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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Säugetiere

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Säugetiere (Stammesgeschichte).

Unpaarhufer, nämlich die pferdeähnlichen Hyrakotherien, Pachynolophus, Propalaeotherium und die zahlreichen, im Skelett und Zahnbau an Tapir und Rhinozeros erinnernden, zum Teil sehr großen dreizehigen Lophiodonten. Auch finden sich hier Kreodonten, darunter insbesondere die bärenähnlichen Arctocyon, die übrigens auch schon in der Fauna von Reims vorkommen, und einige sehr primitive Affen mit hoher Zahnzahl (7 Backenzähne, Caenopithecus, den spätern Adapis ähnlich). Einige Lokalitäten haben auch Reste des Coryphodon geliefert, eines für das Eocän von Nordamerika so wichtigen Amblypoden.

Eine sehr viel formenreichere, aber jedenfalls jüngere Fauna finden wir im Pariser Gips, in der Vaucluse und in den schwäbischen Bohnerzen. Ebenso gehört der größte Teil der in den Schweizer Bohnerzen begrabenen S. dieser Periode an. Die Unpaarhufer haben auch hier noch das entschiedene Übergewicht. Besonders häufig sind Palaeotherium, in der Große zwischen Schaf und Rhinozeros wechselnd, im Skelettbau an Tapir, im Zahnbau aber an die altertümlichen Pferde (Orotherium, Pachynolophus) erinnernd, jedoch bereits mit sehr wohl entwickelten vordern Backenzähnen, und Paloplotherium und Anchilophus, beide sich eng anschließend an Orotherium und Seitenausläufer des Pferdestammes darstellend. Die Paarhufer sind vertreten durch die hirschähnlichen schlanken Dichobunen und Xiphodon, die schweineähnlichen Cebochoerus, Choeromorus und Choeropotamus und die ganz fremdartigen Anoplotherien. Alle diese alten Paarhufer besaßen im Gegensatz zu den jüngern auf den obern Molaren noch einen fünften Höcker, der später mit dem vordern Innenhöcker verschmolz. Xiphodon und Dichobune haben noch freie Mittelfußknochen, während dieselben bei den jüngern Vorläufern der Wiederkäuer verwachsen sind. Die Zehenzahl ist beim Xiphodon zwei, bei Dichobune vier. Die Anoplotherien waren mit Ausnahme einer Art, welche bereits den zweiten Finger an der Hand verloren hatte, dreizehig, doch hatte sich die zweite Zehe schon bedeutend verkürzt und stand schräg von den beiden übrigen ab. Diese Tiere erinnern in ihrem Habitus viel eher an Raubtiere als an Huftiere, insbesondere infolge der auffallenden Länge des Schwanzes und der krallenartigen Beschaffenheit der Zehenendglieder.

Die Raubtiere sind in Europa im jüngern Eocän teils durch Kreodonten, Hyaenodon mit hyänenähnlichen Zähnen und Pterodon, teils durch echte Karnivoren, die Cynodictis, im Gebiß an die Hunde, im Skelett und Fußbau an Zibetkatzen erinnernd, teils durch Beutelratten (Peratherium), von den lebenden Didelphys kaum zu unterscheiden, vertreten. Auch Affen (Adapis) kommen hier vor. Eine ganz ähnliche, aber sehr viel reichere Fauna enthalten die Phosphorite des Quercy (Departement Lot). Dieselbe verdient insbesondere deshalb ein großes Interesse, weil hier auch die kleinern S. (Fledermäuse, Nager, Insektenfresser) ungemein häufig und wie alle dortigen Reste in vorzüglicher Erhaltung anzutreffen sind. Von den Fledermäusen schließen sich die einen eng an die Hufeisennasen, die andern mehr an die Vespertilioniden an; die letztern haben jedoch noch verschiedene altertümliche Merkmale (vordere Kieferpartie sehr lang). Die Nager sind vertreten durch mausähnliche Formen (bei einer sogar noch vier Backenzähne vorhanden), Eichhörnchen, ferner durch die formenreichen, an die südamerikanischen Stachelratten erinnernden Theridomys, die eriomyidenähnlichen Archaeomys und die meerschweinchenartigen Nesokerodon. Von Insektenfressern sind zu erwähnen: Maulwurf, Spitzmaus und eine igelähnliche Form.

Die Fleischfresser haben einen großen Formenreichtum aufzuweisen. Neben den zahlreichen Cynodictis finden sich Formen, welche gewissermaßen die Bären ersetzen, Pseudamphicyon und Cephalogale, beide jedoch im Gegensatz zu den Amphicyon, den echten Ahnen der Bären, mit geringerer Zahnzahl versehen, ferner die Stammeltern der Hunde, die fünfzehigen Cynodon, Zibetkatzen und die Vorläufer der Fischottern (Plesiocyon), der Marder (Plesictis) und Iltisse (Palaeogale). Bei diesen letztgenannten Musteliden sind die hintern Backenzähne, die jetzt ganz fehlen oder doch zu winzigen Gebilden reduziert erscheinen, noch sehr kräftig entwickelt, weshalb die Annahme durchaus begründet ist, daß auch sie von Formen mit hundeähnlichem Gebiß ausgegangen sind. Außerdem finden sich marderähnliche Formen (Palaeoprionodon etc.), welche wohl gänzlich ausgestorben sind, sowie katzenartige Typen (Aelurogale). Die bereits genannten großen Kreodonten (Plerodon und Hyaenodon) fehlen auch hier nicht, daneben gab es auch noch kleine Formen mit zibetkatzenähnlichen Backenzähnen. Die in den Schweizer Bohnerzen beobachteten Halbaffen (Necrolemur), dem lebenden Galago Westafrikas nahestehend, kommen auch in den Phosphoriten vor, ebenso die Affen des Pariser Gips, die Adapiden. Diese letztern unterscheiden sich von den lebenden Affen durch den niedrigen Schädel, die lange Gesichtspartie und die Vierzahl der vordern Backenzähne. Sie sind jedenfalls mit den nordamerikanischen Hyopsodiden nahe verwandt, haben aber im Gegensatz zu diesen, den Ahnen der Paviane, keine Nachkommen hinterlassen. Außer den schon erwähnten Huftieren enthalten die Phosphorite auch die Ahnen der Hirsche (Gelocus und Prodremotherium), bei welchen die Fußknochen der beiden Mittelzehen bereits miteinander verschmolzen sind und auch die Seitenzehen schon bedeutende Reduktion erfahren haben; bei Gelocus zwar noch vorhanden, aber schon in der Mitte aufgelöst, beim letztern aber sind bloß noch deren obere Reste erhalten. Sehr häufig sind in den Phosphoriten die kleinen, ebenfalls mit den Hirschen verwandten Cänotherien und Xiphodontherien, die jedoch keine Bedeutung für die Stammesgeschichte der Wiederkäuer haben, sondern gänzlich erloschen sind. Die erstern haben vier, die letztern zwei Zehen, zeigen aber noch keine Verschmelzung der Mittelfußknochen. Endlich kommen auch Reste von Anthracotherien und Rhinozeroten vor. Gleich den Gelocus gehören sie indes sicher einer jüngern Periode an als die Fauna des Pariser Gipses. Ihre Reste wurden erst später mit jenen der ältern Tierwelt vermengt.

Anoplotherien, Cynodon, Gelocus und mehrere der altertümlichen gänzlich ausgestorbenen Nager (Pseudosciurus und Sciuroides), fanden sich kürzlich auch in den Bohnerzen von Ulm. Ebendaselbst kommt auch ein Tapir mit sehr einfach gebauten vordern Backenzähnen vor.

Die nächstfolgende Tierwelt (Ronzon, Ober-Loire) enthält so ziemlich die gleichen Typen der Fleischfresser (doch fehlen die Katzen, Beuteltiere, Insektenfresser und Nager), nur ist die Zahl der Arten sehr viel geringer. Von Huftieren kommen vor die Cänotherien, Gelocus, Rhinozeroten und Paloplotherien; diese letztern verschwinden von da an