Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Saint-Simonismus; Saint-Symphorien; Saint Thomas; Saint Thomas Mount; Saint-Trond; Saint-Tropez

202

Saint-Simonismus - Saint-Tropez.

sich 1801 mit einem Fräulein von Champgrand und stürzte sich während seiner Ehe in den Strudel des geselligen Verkehrs und der Sinnenlust. Nach einem Jahr gab er dies Leben auf und trennte sich von seiner Frau. Sein Vermögen hatte er verbraucht. Er betrachtete jetzt die experimentelle Lehrperiode seines Lebens als abgeschlossen und wollte nun die Ergebnisse seiner Studien und Erfahrungen der Welt verkünden. 1802 erschien seine erste Schrift: "Lettres d'un habitant de Genève à ses contemporains", in welcher er versuchte, das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft wissenschaftlich zu erfassen und eine Reform desselben sowie eine neue Gesellschaftswissenschaft und neue Religion zu begründen; aber seine unklaren und phantastischen Ausführungen fanden keine Beachtung. Abgeschlossen von der Welt, vertiefte sich S. von neuem in das Studium der verschiedensten Wissenschaften; die ihn beherrschende fixe Idee war, eine Reform der Gesellschaft durch eine Reform der Wissenschaften herbeizuführen; seine Gedanken darüber entwickelte er 1808-11 in einer Reihe von Schriften: "Introduction aux travaux scientifiques du XIX. siècle" (1808, 2 Bde), "Lettres au bureau des longitudes" (1808), "Nouvelle Encyclopédie" (1810), "Mémoire sur l'Encyclopédie" (1810), "Mémoire sur la science de l'homme" (1811), "Mémoire sur la gravitation" (1811); aber auch sie teilten durch ihren unklaren, phantastischen und abstrakten Inhalt das Schicksal der ersten. S. geriet in dieser Zeit in die bitterste Not und sah sich gezwungen, zur Fristung seiner Existenz eine Kopistenstelle in einem Leihgeschäft (mont de piété) mit einem Gehalt von 1000 Fr. anzunehmen. In ihr blieb er aber nur sechs Monate; die übermäßige Anstrengung, da er nebenher seine wissenschaftlichen Arbeiten fortsetzte, hatte seine Gesundheit untergraben. In diesem Zustand fand ihn einer seiner frühern Diener, Diard, und nahm ihn in sein Haus. Derselbe starb aber nach zwei Jahren, und S. fristete nun kümmerlich seine Existenz durch Unterstützungen, die er sich erbetteln mußte. 1814 erschien eine neue Schrift: "Réorganisation de la société européenne". In ihr und zahlreichen andern, die in den nächsten Jahren erschienen, geht S. direkt auf die soziale Frage ein, betont hier den Klassengegensatz von Arbeitgebern und Arbeitern, von Kapital und Arbeit, die ungerechte Verteilung, die falsche Eigentumsordnung, das Recht der arbeitenden Klassen auf eine neue Organisation der Produktion etc. Wegen einer dieser Schriften: "L'organisateur" (1819), in welcher er in einem Artikel, "Parabole politique", die Frage aufwarf, ob es für Frankreich nachteiliger sein würde, wenn es plötzlich die königliche Familie, den ganzen Hofstaat, den höchsten Klerus und die obersten Beamten, im ganzen die 3000 höchstgestellten Personen des Landes, oder statt ihrer 3000 Menschen, welche seine größten Gelehrten, Künstler, hervorragendsten Unternehmer und besten Arbeiter sind, verlieren würde, und sich für das letztere entschieden hatte, wurde er in Anklagezustand versetzt, aber von den Geschwornen freigesprochen. Ein größeres historisches Werk: "Système industriel" (1821-22, 3 Bde.), war der Versuch einer Geschichte der Industrie, d. h. der Arbeit. Alle diese erregten jetzt aber die öffentliche Aufmerksamkeit und führten S. auch eine kleine Schar begeisterter und hervorragender Schüler zu, die später zum Teil zu großem Ansehen gelangten, wie Augustin Thierry, Auguste Comte, Saint-Aubin u. a.; indes, was S. vor allem erstrebte, die Beachtung und Anerkennung seiner Schriften durch die Männer der Wissenschaft, fand er nicht. Dazu war seine materielle Lage eine außerordentlich kümmerliche. Ihn ergriff die Verzweiflung, und im März 1823 machte er einen Selbstmordversuch. Der Schuß traf ihn aber nicht tödlich, sondern zerstörte nur einen Teil des Gesichts und ein Auge. S. lebte noch zwei Jahre, vergöttert von seinen Schülern, deren Zahl zunahm, und schrieb noch in voller geistiger Kraft außer einem Werk: "Opinions littéraires, philosophiques et industrielles" (1825), die beiden Hauptwerke seines Lebens: "Catéchisme des industriels" (1823) und "Nouveau Christianisme" (1825), in welchen er die sozialistischen Ideen, nach denen er sein ganzes Leben gerungen, entwickelte, die dann nach seinem Tod seine Schüler zu dem sozialistischen System, dem Saint-Simonismus, ausbildeten (s. Sozialismus). In jenem Werk wird die Arbeiterfrage als das soziale Problem der Gegenwart, ihre Lösung als die eigentliche Aufgabe der Gesellschaft hingestellt und der Weg zu ihrer Lösung nach den sozialistischen Ansichten Saint-Simons gezeigt. Das zweite Werk behandelt die religiöse Reform der Gesellschaft durch ein neues Christentum der werkthätigen Bruderliebe. S. starb 19. Mai 1825. Nach seinem Tod bildeten seine Schüler, zu denen unter andern auch Péreire, Rodriguez, M. Chevalier, Léon Halévy, J. B. ^[Jean-Baptiste] Duvergier, Bailly gehörten, unter der Führung von Bazard (s. d.) und Enfantin (s. d.) als Saint-Simonisten die erste sozialistische Schule, die von 1825 bis 1832 die neue sozialistische Lehre in weitern Kreisen mit Erfolg verbreitete. Saint-Simons Werke wurden zuletzt mit denen Enfantins herausgegeben (Par. 1865-74, 36 Bde.), eine Auswahl erschien 1859-61 in 3 Bänden. Vgl. L. Reybaud, Études sur les réformateurs contemporains (7. Aufl., Par. 1864); L. Stein, Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich (Leipz. 1842), Derselbe, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (das. 1850, 3 Bde.); Hubbard, S., sa vie et ses travaux (Par. 1857).

Saint-Simonismus, s. Saint-Simon 2) und Sozialismus.

Saint-Symphorien (spr. ssäng-ssängforĭäng, S. de Lay), Stadt im franz. Departement Loire, Arrondissement Roanne, am Gand, mit Baumwollweberei und (1881) 881 Einw.

Saint Thomas (spr. ssent), Stadt in der britisch-amerikan. Provinz Ontario, am Kettle Creek, der in den Eriesee mündet, hat ein Damencollege (Alma College), lebhaften Verkehr (Einfuhr 1886/87: 198,177 Doll., Ausfuhr 371,273 Doll.) und (1881) 8367 Einw.

Saint Thomas Mount (spr. maunt), Stadt im Distrikt Tschingelpat der britisch-ind. Präsidentschaft Madras, mit einer starken Garnison und mehreren Kirchen, worunter die merkwürdige alte portugiesische, welche über dem dort gefundenen Kreuz mit pehlewischer Inschrift des hier angeblich als Märtyrer gestorbenen Apostels Thomas erbaut wurde.

Saint-Trond (spr. ssäng-tróng, St. Truijen), Stadt in der belg. Provinz Limburg, Arrondissement Hasselt, Knotenpunkt an der Eisenbahn von Hasselt nach Landen, hat 11 Kirchen, ein schönes Stadthaus, einen Belfried, ein Kommunalcollège, eine höhere Knabenschule, ein geistliches Seminar, ein Lehrerseminar, Gewehr-, Spitzen-, Zucker- und Tabaksfabrikation, Bierbrauerei, Brennerei, eine Saline und (1888) 12,508 Einwohner.

Saint-Tropez (spr. ssäng-trŏpähs), Stadt im franz. Departement Var, Arrondissement Draguignan, am gleichnamigen Golf des Mittelmeers, hat einen durch ein Fort und durch Batterien geschützten, 10 Hektar