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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vorsfelde - Vorstellung

die letztere nur, um die Hoffnung auf eine mit der sittlichen Würdigkeit des Menschen in Übereinstimmung stehende Glückseligkeit festhalten zu können, die nur ein die physische und sittliche Welt zugleich ordnender Allmachtswille verwirklichen könne. Die Hegelsche Philosophie brach andererseits mit der äußerlichen Gegenüberstellung von Gott und Welt, führte aber dabei die V. auf ein rein innerweltliches Walten der absoluten Vernunft zurück, womit dem religiösen Sinne des Vorsehungsglaubens nicht Genüge geschehen konnte. Nachdem dann Schleiermacher zuerst versucht hatte, mit der Lehre von der Immanenz Gottes in der Welt ein religiöses Verhältnis des Menschen zu Gott im Sinne wirklicher Gegenseitigkeit zu vereinigen, schritt man von anderer Seite zur völligen Leugnung jeder religiösen Weltbetrachtung fort.

Die wissenschaftliche Theologie kann keinen Vorsehungsbegriff zulassen, der entweder die religiös-sittlichen oder die metaphysischen Gesichtspunkte vernachlässigt. Die gleichmäßige Geltendmachung beider führt zu einer Anschauung, wonach in allem weltlichem Dasein, dem Größten wie dem Geringsten, die schlechthin einheitliche Allwirksamkeit Gottes in der That zugegen ist, als räumlich und zeitlich aber dem menschlichen Bewußtsein nur erscheint. Das endliche Einzelsein kommt dabei als Realität dadurch zur vollen Geltung, daß die göttliche All-Wirksamkeit stets nur durch dasselbe und unter Verwertung seiner individuellen Eigenart sich in der Welt thätig erweist, so daß der thatsächliche Weltzustand immer als Ergebnis eines schlechthin simultanen Zusammenwirkens göttlicher und endlicher Ursächlichkeit zu betrachten ist. Die Vorstellung einer zeitlichen Vorausbestimmung alles Geschehens fällt damit weg. Indem alle endlichen Einzelelemente, durch die ihnen allen immanente Gesamtursache untereinander verbunden, in Wechselwirkung stehen, hat einerseits jedes von ihnen seine ganz bestimmte Funktion; andererseits ist der Gesamtsinn des ganzen Daseins durch den geistigen Charakter der einen göttlichen Gesamtursache stets als ein unendlich weiser und heilvoller gewährleistet.

Die Frage nach der Stellung des Menschen als endlicher Einzelursache können nur die Thatsachen unsers Bewußtseins beantworten. Unser religiöses Abhängigkeitsgefühl bezeugt uns, in Übereinstimmung mit unserm Denken, daß unser Wille durchweg im Dienst eines auch durch ihn sich vollziehenden allmächtigen Gesamtwillens steht. Unser Verantwortlichkeitsgefühl bezeugt andererseits, daß unser Wille als ein Vermögen spontaner Initiative in irgend welchem Grade wirklich vorhanden sein muß. Beide Aussagen vereinigen sich zu der im Christentum erreichten Anschauung, daß die volle Entbindung unserer Willenskraft innerhalb des Systems endlicher Ursächlichkeit eben der letzte Sinn der, wie die Welt überhaupt, so auch das menschliche Geistesleben durchwaltenden göttlichen Allwirksamkeit ist. – Vgl. Lotze, Mikrokosmos (4. Aufl., Lpz. 1884‒88); Lipsius, Die göttliche Weltregierung (in der 2. Sammlung der «Wissenschaftlichen Vorträge über religiöse Fragen», Frankf. a. M. 1878); Kreibig, Die Rätsel der göttlichen V. (Berl. 1886); W. Schmidt, Die göttliche V. und das Selbstleben der Welt (ebd. 1887); Beyschlag, Zur Verständigung über den christl. Vorsehungsglauben (Halle 1888).

Vorsfelde, braunschw. Flecken, s. Bd. 17.

Vorsilbe, s. Ableitung.

Vorsitzender, Präsident, Direktor, derjenige, welcher die Geschäfte eines Kollegiums, einer Behörde, einer Versammlung und die Verhandlungen leitet; im Fall der Verhinderung wird er durch einen Vicepräsidenten (stellvertretenden V.) oder das älteste Mitglied des Kollegiums vertreten. Der V. hat die Sitzungen anzuberaumen, die Abstimmung zu veranlassen (bisweilen steht ihm bei Stimmengleichheit eine Decisivstimme [s. d.] zu); er hat ferner die Beschlüsse zu verkündigen und deren Ausführungen zu veranlassen; oft hat er eine durch Gesetz oder Geschäftsordnung beschränkte Disciplinargewalt, mindestens in Form einer Ermahnung, bisweilen auch das Recht der Entziehung des Wortes, der Verhängung des Ordnungsrufs und einer Ordnungsstrafe. Der V. eines Kollegialgerichts hat insbesondere bei der mündlichen Verhandlung in Civilsachen und bei der Hauptverhandlung in Strafsachen die Handhabung der Sitzungspolizei (s. d.). Nach österr. und deutschen Gesetzen hat derselbe indes nicht die in der franz. Gesetzgebung ihm persönlich beigelegte Diskretionäre Gewalt (s. d.), sondern ist im Fall des Widerspruchs der Regel nach verpflichtet, den Beschluß des Kollegiums einzuholen. Über Leitung der Beratung und Abstimmung s. Beratung. Der V. hat eine besondere Thätigkeit beim Schwurgericht (s. d.) zu entfalten. Er hat weiter die Verhandlung vorzubereiten, in Civilprozessen oft auch nach dem Urteil noch Anordnungen zu treffen (s. Zwangsvollstreckung). Zur Sicherung unparteiischer Rechtspflege werden die V. und deren Vertreter gewöhnlich im voraus bestellt (s. Besetzung des Gerichts).

Vorspannleistung, s. Friedensleistungen und Kriegsleistungen.

Vorspelze, s. Gramineen.

Vorspiel, eine selbständige kleine dramat. Dichtung, die entweder in einer Reihe von oft allegorischen Scenen einer allgemeinen Feierlichkeit bühnenmäßigen Ausdruck giebt, oder, mit einem größern dramat. Werke eng verknüpft, eine weit zurück liegende Handlung vorführt, oder sonst auf das eigentliche Drama vorbereitete (z. B.«Wallensteins Lager»).

In der Musik heißt V. (praeludium) ein Instrumentalstück von freiern Formen, das die folgenden geschlossenen Sätze einleitet. (S. Introduktion.)

Vorspinnkrempel, Vorspinnmaschine, s. Spinnerei, Flachsspinnerei und Seide.

Vorsprung, in der Baukunst, s. Ausladung.

Vorst, Marktflecken im Kreis Kempen des preuß. Reg.-Bez. Düsseldorf, unweit der Niers, an der Nebenlinie Krefeld-Viersen der Krefelder Eisenbahn, Sitz einer Bürgermeisterei, hat (1895) 4318 E., darunter etwa 40 Evangelische und 30 Israeliten, Post, Telegraph, kath. Kirche; Fabrikation von Seidenzeug, Sammetband und Preßhefe, Mahl- und Ölmühlen.

Vorstählen, s. Verstählen.

Vorsteherdrüse, s. Prostata.

Vorstehhund, s. Hühnerhund.

Vorstellung, im weitesten Sinne ein auf etwas Gegenständliches sich beziehender Seelenvorgang. Man kann sich Gegenden, Personen, Gefühle, Absichten vorstellen. Man unterscheidet dem Sprachgebrauch gemäß zwischen dem «Vorstellen», der subjektiven Funktion, dem «Inhalt» der V. und ihrem «Gegenstand». Wenn ich mir eine Person vorstelle, so ist sie in ihrer Selbständigkeit als Wesen für sich gedacht, der Gegenstand, irgend eine Erscheinungsweise derselben, etwa ihr Gesicht oder ihre Gestalt, dagegen der Inhalt meiner V. Als ein besonderes