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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gericht

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Gericht (deutsche Gerichtsverfassung: bürgerliche Rechtsstreitigkeiten).

zeßsachen) zu thun, während die Strafgerichtsbarkeit sich auf die Straf- oder Kriminalsachen bezieht. Rechtsangelegenheiten, bei denen zwischen den beteiligten Personen kein Streit besteht, und bei welchen die Mitwirkung der Gerichtsbehörden vorzugsweise um deswillen eintritt, um die Verwirklichung oder den Nachweis von Rechten sicherzustellen, wie bei den Hypothekensachen, dem Vormundschaftswesen etc., bilden den Gegenstand der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Letztere wird durch die deutsche Reichsjustizgesetzgebung nicht berührt. Auf der andern Seite ist aber auch die Landesgesetzgebung nicht gehindert, den Gerichtsbehörden außer den Strafsachen und den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten noch jede andre Art von Gerichtsbarkeit sowie Geschäfte der Justizverwaltung, nicht aber andre Gegenstände der Verwaltung zu übertragen. Ordentliche Gerichte im Reich sind nunmehr die Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und das Reichsgericht. Im Zusammenhang mit ihnen stehen die Schöffengerichte, Schwurgerichte und die Kammern für Handelssachen. Vor dieselben gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist, oder für welche reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder doch zugelassen sind. Während nämlich die Entscheidung streitiger Fragen des Privatrechts den Gegenstand der bürgerlichen Rechtspflege bildet, gehört die Entscheidung von Streitigkeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor die Verwaltungsbehörden. Es ist dies das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege (Administrativjustiz), und es gehören dahin z. B. Heimatsachen, Streitigkeiten über die Verbindlichkeit zu Staats- und Gemeindeleistungen, Bausachen u. dgl. Ausnahmsweise sind aber auch aus Zweckmäßigkeitsgründen gewisse Privatrechtssachen den Verwaltungsbehörden zugewiesen, wie z. B. Streitigkeiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer über das Arbeitsverhältnis. In manchen Staaten bestehen besondere Verwaltungsgerichte, in einzelnen Städten sind Gewerbegerichte errichtet, auch sind besondere Behörden zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Justiz und Verwaltung eingesetzt. Auch die deutsche Reichsgesetzgebung hat derartige Verwaltungsgerichtshöfe in dem Bundesamt für das Heimatswesen, in den Seemannsämtern, in dem Patentamt und in dem verstärkten Reichseisenbahnamt geschaffen. Zu beachten ist ferner, daß auch in Strafsachen eine richterliche Befugnis der Polizeibehörden, namentlich der Gemeindebehörden, durch landesgesetzliche Bestimmung begründet werden kann und vielfach begründet worden ist. Doch darf die Polizeibehörde nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 453 ff.) keine andre Strafe als Haft bis zu 14 Tagen oder Geldstrafe sowie eine etwa verwirkte Einziehung aussprechen. Auch erstreckt sich diese polizeiliche Strafgewalt nur auf Übertretungen, und endlich ist es dem Beschuldigten in allen solchen Fällen nachgelassen, auf richterliche Entscheidung anzutragen. Als besondere Gerichte sind nach dem Gerichtsverfassungsgesetz zugelassen: die auf Staatsverträgen beruhenden Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte; die Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Konsolidationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzungen u. dgl. obliegt; Gemeindegerichte, insoweit dieselben über vermögensrechtliche Ansprüche zu entscheiden haben, deren Wert den Betrag von 60 Mk. nicht übersteigt, vorbehaltlich der Berufung auf richterliche Entscheidung; Gewerbegerichte und die etwanigen besondern Gerichte für die Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern. Sonstige privilegierte Gerichtsstände sind beseitigt, doch ist an der Militärgerichtsbarkeit nichts geändert. Im einzelnen sind die Grundzüge der gegenwärtigen deutschen Gerichtsverfassung folgende:

I. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten.

Erste Instanz: 1) Einzelrichter: Vor den Amtsgerichten werden minder wichtige vermögensrechtliche Ansprüche und zwar bis zum Betrag von 300 Mk. verhandelt und entschieden sowie ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gewisse andre Rechtsstreitigkeiten, deren Wesen ein besonders schleuniges Verfahren erheischt oder eine besondere Vertrautheit mit den einschlägigen lokalen Verhältnissen voraussetzt, wie z. B. Hausmietstreitigkeiten, Streitsachen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern hinsichtlich des Dienst- und Arbeitsverhältnisses, Viehgewährschaftsstreitigkeiten, Gesindestreitigkeiten u. dgl. Außerdem sind die Amtsgerichte, ebenfalls ohne Rücksicht auf den Betrag der Streitsumme, für das Mahnverfahren zuständig. Handelt es sich nämlich um die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder um eine Quantität andrer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere, so kann das Amtsgericht auf Antrag des Gläubigers einen bedingten Zahlungsbefehl erlassen, welcher vollstreckbar wird, wenn ein Einspruch nicht erfolgt. Im Fall eines Widerspruchs tritt das ordentliche Prozeßverfahren ein. Ferner gehören die Entmündigungssachen in den amtsgerichtlichen Kompetenzkreis, d. h. die Fälle, in welchen es sich darum handelt, eine Person als geisteskrank oder als Verschwender zu bevormunden, und ebenso das Aufgebots- (Ediktal-) Verfahren zum Zweck der Feststellung von Ansprüchen und Rechten durch öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung. Weiter fungieren die Amtsgerichte in der Exekutionsinstanz als Vollstreckungsgerichte, auch sind ihnen die Konkurssachen überwiesen, und endlich kann die vergleichsweise Erledigung einer jeden Prozeßsache vor dem Amtsrichter versucht werden. 2) Kollegialgerichte. Vor die Landgerichte und zwar vor deren mit drei Richtern besetzte Zivilkammern gehören alle Prozeßsachen, deren Wertbetrag die amtsrichterliche Kompetenzsumme übersteigt, und welche nicht sonst vor die Amtsgerichte verwiesen sind; ferner sind den Landgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gewisse Klagsachen gegen den Reichsfiskus und gegen Reichsbeamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen, endlich aber auch die Ehesachen zur Verhandlung und Entscheidung überwiesen. Außerdem können aber, jedoch nur wenn und soweit die Landesjustizverwaltung das Bedürfnis hierzu als vorhanden annimmt, bei den Landgerichten für deren Bezirke oder für örtlich abgegrenzte Teile derselben Kammern für Handelssachen gebildet werden. Vor diese gehören alsdann diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche den Landgerichten in erster Instanz zugewiesen sind, sofern sie Ansprüche gegen einen Kaufmann aus zweiseitigen Handelsgeschäften, Wechselsachen und verschiedenen sonstigen im Gesetz speziell verzeichneten Handelssachen betreffen. Diese Handelskammern werden durch ein Mitglied des Landgerichts oder einen Amtsrichter als Vorsitzenden und zwei