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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bibel

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Bibel (Übersetzungen).

den kirchlichen Schriftstellern. Bei diesen letztern ist aber jedesmal zu prüfen, ob sie genau oder nur nach dem Gedächtnis citiert und ob die Stellen selbst nicht schon nach dem rezipierten Text geändert worden sind. Auch die (meist buchstäblichen) alten Übersetzungen bedürfen einer vorherigen kritischen Herstellung ihrer ältesten Lesarten. Von den noch vorhandenen griechischen Handschriften enthalten nur wenige das ganze Neue Testament, die meisten nur einzelne Teile desselben, am häufigsten die Evangelien und Paulinischen Briefe, manche nur Auszüge zum Vorlesen (Lektionarien). Das Rollenformat findet sich bei ihnen nicht, sondern sie sind in Folio-, Quart- oder kleinerm Format und bestehen gewöhnlich aus Heften, die man nach der Zahl der Blätter Quaterniones, Quinterniones, Sexterniones etc. nennt. Die ältern sind in Uncial-, die jüngern in Kursivschrift geschrieben. Die ältesten haben weder Accente und diakritische Zeichen noch Wortabteilung (scriptio continua); die jüngern sind stichometrisch (s. oben) abgeteilt, die jüngsten mit Interpunktion versehen. Die wichtigsten Kodices sind der Codex Sinaïticus, den Tischendorf 1844 und 1859 entdeckte und nach Rußland brachte. Er enthält auf 346 Pergamentblättern in Kolumnen geschrieben das ganze Alte (griechisch) und Neue Testament nebst dem Brief des Barnabas und einem Teil des "Hirten" des Hermas (hrsg. Petersb. u. Leipz. 1862, 4 Bde.). Ihm mindestens gleich an Rang, Vollständigkeit und Alter steht der Vaticanus aus dem 4. Jahrh. (hrsg. von Tischendorf, Leipz. 1867). Es folgt der Codex Alexandrinus im Britischen Museum zu London, aus dem 5. Jahrh., der ebenfalls die ganze B., jedoch mit Lücken, enthält, in Uncialschrift auf Pergament. Einen faksimilierten Abdruck des Ganzen besorgten die Kuratoren des Britischen Museums (Lond. 1879). Der Codex Ephraem, zu Paris, ein C. rescriptus, enthält Stücke aus dem Alten und mit Lücken das ganze Neue Testament, ist den vorigen ähnlich, mit einfachster Interpunktion versehen. Der Codex Cantabrigiensis ist, wie auch die nachher zu nennenden, bereits stichometrisch geschrieben, die Evangelien und die Apostelgeschichte mit lateinischer Übersetzung enthaltend, ein Geschenk Bezas an die Universität Cambridge. Der Codex Laudianus zu Oxford, die Apostelgeschichte enthaltend, lateinisch-griechisch, stammt aus dem 6. Jahrh. Der Codex Claromontanus zu Paris, 13 Paulinische Briefe mit Lücken enthaltend, griechisch-lateinisch, gehört dem 6. Jahrh. an; eine Abschrift desselben ist der C. Sangermanensis zu Petersburg. Der Codex Boernerianus, die Paulinischen Briefe enthaltend, mit lateinischer Interlinearversion, mit beginnender Wortabteilung, aus dem 9. Jahrh., gehörte ehemals dem Leipziger Theologen Börner, befindet sich jetzt zu Dresden. Der Codex Augiensis, die Paulinischen Briefe enthaltend, griechisch-lateinisch, bereits mit Wortabteilung, ehemals in der Abtei Reichenau, jetzt zu Cambridge, stammt aus dem 9. Jahrh.; ihm sprechend ähnlich ist der Codex Sangallensis, geschrieben zu Lebzeiten des Abtes Hartmot von St. Gallen (gest. 884). Gedruckt wurde der griechische Originaltext zuerst in der Complutensischen Polyglotte des Kardinals Jimenes 1514 und in den bei Froben in Basel seit 1516 erschienenen Ausgaben des Erasmus. Großen Ruf erlangten die Ausgaben des Robert Stephanus (Etienne) seit 1546. An sie schlossen sich die verschiedenen Ausgaben Bezas an, seit 1565, und an diese wiederum die des Leidener Buchhändlers Elzevir, welche sich seit 1633 als textus receptus gaben und mit der Zeit eine gewisse Alleinherrschaft erlangten.

Die kritischen Ausgaben eröffnete J. ^[John] Mill (Oxford 1707). Bengel lieferte (Tübing. 1734) neue Lesarten und ordnete zuerst die Handschriften nach ihrer Zusammengehörigkeit in Familien. Auch Wetstein (Amsterd. 1751) vermehrte die Zahl der bessern Lesarten. Griesbach ("Die drei ersten Evangelien synoptisch", Halle 1774, 2 Bde.; das ganze Neue Testament, das. 1775, 2 Bde.; 2. Ausg. 1796, 1806; Prachtausgabe, Leipz. 1803-1807, 4 Bde.; 3. Ausg. von David Schulz, Bd. 1, 1827) unterschied eine dreifache Rezension, eine occidentalische, bemerklich durch Glosseme, eine alexandrinische, mit grammatischen Korrekturen, und eine konstantinopolitanische, aus den vorigen gemischt. Sein System verbesserten und modifizierten Hug, Eichhorn, David Schulz u. a. Im Gegensatz zu Griesbach bevorzugten Matthäi (1782-88 u. 1803-1807) und Augustin Scholz (1830-36) die konstantinopolitanische Rezension und kamen auf diese Weise wieder dem textus receptus näher. Desto weiter entfernte sich von demselben Lachmann, welcher aus den alten orientalischen Handschriften mit Zuziehung der abendländischen Zeugen in den Fällen, wo jene nicht untereinander übereinstimmen, den im 3. u. 4. Jahrh. am meisten verbreiteten Text herzustellen versuchte (Berl. 1831, 2. Ausg. 1842 u. 1850). In neuester Zeit hat Tischendorf, im ganzen wie Lachmann den Handschriften folgend, aber seinen oft zu kühnen Aufstellungen entsagend, einen vielfach gereinigten Text hergestellt und demselben die reichste und zuverlässigste Variantensammlung beigefügt (vgl. seine 8. kritische Ausgabe des Neuen Testaments, Leipz. 1872). Ebenbürtig mit ihm arbeiteten in England Tregelles (1857-79) und Westcott und Hort ("The New Testament in the original Greek", 1881, 2 Bde.).

Bibelübersetzungen.

Übersetzungen der B. wurden sofort nötig, als das Hebräische aufhörte, lebende Sprache zu sein, und die Juden in der griechischen Welt zerstreut waren, noch mehr, als das Christentum zu den Völkern nichtgriechischer Zunge drang. Die alten Übersetzungen sind demnach alle aus unmittelbar praktisch-kirchlichem Bedürfnis, nicht aus gelehrtem, wissenschaftlichem Interesse hervorgegangen. Man unterscheidet mittelbare oder unmittelbare, je nachdem sie aus dem Originaltext oder aus einer andern Übersetzung geflossen sind. Für die Erforschung der Urgestalt aller Teile der B. kommen nur die erstern in Betracht, so die griechische Übersetzung des Alten Testaments, welche unter dem Namen Septuaginta weltberühmt geworden ist, und die chaldäische (Targum); so in Bezug auf das Alte und Neue Testament die syrischen Übersetzungen, besonders die erst nach 200 entstandene Peschito; ferner die lateinischen, deren ältere Gestalt, gewöhnlich Itala genannt, in das 2. Jahrh. hinaufreicht, während die spätere, die sogen. Vulgata, erst von Hieronymus herrührt. Auch ägyptische, äthiopische, arabische, persische, armenische, gotische, georgische, slawonische Übersetzungen entstanden; einige derselben sind schon mehr oder weniger mittelbare, d. h. von Septuaginta, Peschito, Itala oder Vulgata abhängige, Übersetzungen. Letzteres gilt namentlich von den mancherlei Versuchen des mittelalterlichen Abendlandes. In Deutschland zählt man von der Erfindung der Buchdruckerkunst (s. d.) bis zur Reformation etwa 17 vollständige Bibeldrucke, teils in oberdeutscher, teils in niederdeutscher Mundart. Sie alle mußten dem direkt auf die Ursprachen zurückgehenden Meisterwerk Luthers den Platz räumen (Neues Testament 1522, erste ganze B. 1534). Bei uns in Deutschland hat