Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erhängen; Erhard; Erhartt

780

Erhängen - Erhartt.

Weltregierung anschließt. Die Schwierigkeit des Begriffs liegt in dem Verhältnis derjenigen Wirkungen, welche von den sogen. zweiten Ursachen, den Natur- und Menschenkräften, ausgehen, zu der Allwirksamkeit der ersten und letzten Ursache, Gottes. Um dies zu erklären, hat die lutherische Dogmatik die Lehre vom sogen. Concursus aufgestellt, wonach, wie Quenstedt die Sache formulierte, "die Thätigkeit und Wirksamkeit der Kreatur nicht lediglich von Gott und nicht lediglich von der Kreatur, auch nicht teilweise von Gott, teilweise von der Kreatur, sondern zugleich von Gott und der Kreatur ausgeht". Es schwebt hierbei die unlösbare Aufgabe vor, die relative Selbständigkeit der Welt und ihre absolute Abhängigkeit von Gott in Einer Formel zu vereinigen, aber doch so, daß, wo die Handlung des Menschen eine böse ist, zwischen göttlicher und natürlicher Ursachlichkeit halbiert werden kann.

Erhängen (lat. Suspensio), gewaltsame Todesart, welche von Selbstmördern sehr häufig gewählt, dagegen zu Zwecken des Mordes nur ganz selten vorgenommen wird. Der Erhängte stirbt den Erstickungstod, indem der Strick oder das sonst gewählte Strangulationsinstrument die Zungenwurzel gegen die hintere Rachenwand andrückt und somit die Luftwege verlegt. Gleichzeitig drückt das fest um den Hals herumliegende Strangulationswerkzeug auf die großen Venenstämme des Halses und verhindert den Abfluß des Bluts aus dem Gehirn und schließlich den Blutkreislauf im Gehirn überhaupt. Am Hals Gehängter beobachtet man sehr häufig eine Strangrinne oder Strangulationsmarke, d. h. einen rinnenförmigen, bis zu 5 mm tiefen, vom Strick bewirkten Eindruck der Haut, welcher um den größten Teil des Halsumfangs herumgeht. Im Grunde der Strangrinne ist die Lederhaut manchmal eingetrocknet, hornartig fest, bräunlich verfärbt. Das Gesicht ist blaurot und gedunsen, die Augen glänzend und die Hornhaut derselben gespannt (es fehlt also das gebrochene Totenauge); die Zunge steht etwas zwischen den Lippen hervor oder ist zwischen den Zähnen eingeklemmt. Männliche Individuen erleiden zuweilen im Moment des Erhängens einen Samenabfluß aus der Harnröhre, auch unwillkürlicher Kotabgang aus dem Mastdarm kann erfolgen. Im Innern des Körpers findet man das Gehirn und die Lunge strotzend mit dunkelrotem, flüssigem Blut erfüllt, die rechte Herzkammer ausgedehnt und bluthaltig, die linke Herzkammer gewöhnlich leer. Kleine Blutergüsse im Gehirn, unter dem Lungenfell und an andern Orten sind beim Tode durch E. etwas ganz Gewöhnliches. Die gerichtsärztliche Beurteilung Erhängter ist zuweilen eine sehr schwierige, namentlich mit Rücksicht auf die Frage, ob im gegebenen Fall ein Mord oder ein Selbstmord vorliegt, oder ob am Ende gar ein bereits Gestorbener von einem andern aufgehängt wurde. Hierbei ist besonders zu beachten, daß ein Selbstmord durch E. selbst dann möglich ist, wenn der Erhängte mit den Füßen den Boden berührt. Sogar in knieender Stellung hat man erhängte Selbstmörder angetroffen. Am ehesten läßt sich die Frage entscheiden, wenn Brüche der Kehlkopfsknorpel, Muskelzerreißungen und Blutaustritte an der Strangmarke vorliegen, da durch die etwa vorhandenen blutigen Infiltrationen ersehen wird, daß die Verletzung noch bei Lebzeiten entstanden ist, während die Abwesenheit einer Blutung auf nachträglich verursachten Bruch hinweist. Ob der Tod durch E. oder Erdrosselung (s. d.) eingetreten ist, kann nur aus etwa vorhandenen Druckmarken am Hals und dann aus genauer Untersuchung und Erwägung aller Nebenumstände geschlossen werden. Trifft man einen Erhängten, der noch nicht völlig erkaltet ist, so ist sofort nach Lösung der Schlinge künstliche Atmung einzuleiten dadurch, daß man abwechselnd den Bauch und dann die Brust des Menschen zusammenpreßt, wobei die Arme rhythmisch nach vorn und rückwärts bewegt werden. Auch die elektrische Reizung der Atmungsnerven ist während der Periode des Scheintodes noch oftmals wirksam. Vgl. Casper-Liman, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (7. Aufl., Berl. 1881); Müller, Behandlung Verunglückter bis zur Ankunft des Arztes (das. 1877); Esmarch, Erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen (Leipz. 1882).

Erhard, 1) Johann Christoph, Maler und Radierer, geb. 1795 zu Nürnberg, war Schüler von Zwinger und Gabler, ging 1816 nach Wien und 1819 nach Rom, wo er in einem Anfall von Schwermut 1822 durch Selbstmord endigte. Er hinterließ 185 Blätter landschaftliche Radierungen.

2) Heinrich August, Geschichtsforscher, geb. 13. Febr. 1793 zu Erfurt, studierte daselbst und in Göttingen Medizin, habilitierte sich als Dozent derselben sowie der Philosophie zu Erfurt, ward 1813 außerordentlicher Professor, diente 1815 im französischen Feldzug als Oberarzt im 6. preußischen Armeekorps und hielt nach seiner Rückkehr bis zu der 1816 erfolgten Aufhebung der Erfurter Universität akademische Vorlesungen. 1821 wurde er zur Organisation des Erfurter Regierungsarchivs berufen, 1822 zum Bibliothekar an der ehemaligen Universitätsbibliothek ernannt. 1824 ward er Archivar des Provinzialarchivs in Magdeburg, 1831 des westfälischen Provinzialarchivs in Münster und 1834 hier zugleich Direktor des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens. Er starb 22. Mai 1852. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: "De bibliothecis Erfordiae" (Erf. 1813-14, 2 Hefte); "Überlieferungen zur vaterländischen Geschichte alter und neuer Zeit" (Magdeb. 1825-28,3 Hefte); "Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung, vornehmlich in Deutschland, bis zum Anfang der Reformation" (das. 1827-1832, 3 Bde.); "Geschichte der Landfrieden in Deutschland" (Erf. 1829); "Erfurt mit seinen Umgebungen" (das. 1830); "Geschichte Münsters" (Münst. 1837); "Regesta historiae Westphaliae" (das. 1847-51, 2 Bde.). Auch gab er 1833-37 die "Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte", seit 1838 die "Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens" (Münst.) heraus.

Erhartt, Luise, namhafte Schauspielerin, geb. 22. Febr. 1844 zu Wien, debütierte 1859 in Kassel als Käthchen von Heilbronn, ward später in Dessau und Hannover engagiert und 1864, nachdem sie seit 1862 in Wiesbaden als tragische Liebhaberin gewirkt hatte, nach Berlin berufen, wo sie sich in ihren Debütrollen: Julia, Leopoldine von Strehlen und Porcia als würdige Nachfolgerin der Pellet erwies und sich rasch die Gunst des Publikums erwarb. Unterstützt von einer glücklichen äußern Begabung, atmeten alle ihre Gebilde die edelste Weiblichkeit; Innigkeit und Leidenschaft standen ihr in allen Abstufungen zu Gebote. In den ersten Jahren waren Gretchen, Klärchen, Desdemona ihre beliebtesten Rollen. Unter denen, die sie später mit Meisterschaft darstellte, heben wir hervor: Pompadour, Orsina, Lady Milford, Adelheid von Waldorf, Franziska von Hohenheim, Leonore von Este, Iphigenia. Auch in Repräsentationsrollen, Salondamen, leistete E. durch feine Tournüre Ausgezeichnetes. Seit 1868 ist sie mit dem Grafen Karl von der Goltz vermählt, dem sie 1878 nach Erfurt folgte.