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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eisenbahnbetriebssicherheit (Zugbremsen, Signalwesen)

Radreifenbrüche sind vorgekommen auf je 100 Mill. geförderte Achskilometer:

im Jahr 1884 35

" " 1885 41

" " 1886 47

im Jahr 1887 84

" " 1888 40

" " 1889 34

im Jahr 1890 31

Auf je 10,000 im Betrieb vorhanden gewesene Radreifen kommen an Brüchen:

im Jahr 1884 25

" " 1885 29

" " 1886 33

im Jahr 1887 26

" " 1888 40

" " 1889 31

im Jahr 1890 23

Eine sehr wichtige Bestimmung für die Sicherheit des fahrenden Zuges enthält das neue, 1. April 1886 zur Einführung gelangte Bahnpolizei-Reglement. Danach müssen alle Personenzüge, welche mit einer Geschwindigkeit von 60 km in der Stunde und mehr fahren, mit einer durchgehenden Bremse ausgerüstet sein. Diese Bestimmung bedeutet eine wichtige Errungenschaft, welche sich in ihren Folgen sofort als überaus segensreich erwiesen hat. Thatsächlich sind heute schon sämtliche Personenzüge, auch die mit einer geringern Geschwindigkeit fahrenden, mit durchgehenden Bremsen ausgerüstet. Die preußische Staatsbahn hat für die Züge der Hauptbahnen die Luftdruckbremse von Carpenter und für die Züge auf Nebenbahnen die Reibungsbremse von Heberlein zur Einführung gebracht; außerdem findet auf der Berliner Stadtbahn die Vakuumbremse von Hardy Anwendung. Die süddeutschen Staaten (z. B. Bayern, Württemberg, Baden) haben die Luftdruckbremse von Westinghouse, während die sächsische Staatsbahn die Luftdruckbremse von Schleiffer eingeführt hat. Nach den in den letzten Jahren wiederholt vorgenommenen ausführlichen Bremsversuchen ist, wie es scheint, von allen diesen und andern Systemen dasjenige von Westinghouse als das beste in Bezug auf schnelle und sichere Wirkung, einfache Konstruktion und Handhabung nunmehr endgültig erkannt worden. Es ist daher auch die preußische Staatsbahnverwaltung bereits in Unterhandlungen begriffen, um die vor einigen Jahren angenommene Carpenterbremse in die Westinghousesche umwandeln zu lassen.

Die durchgehenden Bremsen haben in erster Linie den Vorteil, daß sie durch einen einzigen kurzen Handgriff des Lokomotivführers zum Anziehen gebracht werden und dann unter ausreichendem und überall gleichem Druck zur Wirkung kommen, während früher erst der Lokomotivführer zum Bremsen pfeifen mußte, und dann jeder einzelne Bremser mehr oder weniger schnell und kräftig seine Bremse anzog. Ein weiterer großer Vorteil ist der der Selbstthätigkeit bei Zugzerreißungen. Zerreißt ein Zug während der Fahrt, so werden beide Zugteile sofort selbstthätig gebremst; ein Aufeinanderlaufen kann also nicht stattfinden. Schließlich kann der Zug von jeder Wagenabteilung aus durch die Reisenden selbst sofort gebremst werden, was in Gefahrfällen, die nicht vom Zugpersonal, wohl aber von den Reisenden bemerkt werden, von größter Wichtigkeit ist.

Ein dritter Faktor, welcher von hoher Bedeutung für die Betriebssicherheit der Eisenbahnen ist, ist das Signalwesen. Dies ist für die Eisenbahnen Deutschlands durch die bereits erwähnte Signalordnung vom 30. Nov. 1885 in einheitlicher, grundlegender Weise neu geregelt worden. Hiernach sind für die einzelnen Verwaltungen eine Reihe von Reglements und Verordnungen erlassen, welche alle für die Bedürfnisse der verschiedenen Bahnen

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notwendigen Signalvorschriften im einzelnen enthalten. Bei zweigeleisigen Bahnen fahren die Züge im allgemeinen (in Deutschland jetzt durchweg) rechts, d. h. sie fahren auf dem in der Fahrtrichtung rechts gelegenen Geleise. Die Zugfolge ist nicht mehr, wie früher, durch bestimmte Zeitintervalle abgegrenzt, sondern geschieht jetzt allgemein in Stationsdistanz, d. h. es darf der folgende Zug nicht eher die Station verlassen, bis der vorangegangene die nächste Station passiert hat. Da nun die Bahnhöfe (Stationen) häufig sehr weit auseinander liegen und dadurch eine im Interesse des Verkehrs wünschenswerte schnelle Zugfolge sehr behindert würde, so hat man zwischen die entfernt voneinander liegenden Bahnhöfe sogen. Signal- Zwischenstationen eingeschoben, welche gleichfalls mit sichtbaren Fahr- und Haltesignalen und mit elektrischen Sprechapparaten ausgerüstet sind, mit erstern, um den Zügen dieselben Fahrzeichen zu geben, wie die eigentlichen Stationen, und mit letztern, um die Zugmeldungen zu besorgen. Die durch diese Signal-Zwischenstationen geschaffenen Bahnabschnitte haben eine ungefähre Länge von 3-6 km. Es besteht hierbei nun das Gesetz, daß niemals in einen solchen Bahnabschnitt ein zweiter Zug hineingelassen werden darf, bevor der erste nicht wieder heraus ist, was der ersten Station durch die sogen, telegraphische Rückmeldung bekannt gegeben wird.

Steht der Abfahrt eines Zuges nichts entgegen, so wird derselbe zunächst bis zur nächsten Station abgeläutet, d. h. es wird durch einen Läute-Induktor ein aus mehreren Schlägen bestehendes Glockensignal abgegeben, welches sämtliche Streckenwärter und Zwischenstationen bis zur nächsten Hauptstation von der Ankunft eines Zuges benachrichtigt. Dieses Signal kann bis zu 10 Minuten vor Abgang des Zuges gegeben werden. Fährt der Zug in dieser Zeit nicht ab, so muß das Läutesignal wiederholt werden. Kurz (1-3 Minuten) vor der Abfahrt selbst erfolgt die telegraphische Meldung an die nächste Zwischenstation, daß der Zug kommt. Nähert sich der Zug der Zwischenstation, so hat diese die Meldung weiter abzugeben, und hat der Zug die Station passiert, so muß sofort die Rückmeldung erfolgen; es steht dann der weitern Zugfolge nichts entgegen. Diese Zugmeldedepeschen sind sehr kurz und können sehr schnell gegeben werden.

Bei eingeleisigen Bahnen ist das Verfahren ein anderes, da Zugkreuzungen nicht auf freier Strecke, sondern nur auf den Bahnhöfen stattfinden können. Hier müssen daher die Züge »angeboten« werden, d. h. die ablassende Station muß bei der nächsten anfragen, ob der Zug kommen kann, und darf die weitern Meldungen dann erst abgeben, wenn eine zustimmende Antwort erfolgt ist.

Die hauptsächlichsten sichtbaren Signale für den Zugbeförderungsdienst sind die Bahnhofs-Einfahrtssignale und die Zwischenstationssignale. Beides sind 8-15 m hohe, weithin sichtbare Mastbäume, an deren obern Ende sogen. Flügel derart angebracht sind, daß man die mit denselben gegebenen Fahrzeichen vom Zuge aus stets rechts sieht. Bei Nacht werden diese Fahrzeichen durch entsprechende Lichtsignale am Mast gegeben. In den letzten Jahren sind die sogen. Vorsignale in erhöhtem Maße zur Einführung gekommen. Diese sind selbstthätig mit dem Hauptsignal derart verbunden, daß der Lokomotivführer an dem 500-600 m vorauf stehenden Vorsignal bereits erkennt, ob er »Fahrt« oder »Halt« am Hauptsignal vorfinden wird. Dies erleichtert dem Führer natürlich sehr, seine Vorbereitungen zu treffen, so daß er