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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Hypnotismus (Wirkungen der Suggestion)
Willen dahin richten, nicht in Hypnose zu kommen, sind in der Regel ganz unempfänglich.
Die Symptomatologie der Hypnose ist in neuerer Zeit durch zahlreiche Experimentatoren wesentlich ergänzt worden, und ganz besonders wurde die leichte suggestive Beeinflussung der verschiedenen körperlichen und geistigen Funktionen während der Hypnose von vielen Forschern hervorgehoben. Sehr häufig zeigt der willkürliche Bewegungsapparat hierher gehörige Veränderungen. Durch einmaligen oder eventuell mehrfach wiederholten Befehl ist der .hypnotische gezwungen, Bewegungen gegen seinen Wunsch auszuführen, z. B. seinen Arm zu heben oder vom Stuhl aufzustehen, sich dreimal im Kreis zu drehen, zu lachen. Ganz ebenso kann man Bewegungen verhindern; man verbietet dem Hypnotisierten, sein Bein, seinen Arm zu bewegen: sofort scheint das betreffende Glied gelähmt und wird erst wieder bewegungsfähig, wenn der Experimentator die Suggestion der Lähmung entfernt. Die Suggestion ist auch im stände, eine bestimmte Funktion gewisser Muskeln zu bekämpfen, während sie sonst normal funktionieren. Der Hypnotische kann auf Befehl nicht schreiben, obwohl sein Arm sonst vollkommen frei beweglich ist. Wie der Hypnotist die Suggestion ausdrückt, ist hier sowie für alle später zu besprechenden Suggestionen gleichgültig; nötig ist nur, daß der Hypnotische genau versteht, was jener will. Gewöhnlich bedient man sich, um eine Suggestion zu geben, der Sprache (Verbalsuggestion); doch kann diese auch durch alle Arten von Gesten ersetzt werden. Gerade in dieser Beziehung hat in neuerer Zeit eine andre Auffassung Boden gewonnen als früher.
Während man früher mit Heidenhain annahm, daß bei Reizung der Haut die darunterliegenden Muskeln reflektorisch sich zusammenziehen, ist es jetzt wahrscheinlich geworden, daß die Zusammenziehung nur dann eintritt, wenn die Suggestion mitwirkt, und wenn der Hypnotische jene Hautreizung für den Befehl auffaßt, die Muskeln zu kontrahieren. Während ferner Heidenhain die Nachahmungsbewegungen im Gegensatz zu O.Rosenbach für Reflexe ohne psychische Thätigkeit ansah, glaubt man jetzt fast allgemein, daß Nachahmungsbewegungen nur dann auftreten, wenn der Hypnotische die Bewegungen des Experimentators für den Befehl auffaßt, sie nachzumachen; dies tritt besonders leicht dann ein, wenn die Versuchsperson die Nachahmungsbewegungen bei andern Hypnotischen gesehen hat. Abgesehen von den suggestiven Veränderungen der willkürlichen Bewegungen findet sich in der Hypnose noch eine zweite Eigentümlichkeit derselben: jede Muskelthätigkeit hat nämlich die Neigung, sich längere Zeit fortzusetzen, so daß eine willkürliche oder suggestive Unterbrechung oft Schwierigkeiten begegnet. Diese Neigung zeigt sich 3.) darin, daß ein Rontraktionszustand eines oder mehrerer Muskeln leicht zur Kontraktur, d.h. dauernd, wird; d) darin, daß bestimmte Bewegungen oft längere Zeit sich fortsetzen, wodurch die sogen, automatischen Bewegungen zu stände kommen: rotiert man die Hände eines Hypnotischen umeinander, so setzt er diese Bewegung längere Zeit fort; macht man mit seinem Kopf Nickbewegungen, so findet das Gleiche statt. Oft werden zwar sowohl die Kontrakturen als diese automatischen Bewegungen durch den Befehl des Experimentators sofort unterbrochen; in manchen Fällen jedoch reicht dieser nicht aus, einen momentanen Nachlaß herbeizuführen.
Nächst der willkürlichen Muskulatur zeigen sich häusig Veränderungen in der Sinneswahrnehmung.
Während es aber keine Hypnose gibt, wo nicht oic erstere, wenn auch nur teilweise, abnorm funktioniert, sind die Sinneswahrnehmungen nur in etwa 20-30 Proz. der Fälle deutlich beeinflußt. Hier werden Sinnestäuschungen für fast alle Sinne geschaffen: man läßt durch Suggestion den Hypnotischen glauben, daß er Bäume, Berge, Tiere, Menschen sehe, dic nicht vorhanden sind; er hört Melodien, Konzerte, Schüsse; mit großer Leichtigkeit ruft man einen ekelhaften Geruch, einen süßen Geschmack suggestiv hervor. Die Sinnestäuschungen treten zuweilen als tzalluzinationen auf, d. h. sie finden statt, ohne daß überhaupt ein äußeres Objekt wahrgenommen wird; der Hypnotische glaubt einen Hund da zu sehen, wo nichts ist; viel häusiger aber treten sie als Illusionen auf, d. h. es werden äußere Gegenstände wahrgenommen, aber falsch gedeutet: ein Buch wird für einen Hund gehalten, ein Kratzen auf dem Tisch für Musik.
Sind die Sinnestäuschungen vollkommene, so zeigt sich das ganze Verhalten, das Aussehen der Person dem entsprechend verändert. Lebhafter Schrecken malt sich in dem Gesicht der Person, die einen Tiger auf sich zu stürzen glaubt; ein Gourmand kann kein zufriedeneres Gesicht zeigen als der Hypnotische, wenn er eine Delikatesse zu verzehren glaubt. Derartige Wirkungen der Sinnestäuschungen können sich in einzelnen, wenn auch seltenen Fällen selbst in Veränderungen zeigen, die normaliter vom Willen unabhängig sind: einer Person, der man suggeriert, sie riecke eine Zwiebel, thränen die Augen; einer andern wird ein ekelhafter Geschmack suggeriert, in dessen Folge Erbrechen auftritt. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Sinnestäuschungen, bei denen ein nicht vorhandenes Objekt wahrgenommen wird, und die man auch als positive bezeichnet, stehen die negativen, bei denen vorhandene Objekte nicht wahrgenommen werden. So werden auf suggestivem Weg sehr leicht Personen und Gegenstände unsichtbar gemacht; ein gespieltes Musikstück wird unhörbar.
Endlich vermag man auch nicht nur einzelne Objekte der Wahrnehmung zu entziehen, sondern auch ein oder mehrere Sinnesorgane funktionsunfähig zumachen oder vielmehr die von ihnen aufgenommenen Eindrücke gänzlich dem Bewußtsein zu entrücken: ein Auge oder beide werden auf Suggestion blind, bestimmte Teile der Haut gefühllos. In ähnlicher Weise, wie die Sinneswahrnehmungen durch Suggestion beeinflußt werden, stehen unter deren Einwirkung die Gemeingefühle und die Stimmung'. Avmger, Durst, Wohlbefinden, Trauer, Freude :c. werden in dieser Weise hervorgerufen.
Seltener ist der unwillkürliche Bewegungsapparat der Suggestion zugänglich. Ob die Atmung und der Puls in der Hypnose Änderungen der Frequenz oder andrer Art darbieten, ist fraglich; manche von Experimentatoren angegebene Schwankung erklärt sich leicht durch die während des Hypnotisierens stattfindende psychische Erregung, ist mithin nicht direkt von der Hypnose abhängig. Über den direkten Einfluß der Suggestion auf die Herzthätigkeit liegen wenige exakte Untersuchungen'vor; hingegen kann man öfter durch Suggestion die Atmung auf einige Zeit unterbrechen. Von sonstigen hierher gehörigen Erscheinungen sei das suggestiv hervorgerufene Erbrechen und der noch öfter zu erzielende Stuhlgang, der auf Befehl eintritt, erwähnt. Nußerst selten sind endlich die Versuche gelungen, organische Veränderungen durch Suggestion hervorzubringen.
Hierher gehörige Versuche wurden mehrfach, in letzterer Zeit auch von Forel und Moll veröffentlicht, bedürfen