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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Luther (der Reformator, 1523-1539).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Luther'

nende, nach außen nur allmählich, aber sicher fortschreitende reformatorische Thätigkeit, welche im Lauf der 20er Jahre zuerst Gottesdienst, Kirchenlied und Sakramentsfeier, bald auch Schule und Kirchenverfassung umfaßte und so bezeichnend ist für seine Weise im Gegensatz zu der Reformation in der Schweiz. Hierher gehören seine Schriften: "Von Ordnung des Gottesdienstes in der Gemeinde" (1523); "Formula missae" (1523); "Greuel der Stillmesse" (1524); der "Aufruf an die Bürgermeister und Ratsherren der Städte in deutschen Landen" (1524) und das erste "Deutsche Gesangbuch" (1524). Die wertvollste Gabe an das Volk aber war und blieb die deutsche Bibel: das Neue Testament war schon 1522, das Alte 1534 vollendet. Sein Streit mit den Papisten, der ihm 1522 auch zu einer groben Schrift gegen Heinrich VIII. von England Veranlassung gegeben, trug ihm schließlich die Feindschaft des Erasmus (s. d.) ein, gegen dessen Schrift "De libero arbitrio" (1524) L. im Sinn strengster Prädestination sein Werk "De servo arbitrio" im Dezember 1525 verfaßte. Dasselbe Jahr 1525 brachte mit dem Bauernkrieg auch gänzlichen Bruch mit Karlstadt, der Partei Münzers und der Wiedertäufer. Im Januar erschien die Schrift "Wider die himmlischen Propheten", konservativ in Sachen der Bilderfrage und des Abendmahldogmas, hinsichtlich dessen schon damals der Gegensatz zwischen ihm einerseits, Karlstadt und den Schweizern anderseits zu Tage trat. Dem Bauernaufstand hat er im Thüringischen die eigne Person, aber auch zwei Schriften entgegengestellt: "Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel" und, als dies nichts half, "Wider die räuberischen und mörderischen Bauern". Nachdem er schon 1523 die Mönchskutte abgelegt, trat er 13. Juni 1525 in die Ehe mit der ehemaligen Nonne Katharina v. Bora (s. d.).

In den nächsten Jahren gestaltete sich nun unter Luthers unmittelbarem Einfluß in fester und dauerhafter Weise die Organisation der neuen Kirche in Sachsen: zunächst der Kultus durch seine "Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes" (1526); dann war er vom Oktober 1528 bis Januar 1530 persönlich bei dem Werk der Kirchenvisitation thätig, durch welche die neue Kirche erst recht in die Erscheinung trat; zwischen hinein erschienen im Januar 1529 der "Große" und einige Monate später der "Kleine Katechismus", ein Werk, welches im Verein mit Luthers Liedern ("Ein' feste Burg" etc.) die Grundlage der protestantischen Volkserziehung für Jahrhunderte geworden ist. Dasselbe Jahr brachte auch den definitiven Bruch mit den Schweizern. Nicht bloß die bekannte Differenz bezüglich des Abendmahls, dessen Bedeutung und Wert sich L. nur mit Hilfe von aus der katholischen Scholastik überkommenen Vorstellungsformen gegenständlich machen konnte, trieb dazu; L. betrachtete auch voller Mißtrauen den umfassenden Plan, welchen Zwingli und der Landgraf von Hessen zur Vernichtung des Papsttums und des katholischen Kaisertums vermittelst einer gemeinsamen Aktion aller reformatorischen Kräfte entworfen hatten. Gleichzeitig verwarf er die Idee des bewaffneten Widerstandes und vollzog auf dem Religionsgespräch zu Marburg (1.-4. Okt.) mit eigner Hand den verhängnisvollen Riß zwischen der sächsischen und der süddeutsch-schweizerischen Reformation. "Es sind keine Leute auf dem Erdreich, mit denen ich lieber wollte Eins sein, denn mit den Wittenbergern", sagte Zwingli. "Ihr habt einen andern Geist als wir", entgegnete L., indem er dem reformatorischen Rivalen nur diejenige Liebe zu ↔ gewähren sich herbeiließ, die man auch den Feinden schuldig sei. Vgl. hierüber Erichsons Abhandlungen in der "Zeitschrift für Kirchengeschichte" (Bd. 4 u. 5).

So kam es, daß schon auf dem Augsburger Reichstag 1530 die sächsischen und die oberdeutschen Stände mit getrenntem Bekenntnis auftraten. L. selbst durfte als Geächteter dort nicht erscheinen, sondern brachte die Zeit auf der Feste Koburg zu, wo er nicht bloß eine wunderbare schriftstellerische Thätigkeit entfaltete, sondern auch selbst durch Rat und Trost aller Art in den mühseligen Gang der Verhandlungen zu Augsburg eingriff. Aber die leitende Rolle teilte er in den endlosen theologischen, kirchlichen und politischen Verhandlungen der noch folgenden 15 Jahre seines Lebens nicht bloß mit den Fürsten und Staatsmännern, welche sich der neuen Kirche zugewandt hatten, sondern auch mit Theologen, wie Melanchthon (s. d.). Wenn letzterer sich den Reformierten gegenüber durch thunlichste Ermäßigung der Zumutungen, die L. an sie stellte, wirkliche Verdienste erwarb, so war es doch wieder L., der manche üble Folgen dieser Nachgiebigkeit, wo Melanchthon sie auch den römischen Versuchen gegenüber bewies, abwehrte und den Fortbestand der evangelischen Freiheit wahrte. In diesem Geist schrieb L. 1537 die Schmalkaldischen Artikel, lehnte 1541 die Vermittelungsvorschläge von Regensburg und 1545 die Teilnahme am Tridentiner Konzil ab. Schweren Verdruß verursachte ihm die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen, die er aber selbst in einem geheimen Beichtrat als das geringere Übel im Vergleich zur Hurerei gestattet hatte (1539). In diesem Handel zeigt sich L. von seiner schwächsten Seite. Nicht genug, daß er auf der Eisenacher Konferenz (1540) dem Landgrafen, der sich weigert, um die Doppelehe geheim zu halten, "stark zu lugen", raten ließ: "ein geringe lugen zu thun, wer besser dan sovil mortgeschrei auf sich zu laden", denn "ein notlugen, ein nutzlugen, hilflugen zu thun, wer nicht widder Gott", sondern er erklärte sich auch in einem Brief an den Landgrafen bereit, sich selbst der Notlüge in dieser Angelegenheit bedienen zu wollen, indem er sich auf das Beispiel Christi, der da gesagt habe: der Sohn weiß von dem Tage nichts, und auf seine Stellung als Beichtvater berief, die ihm verbiete, das, was ihm gebeichtet, bekannt zu machen.

Abgesehen von kleinen Reisen, die ihn namentlich öfters an den Hof des Kurfürsten nach Torgau brachten, 1539 auch nach Leipzig, wo Herzog Heinrich die Reformation einführte, verblieb er jetzt meist in Wittenberg, beraten und aufgesucht von Tausenden. Dazu lebte er in unermüdlicher Sorge um seine Gemeinde, war ein eifriger und beliebter Prediger, offener und warmer Freund, mit der Welt meist auf gutem Fuße stehend und übersprudelnd von Scherz und heiterer Laune. Furcht war ihm gänzlich unbekannt. Er konnte nicht bloß ruhig das Martyrium an sich herantreten sehen, es war sogar eine gewisse Sehnsucht danach in ihm vorhanden. Der Kampf war ihm willkommen, und zwar stand er nicht bloß Menschen gegenüber, sondern überwand auch die Angst und Pein der Hölle, die geschäftig arbeitete, seine Vernunft zu verdüstern. Wenn es so im eignen Herzen unsicher wurde, so kamen über ihn unsäglich bittere Stunden, wie er denn oft und viel über harte Anfechtung klagt. Dazu traten leibliche Übel, fortgesetzt ihn quälende Beschwerden, Kongestionen, Dysenterie, Steinschmerzen. Gleichwohl blieb seine Arbeitskraft ungeschmälert. Er pflegte seine Predigten, Traktate, Bekenntnisse in Einem Guß zu

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 1024.