156 von einem deutschen Künstler gearbeiteten Korssunschen sowie die schwedischen oder Sigtunschen Bronzepforten (angeblich im 12. Jahrh. aus der schwedischen Stadt Sigtuna hergebracht). Das Innere der Kathedrale macht mit seinen in mystisches Halbdunkel gehüllten, unförmlichen Pfeilern, Kapellen, Sarkophagen etc. einen ernsten, fast unheimlichen Eindruck. Denkmäler früherer Größe sind ferner: die den Kreml umgebende mächtige Ringmauer, die Nikolaikirche (1135), die Nikolo Dworischtschski-Kathedrale (1113), neben ihr die Paraskewy Pjätniza-Kirche (1156) sowie die 14 Klöster, darunter das 1106 zuerst erwähnte des heil. Antonius mit Seminar, das 1030 gegründete und mit orientalische Pracht ausgestattete Jurjewsche (3 km von N.) und das Nonnenkloster zum Heiligen Geist; ferner besitzt N. 36 Kirchen (ohne die Klosterkirche), ein Kaufhaus und 2 Denkmäler (zur Erinnerung an das Kriegsjahr 1812 und zur Feier des 1000jährigen Bestehens des russischen Reichs, letzteres von Mikjeschin). Die Einwohnerzahl betrug 1882: 20,599 Seelen. Die Industrie ist ganz unbedeutend, etwas reger der Handel, namentlich mit Getreide, Holz, Heu, Eisen und Salz. An Anstalten sind vorhanden: ein Gymnasium für Knaben und eins für Mädchen, eine Realschule mit pädagogischer Abteilung, ein Lehrerseminar, ein Irrenhaus, ein Theater, 4 Buchhandlungen, 2 Bankanstalten. - N., eine der ersten Ansiedelungen der Waräger, erscheint schon im 9. Jahrh. als bedeutende Stadt und wurde um 864 von Rurik (s. d.) zur Residenz gewählt. Wegen seiner günstigen geographischen Lage, die einerseits vor den verheerenden Zügen der asiatischen Völker schützte, anderseits aber sich durch die Wasserverbindung mit dem Finnischen Meerbusen in beständiger Berührung mit der germanischen Kultur erhielt, erblühte N. bald zu einer mächtigen Handelsstadt. Schon im 12. Jahrh. hatten deutsche und skandinavische Kaufleute von Wisby hier Handelsfaktoreien eingerichtet, welche, als der deutsche Hansabund erstarkte, N. zum wichtigsten Marktplatz des Nordostens und zur Hauptquelle des Reichtums für die Hanseaten machten. Russisches Leder, Felle, Wachs, Talg, Hanf, Flachs, Daunen waren gesuchte Produkte, gegen welche deutsche Leinen-, Woll- und