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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schiel; Schielen

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Schiel - Schielen.

ten Mittelpunkt seiner Studien bildeten die ural-altaischen und sibirischen Sprachen, namentlich das Finnische. Er übersetzte das finnische Epos "Kalewala" (s. d.) und veröffentlichte eine rhythmische Bearbeitung der "Heldensagen der Minussinischen Tataren" (Petersb. 1859); namentlich aber gab er im Auftrag der Akademie aus dem Nachlaß Castréns (s. d.), dessen "Nordische Reisen und Forschungen" (1853-62) heraus, für die er die von Castrén gesammelten sprachlichen Materialien über das Ostjakische (1858), die Sprache der Samojeden (1854-55), der Tungusen (1856), der Buräten (1857), das Koibalische und Karagassische (1857), das Jenissei-Ostjakische und Kottische (1858) selbst bearbeitete und mit wertvollen Zusätzen bereicherte. Ebenso wichtig sind seine Arbeiten auf einem dritten ganz isolierten Sprachgebiet, dem kaukasischen. Auch hier begnügte sich S. zumeist mit der Rolle eines Interpreten fremder Forschungen, indem er die von dem Generalmajor v. Uslar an Ort und Stelle in russischer Sprache gesammelten Materialien für die "Abhandlungen der Petersburger Akademie" verarbeitete. In dieser Weise bearbeitete er das Abchasische (1863), das Tschetschenzische (1864), das Kasikumychische (1866), das Kürinische (1873) etc. Über andre kaukasische Sprachen gab er ganz selbständige Arbeiten heraus, so über die Thuschsprache (Petersb. 1856), über das Awarische (1862, 1872 und 1873), über das Udische (1863); auch mit der zu dem indogermanischen Stamm gehörigen Sprache der Osseten beschäftigte er sich ("Ossetische Sprichwörter", in den "Mélanges russes". Petersb. 1862).

Schiel, s. v. w. Zander.

Schielen (Strabismus), fehlerhafte Stellung der Sehachsen, welche bewirkt, daß einem Punkt nicht gleichzeitig symmetrische Stellen beider Netzhäute zugewendet werden können. Daraus folgt, daß beim S. nur ein Auge zur Fixation benutzt wird, und daß nur auf diesem ein deutliches, auf dem abgelenkten Auge dagegen nur ein undeutliches Netzhautbild zu stande kommen kann. Bei jeder Art des Schielens gibt es zwei Entwickelungsstadien: im ersten nehmen die Sehachsen nur zeitweilig und unter ganz bestimmten Bedingungen eine falsche Stellung an; im zweiten Stadium aber ist die falsche Stellung der Sehachsen konstant geworden. Das erste Stadium geht gewöhnlich früher oder später in das zweite über. Das S. beruht darauf, daß einzelne Muskeln des Auges ein vorübergehendes oder bleibendes Übergewicht über ihre Antagonisten bekommen. Dieses Übergewicht ist bedingt durch angeborne oder erworbene Schwäche und Lähmung (paralytisches S.) einzelner Augenmuskeln. Bei weitem am häufigsten sind die eigentlichen Ursachen die Refraktionsanomalien (Kurzsichtigkeit oder Übersichtigkeit) und Schwachsichtigkeit (besonders einseitige), sei es, daß dieselbe angeboren oder durch Leiden des innern Auges oder durch äußere Entzündungen (z. B. Hornhautflecke) entstanden ist; mitunter wird S. auch bei Gehirnkrankheiten, infolge welcher einzelne Augenmuskeln gelähmt werden, beobachtet. Neugeborne Kinder haben fast alle Neigung zum S.; doch pflegt sich dasselbe wieder zu verlieren, sobald die Kinder (im vierten Monat) zu fixieren und beide Augen gleichmäßig zu benutzen gelernt haben. Man unterscheidet zunächst zwei Hauptarten des Schielens, nämlich das bewegliche S. (strabismus) und das unbewegliche S. (luscitas). Beim beweglichen S. behält das schielende Auge noch die Kraft, alle Bewegungen des richtig blickenden Auges begleitend mitzumachen; aber während letzteres einen Gegenstand fixiert, schneidet die Sehachse des erstern die des letztern entweder vor (beim S. nach innen, S. internus s. convergens), oder hinter dem Objekt, oder gar nicht (beim S. nach außen, S. externus s. divergens). Dieses Verhältnis bleibt sich gleich, mag das schielende Auge offen oder verdeckt sein. Wird das richtig blickende Auge verdeckt, so fixiert das schielende Auge den Gegenstand, und das gesunde läßt seine Sehachse vor oder hinter dem Objekt vorbeischießen. Bei jedem S. ist an und für sich Doppeltsehen vorhanden, weil die Bilder eines und desselben Gegenstandes auf nicht gleichwertige Stellen der Netzhaut fallen. Diese Bilder werden aber als gesonderte in der Regel nur in den ersten Stadien des Schielens wahrgenommen. Bei längerm Bestehen des Schielens hört die Wahrnehmung der Doppelbilder nach und nach auf, teils weil bei zunehmendem S. die Bilder auf sehr wenig lichtempfängliche Stellen der Netzhaut fallen, teils weil der Schielende allmählich lernt, das schwächere Bild zu vernachlässigen. Ein Schielender, der doppelt sieht, ist sehr oft im Zweifel über die wahre Lage der Objekte, zumal wenn das Bild des schielenden Auges das des gesunden an Deutlichkeit erreicht, indem er die Objekte der Doppelbilder zufolge physikalischer Gesetze nicht an der Stelle sieht, an welcher sie sich befinden. Ebenso entgeht dem Schielenden der Vorteil des stereoskopischen Sehens und der Schätzung von Entfernungen. In allen Fällen, wo nur ein Auge schielt, tritt auf diesem wegen mangelnder Übung und wegen seiner Unthätigkeit beim Sehen eine Abnahme der Sehkraft ein, was nicht der Fall ist, wenn beide Augen abwechselnd schielen. Donders hat nachgewiesen, daß das konvergierende S. in der größten Zahl der Fälle bei Übersichtigkeit, das divergierende besonders bei Kurzsichtigkeit vorkommt. Das unbewegliche S. besteht darin, daß das kranke, schielende Auge bei allen Bewegungen des gesunden Auges entweder ganz unbeweglich nach einer bestimmten Richtung gewandt wird, oder doch der Kreis seiner Bewegungen ein sehr kleiner ist. Fast immer beschränkt sich dieser Zustand auf ein Auge, welches dabei in hohem Grad schwachsichtig zu sein pflegt. Als S. mit Einem Auge (S. monolateralis) bezeichnet man den Zustand, wo ein und dasselbe Auge stetig zur Fixation benutzt wird, das andre aber stetig abweicht. Ein S. gleichzeitig mit beiden Augen kann es freilich, solange der Kranke einen Gegenstand fixiert, überhaupt nicht geben, da, um deutlich zu sehen, immer wenigstens ein Auge richtig stehen muß. Nur bei dem gedankenlosen Blicke können die Sehachsen beider Augen oft eine widernatürliche Konvergenz oder Divergenz annehmen. Beim S. nach innen kommt es vor, daß der Schielende häufig im Gebrauch des Auges wechselt und bald mit dem einen, bald mit dem andern Auge schielt. Diesen Zustand nennt man S. mit beiden Augen (alternierenden S. convergens). Konvergierend oder divergierend sind die Sehachsen auch beim S. nach oben (S. sursum vergens) und nach unten (S. deorsum vergens). Was die Behandlung des Schielens anbetrifft, so können alle gegen dasselbe empfohlenen Mittel, mit Ausnahme der Schieloperation, höchstens bei vorhandener Anlage dazu die Entstehung desselben verhüten oder der fernern Entwickelung Einhalt thun, nie aber eine Heilung des ausgebildeten Schielens bewirken. Dies gilt auch von den sogen. Schielbrillen. Stark Kurzsichtige und Leute mit sonstiger Disposition zum S., d. h. mit schwachen Augenmuskeln, müssen ihre Augen nicht übermäßig