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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Mineralwässer

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Mineralwässer (Gebrauchsweise, Diätetisches).

sogen. künstlichen M. die natürlichen vollständig zu ersetzen geeignet seien. Die Mehrzahl der Ärzte leugnet nicht die Verwendbarkeit der künstlichen M., zieht denselben aber doch die natürlichen, auch wenn sie nicht an der Quelle getrunken werden können, mit Entschiedenheit vor.

Die Wildbäder wirken hauptsächlich durch ihre Temperatur reizmindernd oder erregend auf das Hautnervensystem; richtig angewandt, erhöhen sie die Leistungsfähigkeit des Nervensystems und dadurch des ganzen Körpers. Man benutzt sie deshalb bei Erschöpfung und Überreizung des Nervensystems, Hysterie, Hypochondrie, Neuralgien, Krampfformen, Rückenmarksleiden, Gicht, Rheumatismus, Dysmenorrhöe, bei manchen Exanthemen, Prurigo, nach Schußwunden und Knochenbrüchen. Die einfachen Säuerlinge dienen als tägliches Getränk, die gehaltreichern wirken bei Verdauungsstörungen, Magen- und Darmkatarrh und bei Katarrhen der Atmungsorgane günstig. Die Kochsalzquellen wirken wesentlich restaurativ, ihr Kochsalzgehalt bewirkt eine Aufbesserung des gesamten Ernährungszustandes und Regelung der Schleimhautfunktionen. Sie befördern die Aufsaugung entzündlicher Exsudate und wirken günstig bei Magen- und Darmkatarrh, habitueller Stuhlverstopfung, Zirkulationsstörungen in den Unterleibsorganen, Hämorrhoiden, Katarrh der Atmungsorgane, Skrofulose, Blutarmut und allgemeiner Schwäche der Ernährung. In Form von Bädern beleben und kräftigen sie das Nervensystem, erhöhen die Widerstandsfähigkeit, begünstigen die Ernährung und vermindern die Kalkphosphatabscheidung. Die Solbäder werden bei Skrofulose, Anämie, Hautschwäche, Rheumatismus, Gicht, Herzkrankheiten, Neurosen, Ekzemen, Knochenleiden, Rhachitis und bei Exsudaten in den Pleurahöhlen benutzt. Jodtrinkquellen wirken besonders bei Drüsenverhärtungen und Skrofulose, bei den verschiedenen Folgekrankheiten der Syphilis, Katarrh der Harnröhre, auch bei gewissen Formen des Magenkatarrhs günstig. Die alkalischen Quellen scheinen die Oxydation im Blut zu steigern, den Eiweißumsatz im Körper zu erhöhen und wirken energisch auf die Sekretionsverhältnisse aller Schleimhäute, sie sind ausgezeichnete antikatarrhalische Mittel. Die einfachen alkalischen Quellen benutzt man auch bei Hyperämie und Schwellung der Leber, Fettleber, Stauung in den Unterleibsvenen, Hämorrhoiden, Gallen- und Nierensteinen, Blasensteinen, Rheumatismus, Gicht, Zuckerharnruhr und gewissen Frauenkrankheiten. Lithiongehalt bedingt die Anwendung gegen Gicht, harnsaure Sedimente, Nieren- und Blasenleiden, Muskelrheumatismus. Bei den alkalisch-sulfatischen Quellen wirkt das Glaubersalz abführend, und sie dienen daher bei Magen- und Darmkatarrh, Magengeschwür, plethorischen Zuständen, Leberanschwellung, Fettsucht, Diabetes und Skrofulose. Sie dürfen nicht angewandt werden bei großer Schwäche und Blutarmut, entzündlichen Organreizungen, Verdacht der Lungenschwindsucht, Neigung zu Kongestionen und Blutungen, schwerer Erkrankung innerer Organe. Bitterwässer wirken durch ihren Gehalt an Glauber- und Bittersalz und werden angewandt, wo man gelind abführen oder entziehend auf die Ernährung des Körpers wirken will. Die alkalisch-erdigen Quellen haben großen Erfolg bei gewissen Formen von Schleimhautkatarrhen, namentlich auch der Harnwege. Eisenquellen sind überall am Platz, wo man eine Verminderung der Zahl und der Leistungsfähigkeit der Blutkörperchen annehmen muß, also bei Anämie, Entwickelungschlorose, Malaria etc., chronischen Erkrankungen des Nervensystems, Geschlechtskrankheiten, allgemeinen Schwächezuständen, nur dürfen nicht Störungen der Magenverdauung, Neigung zu Kongestionen nach Brust und Kopf oder zu große Erregbarkeit des Gefäßsystems zugegen sein. Die Wirkung der Schwefelwässer scheint wesentlich in der Herbeiführung eines raschen Zerfalls der Blutkörperchen zu bestehen, und zwar bezieht sich dieser Vorgang auf das Pfortadersystem und die Leber. Jedenfalls bewirken die Schwefelwässer Anschwellung der Leber und allgemeine Blutarmut. Man benutzt sie daher bei kräftigen Individuen mit Blutfülle und trägem Blutlauf im Pfortadergebiet, Hämorrhoiden, Leberanschwellung etc., bei chronischen Katarrhen der Schleimhäute, namentlich der Atmungsorgane. Als Bäder dienen sie bei Hautkrankheiten, veralteten Geschwüren, Drüsen- und Knochenleiden, Rheumatismus, chronischer Metallvergiftung und besonders bei Syphilis.

Die Gebrauchsweise der M. richtet sich nach der Krankheit und der Individualität des Kranken. Die Zeit vom Mai bis Oktober ist für die Brunnenkuren in unserm Klima im allgemeinen die geeignetste; doch können dieselben unter Umständen auch recht wohl, wie es in England Sitte ist, im Winter unternommen werden. Dieselben werden fast ausschließlich bei langwierigen chronischen Krankheiten in Anwendung gezogen. Die Dauer einer Brunnenkur wird einzig und allein bedingt durch die sich dabei einstellenden Erscheinungen; meistens muß dieselbe mehrere Jahre hintereinander wiederholt werden. Die M. werden entweder getrunken, oder äußerlich angewendet in Form von Bädern, Klystieren, Einspritzungen, Douchen, Umschlägen; meistens werden beide Gebrauchsweisen kombiniert. Das Wasser wird gewöhnlich morgens nüchtern in Gaben von 60-90 g und in einer Gesamtquantität von 400-1600 g je nach der Wirkung und dem Krankheitsfall getrunken. Unter keinen Umständen läßt sich die Dauer der Kur durch Vermehrung der Becherzahl abkürzen. Werden größere Mengen auf einmal nicht vertragen, so können auch im Lauf des Tags zwei- bis dreistündlich kleinere Mengen oder noch einige Becher in den Abendstunden genommen werden. Während des Trinkens ist eine mäßige Bewegung ohne jede Erhitzung und Ermüdung notwendig. Der letzte Becher muß mindestens 1-2 Stunden vor dem Frühstück getrunken werden. Nur in den seltenen Fällen, wo das Mineralwasser bei nüchternem Magen absolut nicht vertragen wird, ist es gestattet, 1-2 Stunden vor dem Trinken ein leichtes Frühstück einzunehmen. - Auch die Bäder werden gewöhnlich des Morgens genommen; nur in Fällen, wo nach dem Bad eine längere Transpiration unterhalten werden soll, oder bei feuchtkalter Witterung kann das Baden am Abend angemessener erscheinen. Von größter Wichtigkeit bei dem Gebrauch der M. sind: strenge Diät, geistige und körperliche Ruhe, günstige äußere Verhältnisse in Bezug auf Wohnung etc. Unter Umständen ist es notwendig, der Brunnenkur eine sogen. Nachkur folgen zu lassen; besonders nach dem Gebrauch von auflösenden und abführenden Mineralwässern, von Solquellen etc. ist es üblich, namentlich eisenhaltige Wässer zur Verbesserung der Blutmischung und zur Anregung der Nerventhätigkeit zu verordnen. Dies ist aber keineswegs in allen Fällen ratsam; die beste Nachkur ist meistens eine noch längere Zeit beobachtete zweckmäßige Diät und ein geregeltes, von Sorgen und körperlichen Anstrengungen freies