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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Pflanzenkrankheiten (Prädisposition für Krankheiten; nichtparasitäre Krankheiten)
erscheinungen vor uns. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß oies nur lokale und temporäre Abweichungen im Entwickelungsgange einer Art sind, die sich durch entgegengesetzte Eingriffe wieder reparieren lassen und mit dem Lebensalter einer Art nichts zu thun haben. Der pflanzliche Organismus ist bis zu eittem gewissen Grade wie Wachs, das äußere Eindrücke aufnimmt und festhält und durch die Kultureingriffe beweglicher und leichter formbar wird. So gut'wie Kultureingriffe, vermögen auch Veränderungen der natürlich gebotenen Vegetationsbedingungen (Senkung des Grundwasserspiegels, Veränderungen des Klimas durch Zerstörung der Wälder u. dgl.) degenerative Erscheinungen an manchen Arten an einzelnen Örtlichkeiten hervorzurufen. Es sind dabei direkt oder indirekt jedoch stets äußere Einflüsse als Ursache nachweisbar, und eine Entartung aus innern Ursachen kann bei unsern Pflanzen nicht angenommen werden.
Die hier entwickelten Gesichtspunkte finden auch ihre Anwendung bei der Entscheidung der wissenschaftlich noch umstrittenen Frage der Prädisposition der Pflanzen für Krankheiten. Diejenigen, welche eine Prädisposition nicht anerkennen, verstehen unter dieser Bezeichnung eine im Individuum bereits ruhende Krankheitsanlage, welche nur durch äußere Eindrücke geweckt zu werden braucht; es wird also ein innerer abnormer Zustand stets dabei vorausgesetzt. Eine solche Auffassung ist jedoch als eine zu beschränkte, auf verhältnismäßig wenig Fälle nur anwendbare, zu verwerfen. Vielmehr muß man das Wort Prädisposition zur Bezeichnung des Begriffs einer Neigung zur Erkrankung (Erleichterung der Erkrankungsfähigkeit) verwenden. Eine solche vorherbestehende Geneigtheit wird in den meisten Fällen mit Entwickelungsstadien des Pflanzenkörpers zusammenfallen, die als normal bezeichnet werden können, d. h. die in den Rahmen derjenigen Vorgänge fallen, welche zum typischen Entwickelungsgange gehören und das Leben des Individuums stützen, anstatt dasselbe zu bedrohen. Als Beispiel für die Existenz einer derartigen gesteigerten Geneigtheit, einer Krankheitsursache eher zu erliegen, erwähnen wir den leicht zu wiederholenden Versuch, eine wilde Pflanze unsrer Wiesen in einem Topfe längere Zeit in einem warmen Gewächshause zu kultivieren und darauf dem Winterfrost auszusetzen. Wir sehen dann eine solche Staude schon bei Kältegraden erfrieren, die vollkommen schadlos an den im Freien verbliebenen Schwesterexemplaren vorübergehen. Durch die Entwickelung der im Topfe befindlichen Exemplare im Warm hause sind dieselben zarter geworden; ihr Gewebe ist dünnwandiger und wasserreicher und damit leichter reizbar durch den Stoß geworden, der in der Form des Frostes auf die Zellen einwirkt. Nehmen wir eine andre Krankheitsursache statt der ungünstigen Witterungsverhältnisse, nämlich einen Parasiten, so finden wir ebenfalls experimentell gewonnene Thatsachen, die eine leichtere und heftigere Erkrankung derartig verzärtelter Exemplare darthun. Dieser bei der Glashauskultur gewonnene Charakter der Zartheit kann nicht als ein krankhafter Zustand der Pflanze bezeichnet werden, sondern stellt einen Fall normaler, aber einseitig bevorzugter Entwickelung dar. Das Individuum taun bei vorsichtiger Pflege alle Phasen seines Lebens ungestört durchlaufen und auch das durchschnittliche Lebensalter erreichen. Wir werden unter diesen Umständen von einer normalen Prädisposition
gegenüber einer abnormen zu sprechen haben. Mit letzterm Ausdruck möchten diejenigen Zustände in einem Pflanzenkörper zu bezeichnen sein, welche an sich schon Störungen der bisherigen zweckmäßigen ^ebensvorgänge, also selbst schon Wirkungen krankheitserregender Ginflüsse sind und als solche nun weiter die Ursache für die Wirksamkeit neuer Krankheitserzeuger abgeben. Der Frost liefert auch Belege für eine abnorme Prädisposition, indem er beispielsweise Risse oder andre Wunden erzeugt, welche die Ansiedelungsherde sür parasitische Pilze abgeben.
Die Parasiten töten nun die Gewebe, würden aber nicht zum Angriff gekommen sein, wenn sie nicht die Frostwunde zur Ansiedelung gehabt hätten.
Auf das Studium der normalen Prädisposition hat die Pathologie das größte Gewicht zu legen; denn hier ist die Grundlage für eine rationelle Pflanzen Hygiene zu finden. Diesem Teile der Pathologie fällt die Aufgabe zu, experimentell festzustellen, bis zu welcher Höhe die Zur Erreichung eines bestimmten Kulturzweckes durchgeführte einseitige Steigerung gewisser Wachstumsrichtungen statthaft ist, ohne die Widerstandsfähigkeit des Organismus gegen äußere Störungen allzusehr abzuschwächen.
Das allgemein befolgte Prinzip der Einteilung der Krankheiten nach ihren Ursachen findet in seiner Durchführung vorläufig noch große Schwierigkeiten, weil in sehr vielen Fällen noch der erpernnentelle Beweis fehlt, daß eine bestimmte Erkrankung durch die von den Forschern angenommene Ursache thatsächlich bedingt wird. Am naturgemäßesten lassen sich die Krankheiten gruppieren in solche, die parasitären und nichtparasitären Ursprunges sind. Eine Übergangsgruppe zwischen beiden Abteilungen bilden die Schädigungen unsrer Kulturpflanzen durch Unkräuter, die keine natürliche Gruppe untereinander verwandter Arten darstellen, sondern Pflanzen aus den verschiedensten Familien umfassen, welche nur durch das gemeinsame Merkmal zusammengehalten werden, daß sie schnellwüchsiger und vermehrungsfähiger gegenüber den gleichzeitig angebauten Kulturgewächsen sind und augenblicklich keinem Kulturzwecke dienen. Durch diese schnellere Entwickelung berauben sie die Feldfrüchte der Bodennährstosse und der notwendigen Luft- und Lichtzufuhr.
Es ist also gleichsam ein Raumparasitismus, der sich hier geltend macht.
Dienichtparasitären Krankheiten gliedern sich in solche, bei denen die Ursache in den Bodenverhältnissen gesucht werden muß. Entweder gibt die Lage des Bodens Veranlassung zu Wachstumsstö'rungen, oder die physikalische oder chemische Bodenzusammensetzung ist derart, daß Wasser- und Nährstoff' mangel oder auch Überschuß an einzelnen dieser Faktoren eintritt. Eine fernere Gruppe von Krankheiten bilden die durch atmosphärische Einflüsse ausgeübten Beschädigungen. An diese schließen sich die von Jahr zu Jahr zunehmenden Störungen des Wachstums durch industrielle Einrichtungen, also die Verpestung der Atmosphäre durch Rauchgase, die Verschlechterung der Gewässer durch Fabrikabfälle 2c.
Eine besondere Krankheitsgruppe bilden die Wunden, und zwar sowohl diejenigen, die durch Menschenhand zur Erlangung gewisser Kulturzwecke ausgeführt werden, als auch solche, welche durch Tiere zur Befriedigung des Nahrungs- und Wohnungsbedürfnisses dem Pflanzenkörper zugefügt werden. An diese Gruppe von Krankheiten schließt sich naturgemäß die Betrachtung der Gallen, d. h. derjenigen Auswüchse, bei denen die verschiedenen Pflanzenteile auf die