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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Phraortes; Phrase; Phraseolŏgie; Phrasierung; Phrasĭkles; Phratrĭen; Phrenălgie; Phrenĕsie; Phrenolŏgie

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Phraortes – Phrenologie

am Rande stehender Gewässer oder auf sumpfigen Wiesen häufige gemeine Schilfrohr, Teichrohr, Ried oder Schilf (P. communis Trin.), das auf der Spitze des Halms eine große, vielästige, rotbraune oder gelbliche, durch lange, seidenartige Haare silberglänzende Rispe trägt. Die 1,25 bis 5,10 m langen Halme werden zum Berohren der Wände und Decken, zu Weberlädchen in Weberschützen, zu Schattendecken, zur Feuerung und auch zur Streu für das Vieh verwendet. Die Blätter eignen sich nur ganz jung zum Futter, die großen Rispen getrocknet sehr gut zu Bouquets.

Phraortes (med. Pirruvartis; altpers. Fravartis) König von Medien (646‒625 v. Chr.), folgte seinem Vater Deïokes und machte sich unabhängig von Assyrien; er fiel im Kampf gegen Ninive.

Phrase (grch.), Redewendung, Redensart, oft mit dem Nebenbegriff des Leeren, Nichtssagenden, nicht ernst Gemeinten.

Phraseolŏgie (grch.), die Lehre von den eigentümlichen Redewendungen oder Phrasen einer Sprache, auch deren Sammlung.

Phrasierung, in der Musik die Kunst, die grammatische Einteilung eines Tonstücks beim Vortrag zum Ausdruck zu bringen. Sie setzt beim Spieler, Sänger oder Dirigenten eine klare Erkenntnis des Formenbaues voraus und wird hauptsächlich durch richtige Accentuierung und lebendige elastische Dynamik vermittelt. Die ältern Komponisten überließen es der Bildung der ausführenden Musiker fast vollständig, die richtige P. zu finden; erst vom 17. Jahrh. ab kamen sie durch Zeichen (Bogen, Punkte) zu Hilfe, am sorgsamsten die Franzosen. Die Theorie der P., schon im 18. Jahrh. durch die Werke von Ph. Em. Bach, Türck, L. Mozart u. a. berücksichtigt, ist in neuerer Zeit sehr eifrig ausgebaut worden durch Lussy, die Stuttgarter Schule (Lebert, Stark), H. von Bülow, Germer und Riemann.

Phrasĭkles, Philologe, s. Franz, Johs.

Phratrĭen (grch., «Bruderschaften»), im alten Athen Name der großen Unterabteilungen der alten vier Geschlechtsphylen, in die die Bürgerschaft in ältester Zeit zerfiel. Jede Phyle hatte drei P., jede Phratrie 30 Geschlechter, die ihre Abkunft von einem Stammvater herleiteten, gemeinsame Kulte und Opfer besaßen. Als Kleisthenes (s. d.) Ende des 6. Jahrh. v. Chr. den Geschlechterstaat brach und zehn polit. Phylen einrichtete, die sich wieder in Demen gliederten, behielt er doch die P. als eine Art von Kirchsprengel bei und erhöhte ihre Zahl wahrscheinlich von 12 auf 30. Die Phratrie hatte ihre Opfer, Versammlungen, ihr Vermögen, ihre Vorsteher (Phratriarchen), Priester. Jährlich wurden in ihr am Fest der Apaturien (s. d.) die in dem vorausgehenden Jahre geborenen Bürgerkinder in die Phratrie eingetragen und damit bürgerlich legitimiert.

Phrenălgie (grch.), neuralgischer Schmerz des Zwerchfells; Phrenĕsie, ältere Bezeichnung für die Gehirnentzündung oder tobsüchtige Formen der Geistesstörung; Phrenītis, die Entzündung des Zwerchfells.

Phrenĕsie (grch.), ältere Bezeichnung für Geistesstörungen und Gehirnentzündungen, die mit Delirien verbunden sind; danach phrenētisch (frenetisch), unsinnig, toll, rasend.

Phrenolŏgie (vom grch. phrēn, Zwerchfell, dann Geist, Sinn), die von Gall (s. d.) in die Wissenschaft eingeführte Vergleichung der geistigen Kräfte der Tiere und Menschen mit deren Schädelformen (daher Schädellehre, Kranioskopie oder Kraniologie). Dieselbe bezweckt eine wissenschaftliche und diagnostische Feststellung der Funktionen des Gehirns, gegründet einerseits auf genaues Studium der Anthropologie sowie sorgfältige Beobachtung der Menschen und Tiere in ihren verschiedenen Situationen, andererseits auf genaues Studium der Hirn- und Schädelformen, auf anatom.-physiol. Untersuchungen des Gehirns von Tieren und Menschen sowohl Gesunder wie Kranker. Die Hauptlehren der P. sind folgende: Das Organ des Geistes, ohne welches eine Äußerung geistiger Thätigkeit nicht stattfinden kann, ist das Gehirn. Dieses erzeugt jedoch die Äußerungen geistiger Thätigkeit nicht als ein einziges, mit all seinen Teilen allemal vereint wirkendes Organ, sondern als eine zu einem Organ verbundene Mehrheit von Organen, welche verschiedenen geistigen Fähigkeiten als Substrat dienen. Die geistigen Fähigkeiten treten hervor, nehmen zu oder werden geringer, je nachdem die sie vertretenden Hirnteile sich entwickeln, vergrößern oder verkleinern. Die P. behauptet hiernach, daß die Energie eines Seelenvermögens (z. B. der Kindesliebe, des Eigentums- oder des Bekämpfungstriebes) in gleichem Verhältnisse zu der räumlichen Entwicklung der betreffenden Hirnpartien stehe, daß die letztern (die sog. Organe) durch ihre Größe aus die äußere Form der Schädelknochen wirken, und daß man insbesondere an gewissen Erhabenheiten (Hervorragungen, Buckeln) oder Vertiefungen der Schädeldecke das Vorhandensein oder Mangeln gewisser Seelenvermögen (gewisser geistiger Anlagen oder Grundkräfte des Geistes) unterscheiden könne. Solcher Grundkräfte nebst dazugehörigen Hirn- oder Schädelpartien unterscheidet die P. einige 30, wobei sie die Möglichkeit gestattet, daß noch mehr existieren.

Ein unbefangener Blick auf diese Lehren zeigt, wie in diesen Sätzen einiges Wahre und Wahrscheinliche mit viel Willkürlichem und Unerwiesenem vermischt ist. Der Grundgedanke, die Lokalisation der einzelnen Hirnfähigkeiten zu suchen, entspricht vollkommen den Bestrebungen, ja zum Teil den Ergebnissen der exakten Physiologie. Diese unterscheidet gegenwärtig eine Anzahl innerer Sinnesorgane (Sehsphäre, Hörsphäre, Riechsphäre u. s. w.) in der Hirnrinde und daneben vier große Gebiete, welche (nach Flechsig) dem Gedächtnis, der Verknüpfung, Zusammenordnung von Sinneseindrücken dienen, so daß im ganzen neun verschiedenwertige Provinzen die Großhirnoberfläche zusammensetzen. Von Gall ist annähernd richtig nur ein Vermögen lokalisiert worden, nämlich das der artikulierten Sprache, welche nach den Untersuchungen von Broca und andern in der linken dritten Stirnwindung des Gehirns, also in der linken Schläfengegend ihren Sitz hat, wohin Gall es verlegte. Alle übrigen Lokalisationen der P. sind reine Phantasmagorien. Am wenigsten steht der Satz fest, daß gewisse Schädelerhöhungen bestimmten geistigen Anlagen entsprechen, schon um deswillen nicht, weil die äußern Schädelkonturen den innern Hirnkonturen durchaus nicht entsprechen. Die alte P. hat jetzt trotz mancher begeisterter Apostel, wozu in neuerer Zeit namentlich Scheve gehörte, nur wenig Anhänger mehr. Früher wurde sie in Deutschland lebhafter betrieben, namentlich durch Noël, durch den Anatomen Seiler, durch Hirschfeld, Struve u. a. m.

Vgl. außer den Schriften von Gall, Spurzheim, Combe, Chenevix, Broussais, Carus, Dimont, Noël