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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Carracci

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Carracci.

Carracci (Caracci, spr. -ráttschi), ital. Malerfamilie aus Bologna, Begründer der bis ins 18. Jahrh. einflußreichen Schule der bolognesischen Eklektiker.

1) Lodovico, geb. 21. April 1555 zu Bologna, ist der Gründer der Schule. Er widmete sich erst in seiner Vaterstadt unter P. Fontana, dann in Venedig, Florenz, Parma, Mantua und wieder in Venedig gründlichen Studien nach Tizian, Tintoretto, A. del Sarto, Correggio u. a. Nach Bologna zurückgekehrt, stiftete er mit seinen Vettern Agostino und Annibale C. die Accademia degli Incamminati ("der auf den rechten Weg Gebrachten"), und es gelang ihnen, trotz der erbitterten Rivalität der alten Maler die junge aufstrebende Künstlerschaft Bolognas in ihr Atelier zu locken und dieselbe durch gründliche Unterweisung auszubilden. Die C. wiesen auf die großen alten Meister, namentlich auf Correggio, hin, wobei sie sich bestrebten, die Vorzüge derselben zu verbinden, ohne daß es ihnen völlig gelungen wäre. Trotz dieses Eklektizismus war aber Lodovico ein bedeutender Maler; ein sorgsames Studium, kräftige Farbe und oft eine überraschende Feinheit des Gefühlsausdrucks charakterisieren ihn. Freilich arbeitete er mit derbern Effekten als die großen Alten, und die pathetische Richtung des 17. Jahrh. ist zum großen Teil auf ihn zurückzuführen. Die meisten seiner Gemälde, in Öl und Fresko, finden sich noch in Bologna (darunter die sieben großen Fresken im Kloster San Michele in Bosco, Fresken im Dom zu Piacenza). Sein letztes Bild war die Verkündigung Mariä im Dom zu Bologna; der Gram über einen daran zu spät entdeckten Fehler soll ihm den Tod gebracht haben (13. Dez. 1619). Die Gemälde in San Michele erschienen zweimal gestochen unter den Titeln: "Il claustro di San Michele in Bosco, descritto da C. Malvasia ed intagl. da G. Giovannini" (Bologna 1696) und "Il medesimo claustro ecc., descr. ed illustr. da G. P. Zannotti" (das. 1776). Vgl. Bolognini-Amorini, Le vite di Lodovico, Agostino, Annibale ed altri dei C. (Bologna 1840); Janitschek in Dohmes "Kunst und Künstler".

2) Agostino, Maler und Kupferstecher, geb. 16. Aug. 1557 zu Bologna, war zum Goldschmied bestimmt, widmete sich dann aber aus Zureden seines Oheims Lodovico der Malerei, die er unter Fontana erlernte, worauf er sich durch Reisen in die Lombardei und Venedig weiter ausbildete. Dabei versäumte er aber auch das Studium der Wissenschaften und der Dichtkunst nicht, so daß seine Lehrthätigkeit in der Akademie nach dieser Seite hin besonders sich geltend machte. Als die Kartäuser in Bologna einem Bild Carraccis: die Kommunion des heil. Hieronymus, den Vorzug vor den Leistungen der Mitbewerber, worunter sein Bruder Annibale, zusprachen, soll ihn dieser aus Eifersucht beredet haben, sich ausschließlich dem Stich zu widmen. Später malte C. gemeinschaftlich mit dem Bruder an den Fresken des Pal. Farnese in Rom; der Eifersüchtige soll ihn hier wieder von der Arbeit verdrängt haben, als Agostinos Arbeiten besser gefielen als die seinigen. Gebrochenen Herzens begab sich C. zum Herzog Ranuccio nach Parma, den er zweimal porträtierte. Im Palazzo del Giardino malte er für den Fürsten noch die Fresken der himmlischen, der irdischen und der käuflichen Liebe, die er bis auf eine Figur vollendet hatte, als ihn 22. März 1602 der Tod wegraffte. Seine Hauptbedeutung liegt auf dem Gebiet des Kupferstichs. Der Niederländer C. Cort hatte damals in Italien durch seine feste und energische Manier großen Einfluß gewonnen, und C. nahm ihn sich zum Muster, wobei zugleich Ch. Albertis malerischere Behandlung des Stichs auf ihn einwirkte. Er gewann eine größere Freiheit und Mannigfaltigkeit in den Strichlagen, als alle Frühern hatten, und zeichnete dabei in fester und großartiger Manier. Seine Schraffierungen, mit kraftvoller Hand geführt, drücken stets die Form richtig aus. C. ist ein wichtiges Mittelglied zwischen den Stechern des 16. Jahrh. und denen der Rubensschen Schule; obwohl noch nicht so malerisch wie die letztern, hat er ihnen doch den Weg gebahnt. Die Zahl seiner Blätter beziffert sich auf ca. 270; sie sind zum Teil nach seinen eignen Erfindungen, zum Teil nach italienischen Meistern des 16. Jahrh. ausgeführt.

3) Annibale, Bruder des vorigen, geb. 3. Nov. 1560 zu Bologna, ursprünglich zum Schneider bestimmt, erlernte die Malerei unter Lodovico C. In Parma, wo er von 1580 an drei Jahre lang verweilte, studierte er Correggio aufs eifrigste, dann in Venedig Tizian, Tintoretto und besonders Paolo Veronese. Nach Bologna zurückgekehrt, entfaltete er hier eine große Thätigkeit, malte in Fresko mit Lodovico und Agostino in den Palästen Fava, Magnani, in Kirchen etc. und vollendete zugleich viele Ölgemälde. Von dem Kardinal Farnese nach Rom (1600) berufen, führte er in dessen Palast mythologische Fresken aus, wobei er sich Michelangelos Sixtinafresken zum Vorbild nahm, durch edle Komposition, gediegene Zeichnung und prachtvolles Kolorit sein Hauptwerk. Durch die Studien nach den Kompositionen Raffaels und Michelangelos hatte er sich einen größern Stil angeeignet. Acht Jahre lang arbeitete er mit Hilfe seines Bruders und seiner Schüler an diesen Fresken. Der niedrige Preis von 500 Skudi für die Arbeit stürzte C., dem die höchste Anerkennung der kunstgebildeten Welt zu teil wurde, in Schwermut und Krankheit, der er nach einem kurzen Aufenthalt in Neapel, wo er sich zu erholen gedachte, 14. oder 15. Juli 1609 in Rom erlag. Er fand seine Ruhestätte im Panthéon an der Sette Raffaels. Gemälde von ihm finden sich zahlreich in Bologna, Rom, Neapel, Paris, London, Dresden, Berlin, Wien u. a. O. C. hat auch in Kupfer gestochen; anfangs bediente er sich des Grabstichels, später aber radierte er verschiedene Blätter, die in ihrer Zartheit und doch zugleich kräftigen Wirkung zu den köstlichste Erzeugnissen der Radiernadel gehören. C. war, ungleich seinem Bruder, ein Mann von geringer Bildung, aber ein echter Künstler, der das Hauptverdienst um die Eklektikerschule hat; die Kühnheit und Sicherheit seiner Zeichnung ist zu bewundern, und so reflektiert, akademisch und roh er manchmal erscheint, so überrascht er doch oft durch eine glückliche Naivität und eine fast Correggios würdige Färbung. Es ist nach ihm sehr viel gestochen worden, namentlich auch nach seinen zahlreich vorkommenden Zeichnungen. S. Guillain radierte unter Beihilfe Algardis die Ausrufer von Bologna: Le arti di Bologna, in 78 Blättern (Rom 1646, spätere Ausg. 1740); dieselben auch G. M. Mitelli (Bologna 1660). Die Galerie Farnese ist oft erschienen (von C. Cesio, P. Aquila u. a.), außerdem: Elementi del disegno di A. C. intagliate da Poilly, 30 Blätter.

4) Antonio Marziale, Maler, natürlicher Sohn Agostino Carraccis, geb. 1583 zu Venedig, lernte bei seinem Vater und bei Annibale in Rom, begab sich dann mit Sisto Rosa nach Bologna, von da aber bald wieder nach Rom, wo er die durch Annibales Tod verwaiste Schule der C. wieder erwecken wollte. Er starb 1618 in Rom. Seine Gemälde sind sehr selten, die meisten in Rom; sein Bildnis im Alter von neun Jahren befindet sich in Dresden.

^[Artikel, die unter C vermißt werden, sind unter K oder Z nachzuschlagen.]