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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Illegitimität (besondere Eigentümlichkeiten der unehelichen Nachkommenschaft)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Illegitimität'

Anmerkung: Fortsetzung von [II. Intensität und Haupterscheinungen der Illegitimität..]

5) Totgeburten. Die Zahl der Totgeburten ist bei den unehelichen Geburten eine weit höhere als bei den ehelichen; dabei ist die Gefahr für die männliche Frucht verhältnismäßig größer als für die weibliche. Es entfielen (nach Bertillon) auf 100 eheliche Totgeburten uneheliche Totgeburten in folgender Anzahl im Jahresdurchschnitt 1878-82:

Rumänien264Österreich158Italien133
Kroatien-Slaw.251Norwegen158Deutschland129
Ungarn210Elsaß-Lothr.147Dänemark125
Frankreich189Preußen138Sachsen122
Finnland174Thüringen138Baden121
Schweiz168Belgien135Bayern110
Niederlande163Schweden134Württemberg108

Es könnte scheinen, daß die Totgeburten deshalb bei den unehelichen Geburten zahlreicher sind, weil bei diesen die Erstgeburten verhältnismäßig häufiger vorkommen als bei den ehelichen; doch ist an vereinzelten Untersuchungen bewiesen worden, daß auch die Spätergebornen eine hohe Totgeburtsziffer haben. Die Ursache der häufigen Totgeburten unter den unehelichen Geburten liegt vielmehr hauptsächlich wohl in der elenden sozialen und ökonomischen Lage der unehelich gebärenden Mütter.

6) Die Konzeptionszeiten. Während wir bei den unehelichen Konzeptionen das erste (kosmische) Maximum im Frühjahr konstatieren und das zweite, weniger ausgeprägte soziale, im Spätherbst, verläuft die Monatskurve der unehelichen Geburten anders. Bei diesen ist das erste Maximum viel ausgeprägter als bei den ehelichen, worauf dann der Stand der Kurve durch den ganzen Sommer hindurch hoch bleibt, während das zweite Maximum fast vollständig verwischt ist und die Ziffer in den Herbst- und Wintermonaten überhaupt hinter jener der ehelichen Geburten zurückbleibt. Die Ursachen liegen ziemlich klar zu Tage. Das erste Maximum, im Frühjahr, wirkt eben stärker bei den unehelichen Geburten, weil bei diesen die im Frühjahr in der Natur überhaupt erwachenden Triebe zu häufiger Geschlechtsgemeinschaft führen, während das Wirken dieses Triebes in der Ehe durch die gleichmäßigere Ausübung abgeschwächt wird. Dagegen haben die Zeiten des sozialen Maximums der ehelichen Geburten im Spätherbst mit den geschlossenen kirchlichen Zeiten und dem Zusammenschließen der Bevölkerung in den Wohnstätten für die uneheliche Zeugung keine Bedeutung. Eher ist die uneheliche Geschlechtsgemeinschaft in den Sommermonaten erleichtert und steht da die Ziffer der unehelichen Konzeptionen in der That auch hoch. Diese Erscheinungen sind aus der folgenden, auf älterm österreichischen Material beruhenden Tabelle zu ersehen, in welcher der Prozentanteil der monatlichen Konzeptionen und Geburten an der Jahressumme verzeichnet ist:

GeburtsmonatVermutlicherEhelicheUneheliche
KonzeptionsmonatGeburtenGeburten
DezemberMärz7,768,25
JanuarApril8,789,31
FebruarMai9,239,66
MärzJuni8,779,04
AprilJuli8,298,59
MaiAugust7,888,42
JuniSeptember7,707,96
JuliOktober7,937,66
AugustNovember8,257,89
SeptemberDezember8,597,30
OktoberJanuar8,457,69
NovemberFebruar8,378,23
Zusammen:100,00100,00

III. Besondere Eigentümlichkeiten.

Bisher ist konstatiert worden, daß die I., was den Moment und die Vorgänge bei der Geburt anbelangt, charakteristische Eigentümlichkeiten in populationistischer Hinsicht aufweist. Es zeigt aber die uneheliche Nachkommenschaft auch ferner durch ihre ganze Lebenszeit hindurch so bezeichnende Merkmale, daß sie als ganz besondere Gruppe innerhalb der Bevölkerung betrachtet werden muß. Im folgenden sollen diese Eigentümlichkeiten hervorgehoben werden, insoweit dieselben bis jetzt mit genügender Klarheit zur Feststellung gelangt sind.

1) Die Vitalität. Es liegen noch keine Untersuchungen vor, aus denen entnommen werden könnte, ob die unehelichen Personen eine andre Absterbeordnung aufweisen als die ehelichen; wohl aber sind wir im stande, dieselbe bis zum vollendeten 5. Lebensjahr zu verfolgen. Da zeigt sich nun mit größter Bestimmtheit, daß die uneheliche Nachkommenschaft in den ersten Jahren des Lebens ganz bedeutend rascher durch den Tod dezimiert wird als die eheliche. Wappäus hat für eine Reihe europäischer Staaten festgestellt, daß von je 1000 ehelichen Kindern 218 und von je 1000 unehelichen Kindern 325, oder auf 100 eheliche 150 uneheliche im 1. Lebensjahr starben, daß dieses letztgenannte Verhältnis aber für mehrere Staaten und Gegenden viel ungünstiger stand und z. B. in Frankreich 218, in Schweden 172, in Preußen 160, speziell in Berlin 181, und in Stockholm 190, also unter gewissen Verhältnissen das Doppelte ausmachte. Einen genauern Einblick in diese Erscheinung gewinnen wir durch die vortreffliche Statistik Berlins, welcher die folgende Sterblichkeitstafel nach Altersklassen für 1886 entnommen ist:

Lebens-EhelicheUnehel.Lebens-EhelicheUnehel.
alterKinderKinderalterKinderKinder
Geburt966,45948,8010Monate725,49516,39
1Monat909,88823,6711"713,30501,69
2Monate883,03753,991Jahr702,19488,37
3"856,93698,74"676,08463,36
4"831,98654,79"657,29446,27
5"809,57617,27"644,34434,24
6"789,05587,242Jahre634,60426,83
7"771,44565,953"609,49405,82
8"754,17545,044"593,64392,54
9"739,83529,975"582,41385,21

Die mißliche Lage, in der sich im allgemeinen die Mütter unehelicher Kinder nicht nur in materieller, sondern auch in ethischer etc. Hinsicht befinden, die schlechte und oft ganz unzulängliche Pflege der unehelichen Kinder, die Sitte oder Notwendigkeit, dieselben Pflegepersonen anzuvertrauen, und die Unfähigkeit der Bestreitung genügenden Kostgeldes, endlich das weitverbreitete, die tiefste Verrohung verratende Gewerbe der »Engelmacherinnen« richten in den Scharen der unehelichen Kinder furchtbare Verheerungen an. 2) Inwiefern die uneheliche Nachkommenschaft für Krankheiten besonders empfänglich ist, steht noch nicht genügend fest, nur bezüglich der Geisteskrankheiten aller Art dürfte eine erhöhte Disposition derselben angenommen werden. 3) Was die Selbstmordshäufigkeit anbelangt, so sprechen die bisherigen Untersuchungen, wenngleich noch nicht mit Bestimmtheit, dafür, daß dieselbe bei der unehelichen Nachkommenschaft zum mindesten verhältnismäßig nicht geringer ist als bei der ehelichen. 4) Bezüglich der Kriminalität der unehelich gebornen Personen verweisen wir auf unsre Artikel im vorigen Jahres-Supplement (Bd. 18, S. 520).

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 467.