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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Ostsibirien; Ostsibirisches Küstengebiet; Ostspitzbergisches Meer; Oststernberg; Ostturkestan

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Ostsibirien – Ostturkestan

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Ostseeprovinzen'

seminare, die bisher unter dem Minister des Innern standen, dem Ministerium der Volksaufklärung unterstellt. Zweck der Maßregel war, diese Schulen, die bisher von einem Organe der provinziellen Selbstverwaltung, der Oberlandschulbehörde, organisiert und verwaltet worden waren, diesem Einflusse durch Unterordnung unter die Aufsicht des Kurators zu entziehen. Mehrere Jahre hindurch blieb trotzdem der bisherige Zustand der Landschulen im ganzen bestehen. 1890 jedoch begann der Kurator mit der Verdrängung der lettischen und esthnischen Schulsprache durch die russische Ernst zu machen.

Die Behörden unterlagen der Russifizierung in gleicher Weise. Am 14. Sept. 1885 ordnete ein kaiserl. Ukas für alle Staats- und solche Wahlbehörden, in denen die Regierung auch nur durch einen Beamten vertreten ist, die russ. Geschäftsführung, für alle reinen Wahlbehörden die russ. Korrespondenz an. Dadurch wurden die deutschen Beamten zum großen Teil aus den Behörden verdrängt. Durch Ukas vom Dez. 1889 wurde dann für alle städtischen Behörden und für die Verhandlungen der Stadtverordnetenversammlungen der ausschließliche Gebrauch der russ. Sprache angeordnet und diese für Riga, Reval und Mitau sofort in Kraft gesetzt. Eine große Zahl städtischer Beamter sah sich wegen mangelnder Sprachkenntnis gezwungen, ihre Ämter niederzulegen. Um das gebildete deutsche Element aus den Stadtverwaltungen zu verdrängen, wurde 1889 den sog. Litteraten, d.h. allen Personen mit akademischer Bildung, das Recht, sich durch Zahlung einer Litteratensteuer das aktive und passive Gemeindewahlrecht zu erwerben, entzogen.

Die größte Verwirrung richtete anfänglich die Durchführung der Justizreform an. Schon im Herbst 1888 war dieselbe durch Einsetzung einer Reichspolizei an Stelle der von den Selbstverwaltungsorganen des Landes bisher ernannten Landpolizei eingeleitet worden. 1889 erfolgte die Einführung der neuen Gerichtsorganisation nach russ. Muster. An die Stelle der Gerichte des alten Rates in den Städten traten Bezirksgerichte, an die Stelle der ländlichen Kirchspielsgerichte von der Regierung ernannte Friedensrichter. Die jurist. Beamtenstellen wurden ausschließlich mit Russen aus dem Innern des Reichs besetzt, die die Lebens- und Rechtsgewohnheiten in den O. nicht kannten und sich wegen Unkenntnis der Landessprache mit den Rechtsuchenden nicht verständigen konnten. Die Gerichtssprache ist die russische, die von Klägern, Zeugen und Angeklagten meist nicht verstanden wird.

Während diese Maßregeln schonungslos durchgeführt werden, bereitet die Regierung die völlige Aufhebung der balt. Selbstverwaltung vor. Ein vom Reichsrat im März 1890 gutgeheißenes Projekt plant die Beseitigung der Landtage und aller Landesbehörden, die aus der Wahl des Landtages hervorgegangen sind. Die Landesverwaltung soll an eine Regierungskommission unter Vorsitz des Gouverneurs übertragen werden, die auch die Höhe der Landessteuern festsetzen soll. Aus dem jetzt landtagsberechtigten Adel soll eine von der Landesverwaltung völlig losgelöste Adelsversammlung gebildet werden. Ein anderes Projekt erstrebt die Beseitigung der städtischen Selbstverwaltung.

Vgl. außer der Litteratur über Esthland, Kurland und Livland A. von Richter, Geschichte der deutschen O. bis zur Einverleibung mit Rußland von 1158 bis 1721 (5 Bde., Riga 1857–58); Arbusow, ↔ Grundriß der Geschichte Liv-, Esth- und Kurlandes (Mitau 1890): Eckardt, Die balt. Provinzen Rußlands (2. Aufl., Lpz. 1869); Fünfzig Jahre russ. Verwaltung in den deutschen O. im 19. Jahrh, (ebd. 1883); J. von Dorneth, Zur Russifizierung der O. (ebd. 1887); Die Vergewaltigung der russischen O. (Berl. 1886); Ein deutsches Land in Gefahr (ebd. 1886); Russ.-balt. Blätter (Heft 1–4, Lpz. 1886–88); Rechtskraft und Rechtsbruch der liv- und esthländ. Privilegien (ebd. 1887); Deutsch-prot. Kämpfe in den balt. Provinzen Rußlands (ebd. 1888); Ein verlassener Bruderstamm (Berl. 1889 u.ö.); Seraphim, Geschichte Liv-, Esth- und Kurlands (2 Bde., Reval 1895–96).

Ostsibirien, früheres russ.-asiat. Generalgouvernement, das die Gouvernements Jenisseisk, Irkutsk und die Gebiete Jakutsk, Transbaikalien, Amur und das Küstengebiet umfaßte. Es wurde 1888 in die Generalgouvernements Irkutsk und Amur umgewandelt. Geographisch bildet das Gouvernement Jenisseisk nur den Übergang zu O.

Ostsibirisches Küstengebiet, s. Küstengebiet.

Ostspitzbergisches Meer, s. Barentssee.

Oststernberg, Kreis im preuß. Reg.-Bez. Frankfurt, hat 1102,63 qkm und 1890: 50449, 1895: 51151 (25297 männl., 25854 weibl.) E., 5 Städte, 74 Landgemeinden und 33 Gutsbezirke. Sitz des Landratsamtes ist Zielenzig.

Ostturkestan, zum größern Teile auch nach dem Hauptfluß Tarimbecken genannt, früher oft als Hohe Tatarei, Hohe oder Kleine Bucharei bezeichnet, das Gebiet, das im E. durch den Kuen-lun (s. d.) von Tibet, im W. durch das Hochland von Pamir von Westturkestan, im N. durch den Thian-schan (s. d.) von der Dsungarei (s. d.) getrennt ist und im O. in die Wüste Gobi übergeht. (S. Karte: Innerasien, Bd. 1, S. 982.) Die Chinesen, denen O. seit 1758 unterworfen ist, nennen es Thian-schan-nan-lu, Statthalterschaft im Süden des Himmelsgebirges; seit 1885 bildet es einen Teil der Provinz Sin-kiang. Auf drei Seiten von mächtigen Gebirgen eingeschlossen, bildet das Innere eine Hochebene von etwa 1100 m mittlerer Höhe. Die Mitte nimmt das Thal des Tarim und seiner drei Quellflüsse ein. An der tiefsten Stelle des Tarimbeckens befindet sich der Lob-nor. In dem auch teilweise von Türken bewohnten Gebiete von Turfan senkt sich der Boden bis unter den Meeresspiegel. Die Ebene des Tarim ist großenteils für Anbau und Viehweiden untauglich, wüstenartig. Dagegen ist das Land am Gebirgssaum fruchtbar und gut angebaut; jedoch muß man oft künstliche Bewässerung durch sog. kariz, oder von oben nach unten an Tiefe abnehmende Wasserbehälter an den Abhängen zu Hilfe nehmen. Das Klima gestattet den Anbau der meisten südeurop. Getreidearten, Garten- und Baumfrüchte, auch der Baumwolle und Maulbeerbäume zur Seidenzucht. Alle Haustiere sind im Überfluß vorhanden. Auf den Bergen und an den Sümpfen giebt es Bären, Wölfe, Tiger, Schakale, Luchse, Hirsche, in der Wüste Kum-tagh, östlich vom Lob-nor, wilde Kamele. Gold, Kupfer und Eisen wird weniger gewonnen als Salmiak, Salpeter, Schwefel und Asbest. Die Einwohner sind, abgesehen von den nomadisierenden Kirgisen und Mongolen, von Chinesen oder Mandschu und Sarten in den Städten sowie arischen Schiiten (Sarikel), vorzugsweise sunnitische Türken, worunter auch eingewanderte Usbeken (Ösbegen). Außer dem Feldbau, der Viehzucht und

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 770.