Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Sozialismus'
nossenschaften gleichartiger Produktionszweige sich zu größern Genossenschaften associieren,
bis in jedem nur eine Landesgenossenschaft existiere. Im dritten associieren sich auch diese,
so daß schließlich eine große Produktivgenossenschaft produziere, deren Organisation und
Gewinnverteilung das Staatsgesetz regele. Eine Reform der Erziehung (mit obligatorischem
und unentgeltlichem Unterricht) würde diese Entwickelung sichern. Um auch die Landwirtschaft
zu reformieren, soll das Erbrecht der Seitenverwandten fortfallen, an ihrer Stelle soll
die Gemeinde erben und mit dem ihr so anfallenden Vermögen ähnlich verwaltete
landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften gründen. Da von der herrschenden
Gesellschaft mit monarchischer Staatsform eine Lösung dieser Aufgaben nicht zu erwarten
sei, so müsse zunächst der Staat in eine sozialdemokratische Republik umgewandelt werden,
in welcher die untern Klassen, im Besitz der Herrschaft, dann auf dem vorgezeichneten Weg
vorgehen könnten.
Diese Ideen wurden in den 40er Jahren das Programm der französischen Sozialisten, an deren
Spitze Louis Blanc stand. Er ist der Gründer der Sozialdemokratie, d. h. derjenigen Partei,
welche für die Klasse der Lohnarbeiter die Herrschaft in einer demokratischen Republik
erstrebt, um im Besitz dieser Herrschaft das sozialistische Programm zu verwirklichen.
Modifiziert wurde dies Programm durch die Beschlüsse des Arbeiterparlaments, welches 1848
nach der Februarrevolution, von der provisorischen Regierung einberufen, im Palais
Luxembourg unter dem Vorsitz von Louis Blanc tagte. Nach denselben sollte ein eignes
Ministerium (ministère du progrès) die sozialistische
Reform herbeiführen: zunächst die Bergwerke und Eisenbahnen für den Staat ankaufen, das
Versicherungswesen in Staatsanstalten zentralisieren, große Warenhallen und Vorratshäuser
zu entgeltlicher Benutzung errichten, die französische Bank in eine Staatsbank umwandeln
und mit dem Reinertrag aus diesen Geschäften industrielle und landwirtschaftliche
Genossenschaften nach dem Plan Louis Blancs mit einigen Abänderungen desselben gründen.
Zur Beseitigung einer verderblichen Konkurrenz sollte für alle Produkte durch gesetzliche
Feststellung des auf die Kosten zu schlagenden Gewinns ein Normalpreis vorgeschrieben werden.
Eine andre Modifikation gab dem Blancschen S. Ferdinand
Lassalle (s. d.). Er betrachtet die soziale
Frage als Einkommensfrage, hervorgerufen durch die ungerechte Verteilung des Ertrags der
Unternehmungen infolge des "ehernen Lohngesetzes" der freien Konkurrenz, nach welchem der
Lohn stets um einen Punkt oszilliere, bei welchem er den Arbeitern nur die notdürftig
Befriedigung der Existenzbedürfnisse gestatte. Die Lösung sieht er in der Beseitigung
dieser Lohnregulierung und Abschaffung der Lohnarbeit durch Produktivassociationen mit
Hilfe des Staats. Aber dieser soll nicht, wie Louis Blanc will, dieselben gründen und
ihre Organisation wie die Art der Gewinnverteilung bestimmen, sondern der Staat soll nur
freiwillig sich bildende mit seinem Kredit unterstützen, wobei er zur Wahrung seines
Interesses sich die Genehmigung der Statuten und eine Kontrolle der Geschäftsführung
vorbehalten könne. Darin stimmt Lassalle wieder mit Louis Blanc überein, daß, um diese
Staatsunterstützung zu erreichen, der Arbeiterstand sich zum herrschenden im Staat machen
müsse. Er wähnte, daß die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts
mit geheimer Abstimmung demselben in Deutschland zu dieser Herrschaft verhelfen würde,
und forderte deshalb die deutschen
↔
Arbeiter auf, ihre ganze Agitation zunächst nur auf dieses Ziel zu richten.
Derjenige, der in neuerer Zeit den S. eigentlich allein in umfassender Weise und wirklich
wissenschaftlich zu begründen versucht, ihm zugleich die radikalste Ausdehnung gegeben hat,
ist Karl Marx (s. d.).
In seinem Hauptwerk: "Das Kapital", sucht er nachzuweisen, daß die Verteilung in der
bisherigen Volkswirtschaft eine durchaus ungerechte sei, denn das Kapital entstehe und
vermehre sich nur dadurch, daß es einen möglichst großen Teil des Arbeitsprodukts in sich
aufsauge; die Arbeit, nicht das Kapital setze dem Produkt Wert zu, der Arbeiter leiste
stets mehr, als ihm im Lohn vergolten werde, der ihm nicht bezahlte Mehrwert seiner Leistung
aber falle dem Eigentümer der Produktionsmittel zu und vermehre das Kapital.
Marx folgert daraus die Ungerechtigkeit eines Einkommens aus Kapital- und Grundbesitz.
Weiter sucht er zu erweisen, daß aus der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise
die sozialistisch-kooperative notwendig entstehen müsse. Zunächst würden in dem freien
Konkurrenzkampf die Produktionsmittel sich in den Händen einer immer kleinern Anzahl
konzentrieren, dadurch aber der Zustand für die Arbeiter endlich so unerträglich werden,
daß dieselben, ihre Macht benutzend, die wenigen Expropriateure einfach expropriieren und,
geschult und organisiert durch den bisherigen kapitalistischen Produktionsprozeß, auf der
Grundlage gemeinsamen Eigentums an den Produktionsmitteln in den schon bestehenden großen
Unternehmungen weiter produzieren, den Ertrag derselben, entsprechend seiner ökonomischen
Natur als Arbeitsertrag, aber fortan nur nach Maßgabe der Arbeitsleistungen verteilen würden.
Besser indes sei es, diesen Expropriations- und Produktionsumwandlungsprozeß zu beschleunigen.
Die praktischen Konsequenzen hat dann der Agitator Marx gezogen und in den Beschlüssen
der von ihm gegründeten und geleiteten internationalen Arbeiterassociation (vgl.
Internationale) sowie in dem Programm
der heutigen deutschen Sozialdemokratie, dessen geistiger Urheber er ist, zum Ausdruck
gebracht. Von diesen Beschlüssen sind für die sozialistischen Bestrebungen insbesondere
charakteristisch die der Kongresse in Brüssel und Basel. Auf dem Kongreß in
Brüssel (1868)
wurde die Abschaffung des Kapitaleinkommens und der Grundrente, die Gründung von
Produktivgenossenschaften mit Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln und von besondern
Kreditanstalten für dieselben, die Umwandlung aller Transportanstalten in Staatsanstalten,
aller Bergwerke, Wälder und landwirtschaftlichen Grundstücke in Staatseigentum, mit
Überweisung der letztern an Arbeitergesellschaften zur Benutzung, in das Programm
aufgenommen. Der Kongreß in Basel (1869) sprach sich
für die Abschaffung des privaten
Grundeigentums und für die Bebauung des Bodens durch solidarisierte Gemeinden sowie für
die Abschaffung des Erbrechts aus. Das sozialistisch-politische
Programm der deutschen
Sozialdemokratie (sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands) lautet nach der Fassung
des Gothaer Kongresses von 1875:
"1) Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da
allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist, so gehört der
Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern, das gesamte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner
Arbeitspflicht, nach gleichem Recht jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. In
der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die
hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Elends und der
Knechtschaft in allen Formen. Die Befreiung der Arbeit erfordert die
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 58.