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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Österreich - Ostindien
In Zusammenhang mit der auswärtigen Politik des Reiches standen die .Handelsverträge mit Deutschland, Italien, Belgien und der Schweiz, die Anfang Dezember 1891 den Parlamenten beider Reichshälften zur Genehmigung vorgelegt wurden ls. den Art. »Handelsverträge«). Dieselben wurden im Januar 1892 sowohl in Wien als in Pest angenommen; im österreichischen Abgeordnetenhaus erhoben bloß die Jungtschechen Widerspruch gegen die neue Stärkung des verhaßten Dreibundes und die weitere Abwendung von Rußland. Der leidenschaftliche Haß der Jungtschechen gegen alles Deutsche und ihre verblendete Anmaßung traten besonders in einer Rede Gregrs 16. Dez. 1891 im Abgeordnetenhaus zu Tage, in der er behauptete, daß Böhmen vom Staat rücksichtslos ausgesogen werde und eine ausgepreßte Zitrone sei, daß daher die Königswahl 1526 anders ausgefallen wäre, wenn die Vorfahren gewußt hätten, wie ihre Sprache und Nationalität vom österreichischen Staate mißhandelt werden würden: »Österreich, obwohl aus dem Deutschen Reiche hinausgeworfen, schließt die unnatürlichsten Bündnisse mit dem Erbfeinde des Reiches, klammert sich krampfhaft an das Deutsche Reich, setzt sogar die Existenz des Staates aufs Spiel, und das alles aus purem Haß gegen die slawische Nationalität und aus germanischem Fanatismus, welcher selbst die höchsten Kreise dieses Reiches schon vergiftet hat.« Diese Ausschreitungen veranlaßten endlich Taaffe, aus seiner bisherigen bloß zuwartenden Haltung herauszutreten und kundzuthun, daß die Regierung auch anderwärts als bei den Slawen ihre Stütze suchen und finden könne. Nachdem der Reichsrat das Budget für 1892 rechtzeitig zu Ende beraten hatte, wurde er 17. Dez. 1891 bis 8. Jan. 1892 vertagt, und in der Zwischenzeit eine Annäherung an die Deutschliberalen herbeigeführt, welche mehrere Minister schon seit längerer Zeit befürwortet hatten, da sie die Unmöglichkeit erkannten, die unentbehrliche Reichseinheit gegenüber den slawischen Ansprüchen aufrecht zu erhalten. So hatte 13. Nov. 1891 der Unterrichtsminister Gautsch die Slowenen aufs äußerste durch die Erklärung gereizt: >die Kenntnis der deutschen Sprache zählt in Österreich zu den unabweisbaren Notwendigkeiten«. Es wurden daher Verhandlungen mit dem Klub der deutschen Linken über den Eintritt eines seiner Mitglieder in das Ministerium angeknüpft; dasselbe sollte Minister ohne Portefeuille werden und die Beziehungen zwischen der Regierung und der Partei vermitteln, welche übrigens die Freiheit des Handelns bewahre. Noch vor Ende des Jahres wurde Graf Küenburg zu dieser Stellung ausgewählt. Der polnischen Fraktion, welche sich aus Patriotismus der im militärischen Interesse erfolgten Dezentralisation der galizischen Staatsbahnen gefügt hatte, wurde dadurch eine Anerkennung zu teil, daß einer ihrer Führer, Bilinski, zum Generaldirektor der österreichischen Staatsbahnen ernannt wurde.
Nachdem der Finanzminister Steinbach 19. Febr. 1892 eine große Steuerreformvorlage im Abgeordnetenhause eingebracht hatte, die an Stelle der bestehenden Erwerbssteuer und Einkommensteuer eine Besoldungssteuer, eine Rentensteuer und eine allgemeine Personaleinkommensteuer einführte, wurde der Reichsrat 20. Febr. vertagt, um den Landtagen Platz zu machen. Die Gesetzentwürfe über die neuen Verkehrsanlagen in Wien, das durch die Vereinigung der Vororte mit der Innenstadt 1. Jan. 1892 einen bedeutenden Fortschritt in seiner Entwickelung vollzogen hatte und weiteres von jenen Anlagen hoffte, wurden bis zum Sommer vertagt. Die Landtage der K r o nlände r wurden 3. März eröffnet. Von Wichtigkeit waren die Verhandlungen des Tiroler und des böhmischen Landtags. Auf jenem gelang es endlich, die Einführung des Reichsratsschulgesetzes, allerdings unter an die Kirche, durchzusetzen. In diesem stand die Ausgleichsfrage auf der Tagesordnung. Unter dem Eindruck der Hetzereien und Drohungen der Jungtschechen wagten die Alttschechen und der mit ihnen verbündete feudal-klerikale Hochadel nicht, für den Ausgleich einzutreten. Die Alttschechen erklärten in einem Aufruf an das tschechische Volk, es sei notwendig, die Ausgleichsberatungen einzustellen, bis allgemeine Beruhigung wiedergekehrt und sämtliche nationale Abgrenzungsvorlagen dem Landtag vollständig unterbreitet worden seien. Daraufhin beschlossendie feudalen Großgrundbesitzer, im Sinne der Vertagung des Ausgleichs zu wirken, da die Able hnung des Ausgleichs sicher, aber gefährlich und dem nationalen Frieden schädlich sei. Die Regierung legte die nicht erledigten Gesetzentwürfe über den Ausgleich dem Landtag vor, begnügte sich aber, im Ausschuß den Wunsch auszudrücken, daj; der Ausgleich, sobald als nur immer möglich, in allen Teilen perfekt werde, und daß daher alle dem Landtage vorgelegten Ausgleichsvorlagen ihrer Bedeutung entsprechend der Beratung unterzogen würden. Unter dem entschiedenen Einspruch der Deutschen wurde 1. April im Ausschuß die Vertagung der Ausgleichsvorlagen beschlossen; die Jungtschechen hatten sogar Übergang zur Tagesordnung beantragt.
Dem Wortbruch der Feudalen und Alttschechen gegenüber bewahrten die Deutschböhmen große Mäßigung und wurden dadurch belohnt, daß die Regierung beschloß, in der nationalen Abgrenzung der Gerichtsbezirke auf dem Verwaltungswege vorzugehen, und zunächst ein deutsches Bezirksgericht in Weckelsdorf errichtete. Graf Küenburg erklärte im Klub der deutschen Linken, daß die Regierung fest entschlossen sei, im Rahmen ihrer Befugnisse den Ausgleich in Böhmen einzuführen. In ihrer Entrüstung über diese Wendung der Dinge beantragten die Jungtschechen sofort nach Wiedereröffnung der Reichsratstagung (26. April) die Erhebung der Anklage gegen don Justizminister Grafen Schönborn wegen Verletzung der Gesetze, was aber gegen nur ihre Stimmen abgelehnt wurde.
Außer den Vorlagen über die Wiener Verkehrsanlagen war noch eine Hauptaufgabe des Reichsrates die Frage der Währungsregulierung (s. Währung), welche die beiden Finanzminister für Österreich und Ungarn, Steinbach und Wekerle, vereinbart hatten und noch im Mai den gesetzgebenden Körperschaften
vorlegten.
Ostindien. Nachdem bereits 1890 das ganze Gebiet südlich des 32. Breitengrades, das im Dreieck zwischen Tank in Indien und Tschaman an der afghanischen Grenze liegt, in die englische Verwaltung eingegliedert worden war, beschloß die indische Regierung 1891, die gleiche Eingliederung auch nördlich dieses Breitengrades durchzuführen. Es wurden 15. Jan. zwei Angriffsbrigaden gebildet; ein kleineres, 2000 Mann starkes Korps wurde südlich von Peschawar am Kuramfluß zusammengezogen, ein größeres, 6800 Mann stark, worunter zwei europäische Infanterieregimenter, sollte den von indischen Überläufern geführten Bewohnern der Schwarzen Berge die indische Verwaltung aufzwingen. Man will diesmal nicht, wie früher, nach Züchtigung der Stämme durch Vernichtung der Ernten und Zerstörung der Niederlassungen das Gebiet wieder