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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Naturforschergesellschaft (Versammlung in Halle 1891)
tung durch hygienische Maßregeln nicht über gewisse Schranken hinaus kann, so steht der Heilkunst doch noch ein weites Feld offen in der Bekämpfung der Krankheitserscheinungen, welche dem Kranken seine Leiden erleichtert, ihn leistungsfähig erhält und nicht selten sogar dem Organismus Zeit und Ruhe zur Selbstheilung verschafft. Redner überblickte die lange Reihe der neuern therapeutischen Hilfsmittel, um schließlich die Hoffnung auf weitere Fortschritte der Heilkunst innerhalb der ihr von der Natur gezogenen Grenzen Ausdruck zu geben.
Hierauf sprach Lepsius-Frankfurt über das alte und neue Pulver. Die Erfindung des schwarzen Schießpulvers ist in tiefes Dunkel gehüllt, jedenfalls aber ist nicht das fertige Pulver Einem genialen Erfinder zu verdanken. Wenn also die Frage: Wer hat das Pulver erfundene nicht gut zu beantworten ist, so fällt es schon etwas leichter, zu entscheiden, wer es nicht erfunden hat, und jedenfalls gehört zu diesen Nichterfindern der vielgenannte Dominikanermönch Berthold Schwarz, obwohl man ihm, von dem niemand weiß, wo und wann er geboren, ein Denkmal als Erfinder gesetzt hat. Nur dürftige Andeutungen überliefert uns die alte Geschichte über explosive Mischungen von Kohle und Schwefel oder andern leicht brennbaren Stoffen mit Salpeter; aber so viel scheint festzustehen, daß das griechische Feuer nichts andres als eine derartige Mischung gewesen ist. Nachdem dasselbe lange Zeit nur als ein Mittel, Feuer irgendwohin zu schleudern, benutzt worden war, beobachtete man endlich auch die treibende Kraft der Mischung und benutzte diese zunächst in der Form der Rakete, bis schließlich das Feuergewehr der Verwendbarkeit des Pulvers seinen Abschluß gegeben. Es geschah dies etwa in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh.; schon in der Mitte des 14. stellte man in Italien, Frankreich Kanonen her, und in der Schlacht bei Crecy hatten die Engländer eine Batterie von drei Kanonen. Die Fabrikation des Pulvers in Spandau läßt sich bis 1344 zurückverfolgen. Durch die Erfindung des Bajonettgewehrs wurde die Pike aus der Reihe der Waffen verdrängt; aber erst Friedrich d. Gr. verlegte den Schwerpunkt der Gefechtsführung in das Feuergefecht, ein Prinzip, welches Napoleon noch erheblich weiter ausbildete. Als die Amerikaner begannen, ihre Schiffe mit Eisenpanzern zu bekleiden, trat die Notwendigkeit auf, die Pulverladungen der Schußwaffen zu vergrößern, und diese Notwendigkeit, verbunden mit den Fortschritten der Gewehr- und Geschützfabrikation überhaupt, führte zu sehr eingehenden und andauernden Arbeiten behufs Verbesserung des Pulvers, Arbeiten, welche schließlich 1887 die Verdrängung des alten, aus Kohle, Schwefel und Salpeter bestehenden Pulvers aus seiner vielhundertjährigen Alleinherrschaft durch das neue Pulver zur Folge hatten und die Verkleinerung des Gewehrkalibers sowie die Konstruktion von Magazingewehren gestatteten. Es war aber nicht nur die Rücksicht auf eine größere Triebkraft, welche die Bemühungen zur Herstellung eines neuen Pulvers leitete; zugleich galt es, den störenden Rauch des alten Pulvers möglichst zu beseitigen. Das Mittel hierzu bot die bereits seit einem halben Jahrhundert bekannte Schießbaumwolle, deren Erfinder, Schönbein und Böttger, schon weitgehende Hoffnungen auf die kriegerische Verwendung dieses Stoffes gesetzt hatten. Vorderhand waren diese Hoffnungen zerstört worden durch eine Reihe furchtbarer Explosionen, welche von weitern Versuchen abschreckten, und erst vor wenigen Jahren gelangte man zu brauchbaren Ergebnissen durch Verarbeitung der Schießbaumwolle in nassem Zustande, Zerkleinerung im Holländer und starke hydraulische Pressung. Seitdem ist die Anwendung des Stoffes zu allen möglichen Spreng- und ballistischen Zwecken gesichert, jeder Torpedo ist heute mit Schießbaumwolle gefüllt (Redner machte darauf aufmerksam, daß, trotzdem der Torpedo nunmehr seit etwa 100 Jahren bekannt ist, doch der erste gelungene Torpedoschuß im Juni 1891 im chilenischen Kriege abgefeuert wurde). Die Erfindung der Schießbaumwolle war keineswegs ein bloßer glücklicher Zufall, sie entsprang vielmehr der planmäßigen Spekulation, daß ein Gemisch von Schwefel- und Salpetersäure oxydierend auf gewisse organische Stoffe wirken müsse, und Schönbein hielt auch anfangs die durch Behandlung von Baumwolle mit jenem Säuregemisch entstehende Schießbaumwolle für ein bloßes Oxydationsprodukt, bis sich herausstellte, daß auch Stickstoff aus der Salpetersäure in das Molekül der Cellulose, aus welcher die Baumwolle besteht, eintritt. Redner gedachte nun weiter der Versuche, die Pikrinsäure und deren Salze als Grundstoff eines Pulvers zu benutzen, Versuche, welche in Frankreich zu der Melinitepisode führten. Die Rauchlosigkeit der neuen Pulversorten beruht darauf, daß die Verbrennungsprodukte im wesentlichen farblose Gase, hauptsächlich Wasserdampf und Kohlensäure, sind. Dieselbe Eigenschaft begründet auch den weitern Vorzug des neuen Pulvers vor dem alten, daß keine festen Rückstände bleiben, die das Gewehr verschleimen. Die größere Triebkraft des neuen Pulvers beruht aber nicht nur darauf, daß überhaupt größere Gasmengen aus derselben Menge Pulver sich entwickeln, sondern auch darauf, daß die Verbrennung schneller erfolgt. Dies ist aber die Folge der chemischen Konstitution des Pulvers. Die miteinander bei der Explosion sich vereinigenden Elemente sind im Molekül der Substanz, aus welcher das Pulver besteht, enthalten, während beim Schwarzpulver nebeneinander liegende, heterogene Stoffe aufeinander einwirken. Zu seiner gegenwärtigen Vollkommenheit ist das Schießbaumwollpulver durch die amerikanische Entdeckung gelangt, nach welcher sich die Schießbaumwolle in Kampfer löst und sich dann zu einer hornartigen Masse verarbeiten läßt. Aus dieser Masse kann man aber nicht nur bestimmte Körnungen! für die verschiedenen Verwendungen des Pulvers herstellen, sondern man kann auch die Brisanz durch Anwendung der Mischungsverhältnisse regeln. Sin noch weiterer Fortschritt wurde erzielt durch die Entdeckung Nobels, daß sich die Schießbaumwolle in Nitroglycerin löst. Auch diese Mischung, die jetzt die Grundlage des neuen Pulvers bildet, läßt sich den Gebrauchszwecken anpassen, bez. abstufen, so daß eine völlig rationelle Fabrikation des neuen Pulvers erreicht ist. Im Anschluß an diesen Vortrag machte W. v. Siemens die Mitteilung, daß er selbst 1846 die Herstellung von Schießbaumwolle durch die Einführung der Schwefelsäure in die Fabrikation (Schönbein hatte nur Salpetersäure benutzt) verbessert habe, daß er ferner das preußische Kriegsministerium noch im Spätsommer d. J. zu Versuchen veranlaßte, die Schießbaumwolle als Gewehrladung zu benutzen. Die Versuche gaben keinen befriedigenden Erfolg und wurden schließlich eingestellt, weil die Schießbaumwolle sich als zu unzuverlässig erwies.
In der zweiten Sitzung sprach Kraus-Halle über die Bevölkerung Europas mit fremden Pflanzen. Wenn plötzlich aus Europa alle Pflanzen hinweggenommen würden, die nicht auf dem Kontinent