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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Landabtragung - Landgemeindeordnung
Landabtragung, s. Denudation.
Landgemeindeordnung. Die jüngste preußische
Ü., die, am 3. Juni 1891 erlassen, 1. April 1892 in Kraft getreten ist, regelt die Verfassung und die Verwaltung der ländlichen Gemeinden und ähnlicher Gebilde in den sieben östlichen Provinzen der Monarchie: Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen. Bei der Eigentümlichkeit der dortigen Grundbesitzverhältnisse, wo Bauerngemeinden neben und innerhalb großer Latifundien existieren, war die generelle Durchführung einheitlicher Grundsätze mit besondern Schwierigkeiten verbunden. Es ist bekannt, daß die Beratung des am 11. Nov. 1890 dein Landtag vorgelegten Entwurfes zu heftigen Kämpfen führte, und daß lange Zeit hindurch es höchst zweifelhaft war, ob dieselben nicht zur Auflösung des Abgeordnetenhauses oder zur Entlassung des derzeitigen Ministers des Innern führen müßten, bis es endlich gelungen ist, durch ein Kompromiß die widerstreitenden Interessen zu versöhnen.
Vorbereitet war die deform durch die Kreisordnung für die östlichen Provinzen (mit Ausnahme von Posen) vom 13. Dez. 1872, durch welche unter gleichzeitiger Ordnung der Ortspolizei den Gutsherrschaften die Polizeigewalt und die damit verbundene Aufsichtsbefugnis über die Landgemeinden sowie das Recht, die Schulzen und Schöffen zu ernennen, genommen und den Gemeinden die Befugnis der Wahl zu diesen Ämtern verliehen worden war. Nunmehr ist auch die rechtliche Stellung der selbständigen Gutsbezirke und der Landgemeinden durchgreifend geordnet, und zwar in der Weise, daß die Gesamtheit der Besitzungen einer Gutsherrschaft in kommunaler Beziehung den Gemeinden gleichgestellt und die Guts bezirke in öffentlich-rechtlicher Beziehung mit denselben Befugnissen und Verpflichtungen wie jene ausgestattet worden sind. Um jedoch den örtlichen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist es in letzter Linie der Krone und bez. der Entscheidung des Staatsministeriums anhenngestellt, einzelne Grundstücke, welche noch keinem Gemeinde- oder Gutsbezirk angehören, mit einem solchen zu verbinden oder, wenn eine solche bestehende Verbindung den Bedürfnissen nicht entspricht, die fraglichen Teile abzutrennen und mit einem andern Bezirk zu verbinden, wie nicht minder zu solchem Zwecke ganze Landgemeinden oder Gutsbezirke aufzulösen oder aber mit andern Bezirken zu vereinigen. In ähnlicher Weise kann auch die Verbindung von Landgemeinden oder Gutsbezirken mit Stadtgemeinden erfolgen. Endlich ist die Möglichkeit eröffnet, für einzelne kommunale Zwecke, denen nachbarlich gelegene Gemeinden und Gutsbezirke, die im allgemeinen leistungsfähig sind, nicht Genüge leisten können, Gemeindeverbände zu bilden, und zwar letzteres mangels Einverständnisses der Beteiligten durch Anordnung des Oberpräsidenten der Provinz.
Die Landgemeinden sind öffentliche Körperschaften, denen vorbehaltlich der Staatsaufsicht die Regelung der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten zusteht; auch die »Gemeinoeuerbände erfreuen sich innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung einer relativen Selbständigkeit. Als Organ der Landgemeinden fungiert der Gemeindevorst and, bestehend in kleinern Gemeinden aus dem Gemeindevorsteher (Schulze, Scholze, Richter, Dorfrichter), welcher an der Spitze
richtsmä'nner, Gerichtsgeschworne, Dorfgeschworne), welche den Vorsteher in den Amtsgeschäften zu
unterstützen und in Behinderungsfällen zu vertreten haben. Gemeindevorsteher und Schöffen werden aus der Zahl der Gemeindeglieder in der Regel auf6 Jahre gewählt; in gröbern Gemeinden kann die Anstellung eines besoldeten Gemeindevorstehers, und zwar auf die Dauer von 19 Jahren, beschlossen werden, bei dessen Wahl man nicht auf die Gemeindeglieder beschränkt ist. Der Gemeindevorsteher ist diö Obrigkeit der Landgemeinde und führt deren Verwaltung wie auch den Vorsitz in der Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung; ihm liegen ferner insbesondere ob die Vertretung der Gemeindenach außen, die Anstellung etwaniger Gemeindebeamten, die Verteilung der Gemeindeabgaben und -Dienste, die Führung und Beaufsichtigung des Nechnungs- und Kastenwesens, die Ausführung der Gesetze und Verordnungen sowie der Verfügungen der ihm vorgesetzten Behörden, endlich die Ausführung der Beschlüsse der Gemeindeversammlung. In Beziehung auf die letztern steht ihm jedoch ein gewisses Veto zu, in der Weise nämlich, daß er, falls nach seiner Ansicht ein solcher Beschluß das Gemeinwohl oder das Gemeindeinteresse verletzt, er berechtigt und verpflichtet ist, die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und, falls bei nochmaliger Beratung der Beschluß aufrecht erhalten wird, die Entscheidung des Kreisausschusses einzuholen. Soweit nicht das Gesetz dies dem Gemeindevorsteher übertragen hat, hat die Gemeindeversammlung über die Gemeindeangelegenheiten zu beschließen. In Gemeinden jedoch, in welchen die Zahl der Stimmberechtigten mehr als 40 beträgt, tritt in allen Richtungen an die Stelle der Gemeindeversammlung die Gemeindevertretung, welche aus dem Gemeindevorsteher, den Schöffen un) den Gemeindeverordneten, deren Zahl mindestens das Dreifache der Schöffenzahl betragen muß, besteht.
Auch gegenüber den Beschlüssen der Gemeindevertretung besteht das oben erwähnte Vetorecht des Gemeindevorstehers. Der Gemeindevorsteher ist neben seiner kommunalen Stellung auch Organ der Polizeiverwaltung mit allen danut verbundenen Befugnissen und Obliegenheiten. In selbständigen Gutsbezirken hat der Gutsbesitzer für die Pflichten und Leistungen aufzukommen, welche den Gemeinden für den Bereich ihres Bezirkes im öffentlichen Interesse obliegen, und ist ebenfalls Organ der Polizeiverwaltung, für deren Führung er in eigner Person oder durch einen geeigneten Stellvertreter zu sorgen hat.
Die Einwohner der Landgemeinden sind zu unterscheiden, je nachdem üe nur die Gemeindeangehörigkeit oder auch das Gemeindebürgerrecht (Gemeinderecht) besitzen. Angehörige der Landgemeinde sind, nnt Ausnahme dernichtangesefft^ nen seruisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes, diejenigen, welche innerhalb des Gemeindebezirks einen Wohnsitz haben. Die Gemeindeangehörigen sind zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Gemeinde berechn tigt und zur Teilnahme an den Gemeindeabgaben un) -Lasten verpflichtet. Die Gemeindeabgaben können als Zuschläge zu den Staatssteuern wie auch als direkte und indirekte Steuern erhoben, ferner können Gebühren eingeführt, endlich auch als Entgelt für die Benutzung der gemeindlichen Einrichtungen und Anstalten Hand- und Spanndienste aufgelegt werden. Die Geistlichen und die Volksschullehrer bleiben bezüglich ihres Diensteinkommens, einschließlich des Ruhegehaltes, von direkten persönlichen Gemeindeabgaben und -Diensten befreit. Für aktive und pensionierte Reichs- und Staatsbeamte, deren Witwen