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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Großbritannien (Geschichte)
Sympathiebezeigungen zwischen G. und den Drei-bundsmächten nicht. EinBesuch eines englischen (.....e-fchwaders in den italienischen und in den österrei-chischen Gewässern, insbesondere in Fiume, wo der Kaiser von Österreich im Iuni selbst zugegen war, führte zu einem Austausch freund lich ster Erklärun-gen. Namentlich aber wurden der wiederholte Be-
such, den Kaiser Wilhelm II. zu Anfang des Iuli
seiner königlichen Großmutter abstattete, und die be-aeisterte und glänzende Aufnahme, welche er in England fand (der Höhepunkt der Festtage war die Überreichung einer Adresse durch den Lord-May or von London in derGuildhall lo.Iuli), als ein Zeichen der immer festern Freundschaft zwischen G. und Deutsch-
land überall ausgelegt. Freilich suchte dann die eng-
lische Regierung ein gewisses Gleichgewicht in ihren politischen Demonstrationen dadurch herzustellen, daß sie der französischen Flotte unter Admiral Gervais die Einladung zugehen ließ, bei ihrer Rückkehr von den geräuschvollen franko-russischen Verbruderungs-festen zu Kronstadt England anzulaufen, und ihr bei ihrem Besuch in Portsmouth (18. Aug. und folgende Tage) gleichfalls einen glänzenden Empfang berei-tete: aber die englische Presse, mit Ausnahme weniger Blätter der Opposition, gab zu verstehen, daß damit an der politischen Haltung Großbritanniens nichts geändert sei. Und die leitenden Gesichtspunkte der letztern sprachen sich deutlicher als in den offiziellen Festlichkeiten in der Rede aus, welche der Premier-minister Lord Salisbury 29. Iuli bei dem Iahres-bankett des Lord.Mayors von London im Mansion-house der City hielt; mit bemerkenswerter Offenheit ward hier der Welt verkündet: alle diejenigen, weiche die territorialen Verhältnisse in Europa so aufrecht zu erhalten wünschten, wie sie gegenwärtig seien, ohne die furchtbaren Gefahren eines Krieges heraus-zubeschwören, alle diese seien Englands Verbündete. Daß nicht die Machte des Dreibundes es waren, von welchen eine Störung des Friedens der Welt zu erwarten war, lag auf der Hand. Und wenn im
Herbste gewisse speziell für England bedrohliche Vor-
.zeichen am Horizont der großen Politik sichtbar wur-den (das Abkommen zwischen der Türkei und Ruß-land über die Öffnung der Dardanellen für die Fuhr-
zeuge der sogen. sreiwilligen Flotte Rußlands , der
türkische Ministerwechsel, der einen russenfreiind-lichen Großwesir ans Ruder b..uchte, das Vordringen vorgeblich wissenschaftlicher Expeditionen iu Hoch-asien, die mit starker militärische Bedeckung bis in
bedrohliche Nähe Afghanistans gelangten, u. dgl.), so
waren es wiederum nicht die Mächte des Dreibundes, sondern ihre erklärten Gegner, von denen diese Be-wegungen ausgingen. Zeitweise riefen sie eine ge-wisse Erregung in G. hervor, doch gab sich die eng-lische Regierung mit den von seiten der Pforte in der Dardanellenfrage abgegebenen beruhigenden Er-klärungen in einer Note vom 8. Okt. um so mehr zu-frieden, als eben um diese Zeit innere Angelegen-heiten ihre Aufmerksamkeit wiederum in Anspruch nahmen. Am 6. Okt. nämlich waren zwei Todesfälle eingetreten, welche erhebliche politische Konsequenzen nach sich ziehen konnten : derjenige des ersten Lords des Schatzes und Führers der Regierungspartei im Un-terhause, W. H. Smith, und derjenige des "ungekrön-ten Königs von Irland", Ch. St. Parnell. Aj^beide knüpfte man namentlich im Lager der Opposition große Hoffnungen, indem man einerseits erwartete, daß wegen derWiederbesetzung der durch Smiths Tod erledigten leitenden Stelle im Ministerium Diffe-renzea zwischen den beiden Flügeln der Regierungs-
mehrheit, den liberalen Unionisten und den Konser-vativen, aufbrechen würden, anderseits hoffte, daß die wesentlich um der Persönlichkeit Parnells willen entstandene Spaltung in der irischen Partei aus-geglichen werden und die Gesamtheit der irischen Abgeordneten sich wiederum an Gladstone anschließen würde. Allein keine dieser Hoffnungen ging in Er-füllung. Die liberalen Unionisten verzichteten frei-
willig darauf, Smiths Stellung für sich in Anspruch
zu nehmen, und erklärten sich durch den Mund des Schatzkanzler Goschen damit eiuv erstand en, daß der hochbegabte und energische Obersekretär für Irland, A. I. Balfour, zu seinem Nachfolger ernannt wurde. Und innerhalb der irischen Partei war die Erbitte-rung der beiden Fraktionen, in welche dieselbe sich gespalten hatte, durch die kämpfe des letzten Iahres eine so große geworden, daß an eine Versöhnung nicht zu denken war. Vielmehr erklärten die Par-nelliten in einem Manifest an das irische Volk, daß sie die Politik ihres verstorbenen Führers mit aller Entschieden heit fortsetzen würden, und wählten den noch jugendlichen Abgeordneten Iohn Redlnond zu dessen Nachfolger, dem es zwarnicht gelang, Parnells Mandat für Cork gegen die Antiparnelliten zu be-haupten, der aber im Ianuar 1892 für Waterford ins Unterhaus gewählt wurde. Noch ein dritter
Todesfall, der kurz vor dem Schluß des Iahres 1891
eintrat, derjenige des Herzogs von Devonshire, war von politischer Bedeutung; durch denselben wurde Lord Ha^tington, der den Herzogstitel erbte, ins Oberhaus versetzt; die Führung der liberalen Ünio-nisten im Unterhaus ging auf Chamberlain über. Daß dann Lord Hartingtons bisheriger Wahlkreis Rossendale 16. Ian. 1892 von den Gladstonianern erobert wurde, war eine schwere Niederlage der Re-gierung und steigerte die Hoffnungen der Opposition ebensosehr wie der glänzende Sieg, den die Fort-schrittspartei bei den Grafschaftsratswahlen in ^on-don 5. März davontrug, indem sie von 96 Sitzen nicht weniger als 7o gewann.
Um so weniger war die Regierung geneigt, ihren Gegnern den Gefallen zu thun, die von diesen er-sehnten allgemeinen Neuwahlen durch eine vorzeitige Auflösung des Unterhauses herbeizuführen. Viel-
mehr stellte sie für die Tagung des Iahres 1892, die
9. Febr. eröffnet wurde, ein sehr umfassendes legis-latives Programm auf. Nachdem die üblichen iri-schen Anträge von Redmond und Sexton bei der Adreßdebatte 12. und 15. Febr. mit ausreichender Majorität abgelehnt waren, brachte 18. Febr. Balfour die erste der drei großen in der Thronrede angekün-digten Bills ein: den Gesetzentwurf über die Um-gestaltung der Lokalverwaltung in Irland. Er be-zweckte die Einführung von Grafschafts. und Baro-nialräten in Irland, denen ähnliche, wenn auch nicht so weitgehende Besugnisse der Selbstverwaltung wie den englischen Grafschaft sräten übertragen werden sollten. Allerdings sollte ihnen, wie früher ange-kündigt, die Kontrolle üb..r die Polizei vorenthalten bleiben, und gegen den Mißbrauch ihrer Rechte wur-den auch sonstige Kautelen in Aussicht genommen, indem den Gerichten die Befugnis zustehen sollte, auf Beschwerde von 2o Steuerzahlern gegen die Maßregeln der Räte einschreiten. Das Gesetz wurde von den Gladstonianern und Iren als nicht weitgehend genug zunächst heftig angegriffen, fand aber allmählich auch bei der Opposition gewisse An-erkennung. Mit mehr Beifall wurden von vorn-herein zwei andre Regierungsentwürfe begrüßt, die 25. Febr. von dem Ackerbauminister Chaplin und