Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Jerusalem'
neuester Zeit ist die Topographie der alten Stadt durch die Nachgrabungen von de Saulcy,
von Voguë, dem Palestine Exploration Fund und dem Deutschen
Verein zur Erforschung Palästinas mehr und mehr klargelegt worden, nachdem man den stellenweise
25 m, an einem Ort sogar 40 m hoch aufliegenden Schutt hinweggeräumt hatte. Namentlich sind die
großartigen Aquädukte und das mit denselben in Verbindung stehende, sehr umsichtig angelegte
System von Zisternen und Kanälen deutlich erkennbar verfolgt worden. Eine dieser
Wasserleitungen leitete Wasser bis zum Tempelplatz, eine andre in die obere Stadt. Unter
den archäologischen Funden ist am interessantesten eine der von Josephus erwähnten Stellen,
auf welcher Nichtjuden in zweisprachiger Schrift vor dem Betreten des innern Vorhofs gewarnt
wurden.
Das jetzige Jerusalem.
(Hierzu der Stadtplan, Beilage.)
J. ist gegenwärtig (seit 1872) Sitz eines Mutessarifs, der das bis dahin zur türkischen Provinz
Syrien gehörige Paschalik J. (mit 292 Ortschaften,
24-30,000 Häusern und über 110,000 Einw.) unter sich hat, und gilt noch jetzt nicht nur den
Christen und Juden, sondern auch den Bekennern des Islam als eine heilige Stadt. Es liegt
725-784 m ü. M. auf und an dem Abhang eines Kalkfelsens, der nur auf der Nordseite sanft
ansteigt, sonst nach allen Seiten steil abfällt. Von den die Stadt umgebenden Bergen ist der
Ölberg, an der Ostseite, der höchste (828 m ü. M., 148 m
über dem Kidron); an ihn schließt sich südlich der Berg des
Ärgernisses (Dschebel Batn el Hawa), wo Salomo dem Moloch geopfert haben soll.
Im S. liegt der Berg des bösen Rates, wo nach fränkischer
Sage in einem Landhaus des Kaiphas die Kreuzigung Christi beschlossen worden sein soll.
Auf drei Seiten, gegen O., S. und W., ist J. von tiefen Thälern umgeben: im O. vom
Thal Josaphat, das sich zwischen dem Ölberg und dem
Berg Moria hinzieht, im W. und S. vom Thal Ben Hinnom,
das sich mit jenem vereinigt. Ein drittes, weniger tiefes, von N. nach S. gerichtetes Thal, das
Tyropöon oder Käsemacherthal,
teilt die Stadt in eine westliche Hälfte (97 m über dem Kidron) und eine östliche mit den Höhen
Moria und Bezetha. Die aus großen Werkstücken erbauten Mauern, welche von 34 viereckigen Türmen
überragt werden, stammen aus der Zeit Sultan Solimans, messen etwa 4 km im Umfang und sind 12 m
hoch. Von sieben Thoren sind nur fünf im Gebrauch, nämlich das Damaskusthor im N., das
Stephansthor im O., das Moghrebiner oder Mistthor und das Zionsthor im S. und das am meisten
benutzte Jafathor im W. Die belebtesten Gassen sind die Suks oder Bazare, welche meist
überwölbt sind, dann die zum Damaskusthor führende und die die Stadt etwa in der Mitte von
W. nach O. durchschneidende Straße. Dadurch zerfällt J. in vier Quartiere
(Haret), die nach den vorherrschenden Konfessionen benannt werden: im O. das
mohammedanische mit dem Tempelplatz (Haram esch Scherif), der sogen.
Via dolorosa (s. unten), der Kaserne und der Amtswohnung des
Paschas; im NW. das christliche mit der Kirche des Heiligen
Grabes, dem Hiskiasteich, den Wohnungen des lateinischen und griechischen Patriarchen, des evangelischen
Bischofs, vielen Klöstern etc.; im SW. das Quartier der Armenier, mit
der Citadelle, einer zweiten Kaserne, der protestantischen Kirche und dem Jakobskloster, der
Residenz des armenischen Bischofs; endlich das Judenquartier, im Thal
zwischen Zion und Moria, mit
↔
mehreren Synagogen. Die Straßen sind eng, abschüssig und vielfach
gebrochen, schlecht oder gar nicht gepflastert und voll Unrat. Häufig geht man durch dunkle, dumpfige
Kellergewölbe und an Trümmern einstiger Prachtbauten vorüber. Die Häuser sind durchweg von Stein, aber
klein und niedrig, meist mit Kuppeln gekrönt oder mit flachen Dächern versehen. Schmale, niedrige
Thüren und Fensteröffnungen, die nur zum Teil mit Glastafeln, meist mit eisernen oder hölzernen Gittern
geschlossen sind, geben den Häusern ein gedrücktes, gefängnisartiges Aussehen. Verräucherte
Kaffeeschenken, düstere Bazare und Sackgassen, stallartige Erdgeschosse, der Mangel an geräumigern Plätzen,
die Stille der meisten Straßen vollenden das trübselige Bild der Stadt, die, vom Ölberg oder von N. gesehen,
sich sonst stattlich genug ausnimmt. Erwähnenswerte öffentliche Gebäude weltlicher Bestimmung hat J.,
mit Ausnahme des neuen österreichischen Pilgerhauses und der Citadelle,
nicht aufzuweisen. Letztere zeigt, namentlich an dem viereckigen Hauptturm, in gewaltigen Quadern Spuren
hohen Altertums und ist sehr wahrscheinlich der Turm Phasael des Josephus, während die Tradition in ihr den
"Turm Davids" sieht. Das reichste und größte Kloster Jerusalems ist das armenische
Jakobskloster auf dem (traditionellen) Berg Zion, das in seinen
umfangreichen Gebäuden zur Osterzeit außer dem Patriarchen und den 180 Mönchen mehrere Tausend Pilger
beherbergen soll und außer Druckerei, Seminar etc. auch die verschwenderisch ausgestattete Kirche
des heil. Jacobus enthält.
[Heiligtümer.] Die vornehmsten Heiligtümer Jerusalems
sind in der sogen. Via dolorosa ("Schmerzensweg") vereinigt,
einer 1 km langen, vom Stephansthor zur Kirche des Heiligen Grabes hinführenden Straße,
welche nach der aus dem 16. Jahrh. stammenden Sage Jesus auf seinem Gang zum Tode durchwandelt
haben soll. Zuerst liegt rechts eine moderne Kapelle der Lateiner, die an der Stelle erbaut
sein soll, wo die Kriegsknechte Jesus geißelten; links eine Kaserne, wo angeblich einst das
Prätorium, des Pilatus Wohnung, stand; weiter folgt der Platz, wo man Jesus das Kreuz auflegte.
Unweit davon ist die Straße von einem Bogen überwölbt, worauf ein kleines Häuschen steht,
nach der Legende die Stelle, wo Pilatus sein "Ecce homo"
ausrief. Dann folgen die Stelle, wo Jesus, unter der Last des Kreuzes zusammenbrechend, sich
an ein Haus gelehnt und da den Eindruck seiner Schulter zurückgelassen haben soll; die Stelle,
wo er seine Mutter traf, wo ihm die heil. Veronika ihr Schweißtuch (s. d.) reichte, etc.
Die letzten drei der 14 Stationen befinden sich in der Heiligen
Grabeskirche selbst. Vor dem Thor derselben ist ein mit Steinplatten gepflasterter
Platz, wo Händler mit Wachslichten, Jerichorosen, Rosenkränzen etc. ihre Waren anpreisen.
Die Fassade der Kirche hat zwei Portale, von denen das eine jetzt zugemauert ist, und darüber
zwei jetzt ebenfalls fast ganz vermauerte Fenster mit flachen Spitzbogen. Das flache Dach wird
von einer großen und weiter zurück von einer kleinern Kuppel überragt, während sich zur Linken
ein halb eingefallener Glockenturm erhebt. Jeder der verschiedenen Sekten gehören einzelne Teile
des verzwickten Kirchen- und Kapellenkomplexes. Die erste Reliquie dieses "größten
Reliquienschreins der christlichen Welt" ist eine rötliche Marmorplatte, auf welcher die
Salbung des Gekreuzigten durch Joseph von Arimathia stattgefunden haben soll (der jetzige
Stein datiert von 1808). Eine Treppe zur Rechten führt von da nach Golgatha,
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 202.