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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Fleischhandel (Fleischbeschau, Einfuhr geschlachteten Fleisches)

schluß gebenden, vom Fleischbeschauer des Schlachtortes ausgestellten und mit dem Ortssiegel des Schlachtortes versehenen Gesundheitsscheines sein, der jedoch nur für einen Tag Gültigkeit hat. § 4. Das nach § 2 eingebrachte Fleisch muß alsbald nach seinem Einbringen in die Stadt und ehe irgend weitere Verfügung darüber getroffen wird, in das Schlachthaus verbracht und dein Fleischbeschauer zur Besichtigung vorgelegt werden; bei der Besichtigung sind Schnüre und Siegel zu vernichten. Das besichtigte und bankwürdig befundene Fleisch erhält den Beschaustempel, das nicht bankwürdige, aber noch genießbare Fleisch ist unter Aufsicht in das Freibanklokal verbringen zu lassen; ungenießbares Fleisch wird sofort unbrauchbar gemacht oder in Beschlag genommen und der Polizeibehörde zur Verfügung gestellt. - Durch diese Maßregeln ist man in den Staaten mit geregelter Fleischbeschau in der Lage, das platte Land zur Fleischversorgung der großen Städte heranzuziehen, ohne daß das sanitätspolizeiliche Interesse hierbei in den Hintergrund träte. Namentlich sind es die bessern und wertvollern Fleischstücke, welche auf diese Weise in die Städte verbracht werden, weil sie dort bessere Abnahme finden als auf dem Lande.

Wesentlich anders verhält es sich mit den Großstädten in denjenigen Staaten, in welchen keine allgemein geregelte Fleischbeschau besteht. Daselbst besteht die Forderung zu Recht, welche Bollinger auf der 16. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu Braunschweig erhoben hat: Bis zur allgemeinen Durchführung der Fleischbeschau ist der Handel mit ausgeschlachtetem Fleisch möglichst zu erschweren oder ganz zu verbieten. Denn es muß als ein großer Mißstand bezeichnet werden, wenn in Städte, welche mit einer strengen Fleischbeschau ausgestattet sind, völlig unkontrollierbares Fleisch vom Land eingeführt werden darf. Berlin z. B. besitzt seit 1883 obligatorische Fleischbeschau. Bis 1887 durfte aber von den Landschlächtern Fleisch ganz unkontrollierbarer Herkunft ohne jegliche Einschränkung auf den Märkten feilgehalten werden. Seit 1887 besteht nun der nachträgliche Untersuchungszwang für das von auswärts eingeführte Fleisch, und die Berichte der städtischen Fleischbeschau zeigen auf das unzweideutigste, daß diese nachträgliche Untersuchung sehr notwendig ist. Im Berichtsjahr 1889/90 mußten in den Untersuchungsstationen für das von auswärts eingeführte Fleisch unter anderm 179 Rinderviertel, 1 Schaf, 15 Schweine und 102 einzelne Organe wegen Tuberkulose, 11 1/2 Schweine wegen Trichinen, 62 Rinderviertel, 22 Rinderköpfe, 6 Rinderzungen, 1 Kalb und 83 Schweine wegen Finnen, 3 Schweine wegen Rotlaufes, 63 Kälber wegen Fäulnis, 200 Lungen und Lebern wegen Echinokokken, 260 Lungen wegen Fadenwürmer beschlagnahmt werden. Und dabei bringen die Landschlächter Tiere und Organe, welche ihnen selbst krank und verdächtig erscheinen, nicht auf den Markt. Trotzdem ist, wie bereits begründet wurde, diese nachträgliche Untersuchung des ausgeschlachteten Fleisches nur als eine unvollkommene Schutzmaßregel gegen gesundheitsschädliche Ware anzusehen, und es kann nur gebilligt werden, wenn eine Anzahl norddeutscher Städte vorschreibt, daß das von auswärts eingeführte Fleisch nur an besondern Verkaufsstellen und mit der Aufschrift an denselben »Von auswärts eingeführt« feilgehalten werden darf. Das kaufende Publikum ist dann wenigstens über die wahren Verhältnisse aufgeklärt und

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kann dem Erwerb solchen verdächtigen Fleisches aus dem Wege gehen.

Bei der Einfuhr ausgeschlachteten Fleisches aus fremden Ländern ist die Wahrung der sanitätspolizeilichen Interessen eine verschiedene, je nach dem Grade, welchen die Ausübung der Fleischbeschau dort erlangt hat. Deutschland, Frankreich sowie Österreich-Ungarn haben größtenteils eine gut geregelte Fleischbeschau. Dagegen bietet die russische, serbische und englische Provenienz nicht diejenige Garantie für die Beschaffenheit der Ware in gesundheitspolizeilicher Hinsicht, welche wir mit Recht verlangen müssen. Denn diese Länder besitzen keine Fleischbeschau-Organisation. Ähnlich war es bis vorkurzem mit Amerika. Infolge des deutschen Einfuhrverbotes jedoch entschlossen sich die Vereinigten Staaten, die sogen. Meat-Inspection-Bill vom 30. Aug. 1890 zu erlassen, durch die eine obligatorische Beschau von allem zur Ausfuhr bestimmten Fleisch vorgeschrieben wird. Nach den Mitteilungen aber, welche die öffentlichen Blätter über die Handhabung besagter Bill gebracht haben, entspricht dieselbe durchaus nicht unsern Begriffen von Fleischbeschau. Außerdem besitzt Amerika, weil die Fleischbeschaufrage daselbst noch völlig neu ist, keine in der Fleischbeschau spezialistisch ausgebildeten Sachverständigen. Das Einfuhrverbot gegen amerikanisches Schweinefleisch wurde 1883 mit der Begründung erlassen, daß die amerikanischen Schweine sehr häufig mit Trichinen behaftet seien und hierdurch eine gemeine Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten bedingten. Thatsächlich sind 8-12 Proz. der amerikanischen Schweine nach zuverlässigen Angaben trichinös. In Deutschland kommt 1 trichinöses auf 7-8000 gesunde Schweine. In Amerika hatte früher ein förmliches Trichinenzüchtungssystem stattgehabt, weil in den großen Exportschlächtereien die Schweineschlachtabfälle zur Mast für andre Schweine verwendet worden sind. Trotz des hohen Prozentsatzes an Trichinen ist aber noch niemals eine Trichinenepidemie nach Genuß amerikanischen Schweinefleisches mit Sicherheit beobachtet worden. Dies rührt davon her, daß ein großer Teil desselben gekocht genossen wird. Anderseits sind die Trichinen infolge der Konservierung in der Regel getötet, wie sich in einer größern Anzahl von Fütterungsversuchen mit trichinösem amerikanischen Schweinefleisch bei Meerschweinchen und Kaninchen herausgestellt hat. Schließlich wäre zudem die Trichinengefahr nicht das Schlimmste, was dem amerikanischen Schweinefleisch anhaften könnte. Denn gegen diese Gefahr können wir uns durch eine obligatorische Untersuchung des eingeführten Schweinefleisches hinreichend schützen. Dagegen sind es andre Erkrankungen, wie Tuberkulose, septische Erkrankungen, Milzbrand, welche wir an dem amerikanischen Schweinefleisch ebensowenig wie an dem massenhaft aus Amerika eingeführten gepökelten Rindfleisch nachträglich feststellen können, wenn die Fleischbeschau in Amerika sich als nicht vollkommen zuverlässig erweist. Amerikanisches Rind- und Schweinefleisch stellt daher immerhin eine Ware vor, welche in hygienischer Hinsicht der in Deutschland geschlachteten und untersuchten nicht an die Seite gestellt werden kann. Es muß deshalb verlangt werden, daß das amerikanische Fleisch unter Angabe seiner Herkunft an bestimmten Orten verkauft werde. Außer dem durch Salz konservierten Fleisch gelangen auch große Mengen durch Eis konservierten Fleisches zum überseeischen Versand, und zwar sowohl Rindfleisch als Schweine- und Schaffleisch. Zu dem