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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Protozoen (Myxosporidien, Flagellaten, Infusorien, Sarkodetierchen)

fizieren durch neue Keime schließlich fast sämtliche Zellen des Wirtes.

Die Ordnung der Myxosporidien (Psorospermien) kommt der Hauptsache nach bei Fischen vor, wo die Schmarotzer eine ungemein weite Verbreitung in den verschiedensten Organen derselben haben (vgl. Fische). Sie sind Zellkernfresser; aus den infizierten Zellen fallen die Schmarotzer bei zunehmendem Wachstum aus und schwimmen als nackte Plasmodien oder Amöben umher; die Sporen sind ungemein charakteristisch, und jede Fischspezies hat ihre eigen gebaute Sporidienspezies. Die unter dem Namen der Sarcosporidien oder Miescherschen Schläuche bekannten parasitischen Sporozoen, deren Lebensgeschichte noch sehr dunkel ist, sind bei fast allen pflanzenfressenden Säugetieren (Fleischfressern fehlen sie) und einigen Vögeln gefunden. Sie stellen wesentlich bis zu 2 mm lange Schläuche dar, welche bei ihrem massenhaften Auftreten dem befallenen Muskelfleisch ein gestricheltes Aussehen verleihen; bald ist der Schlauch langgestreckt und spindelförmig; bald kürzer und dick; er ist von einer derben Haut umkleidet, welche zuweilen in einen dichten, borsten- oder röhrenartigen Besatz ausläuft. Das Innere des Schlauches ist angefüllt mit Kugeln. Die Schläuche wachsen an Ort und Stelle weiter, ihr ferneres Schicksal aber ist unbekannt, sie verharren wie die eingekapselte Trichine bis zum Tode des Wirtes an ihrer Stelle; in den Kugeln der Schläuche kommen Sichelkeime zur Entwickelung, denen wohl die Infektion zufällt. Sehr bemerkenswert ist, daß die Einspritzung dieser Sichelkeime in die Trachea und das Muskelgewebe gesunder Mäuse und Kaninchen eine heftige Ptomaïnwirkung erzeugt; ähnlich dem Kochschen Tuberkulin ruft das Extrakt von Sarcosporidienschläuchen bei den Versuchstieren in kleinen Dosen prompte Fieberbewegung hervor, in großen Kollapserscheinungen, denen die Tiere bald erliegen.

Aus der Klasse der Geißeltierchen finden wir die Flagellaten schmarotzend sowohl bei Wirbeltieren als bei wirbellosen Tieren; Zellschmarotzer gibt es nur wenige unter ihnen; besondere Fundorte für schmarotzende Flagellaten sind der Schnabelschleim diphtheriekranker Tauben, beim Menschen der Vaginalschleim beim weißen Fluß, das Sekret alter Fußgeschwüre, ferner der Enddarm vom Frosch, der Kröte, der Eidechsen, Schildkröten, der Darm des Regenwurms, der Stubenfliege, der Lausfliegen von Raubvögeln, der Schafzecken, der Maulwurfsgrille, der Vormagen der Wiederkäuer etc. Die Fortpflanzung der Flagellaten geschieht durch Teilung und Sporenbildung. Für Schmarotzer aus der Klasse der Infusorien, unter denen sich aber keine Zellschmarotzer finden, sind eine reiche Fundstätte interessanter Arten der Vormagen der Wiederkäuer, der Darm des Regenwurms, auch der Enddarm der Frosch- und Krötenarten, des Schweines etc.

Aus der Klasse der Sarkodetierchen kommen besonders Amöben als Parasiten in Betracht; es sind deren einigemal im Darme von ruhrkranken Kindern gefunden worden, hierher gehören aber vor allen andern auch die in ihrer Entwickelungsgeschichte leider noch nicht hinreichend erkannten Krankheitserreger des Wechselfiebers (s. Wechselfieber, Bd. 18). Daß es sich hierbei um einen tierischen Parasiten aus dem Kreise der P. handelt, darf als erwiesen gelten. Bisher sind zwei Grundformen dieses Parasiten gefunden worden mit zahlreichen Übergängen zwischen denselben: 1) Sichel- und Rundzellenformen, letztere eventuell mit Geißeln, und 2) Plasmodien oder amöbenartige Organismen mit geschwänzten Schwärmsporen. Die erste Form ist jedenfalls die »reproduktive Phase« des Parasiten, die zur Bildung neuer Jugendformen, zur Erzeugung neuer Generationen führt, während die zweite Form, die »vegetative Phase«, hauptsächlich der Entwickelung des Parasiten dient und ihn vom Jugendzustand der Reife entgegenführt. Die nähern Details im Entwickelungskreislauf dieses Malariaparasiten sind noch nicht klargelegt; manche der verschiedenen Formen scheinen unter sich noch ganz besondere Beziehung, einen eignen Entwickelungskreislauf mit eignen charakteristischen Figuren zu haben. Gerade aber diese entwickelungsgeschichtlichen Details sind von größter Bedeutung wegen ihrer augenscheinlich nahen Beziehungen zu den verschiedenen klinischen Formen des Malariafiebers. So ist ein besonderer Entwickelungscyklus des Parasiten konstatiert im Blute von Kranken, die an der quartanen Form des Wechselfiebers leiden, und ein andrer Entwickelungscyklus ist als charakteristisch für die Parasiten des tertianen Fiebers nachgewiesen worden. Möglicherweise handelt es sich bei den verschiedenartigen Fieberkrankheiten um zwar ähnliche, aber verschiedene Arten als Krankheitserreger, deren Entwickelung zwar ähnlich, aber nicht völlig identisch verläuft. Auch für manche andre Krankheitsprozesse, wie Blattern, ist es wahrscheinlich, daß P. aus der Klasse der Sarkodetierchen die Erreger sind. Auch diese Parasiten sind Zellparasiten.

Bemerkenswert ist bei allen Zellparasiten die Anpassung an die verschiedenen Wirtszellen. Für die Untersuchung der parasitischen P. bedarf es einer besondern, noch weiter der Ausbildung harrenden Technik, da das für die Untersuchung von Bakterien aufgefundene Verfahren, mittels Farbereaktionen an getrockneten Deckglaspräparaten oder Schnitten, mittels Kulturen auf festem oder sich verflüchtigendem Nährboden, mittels Verimpfung etc. die Spezies des Parasiten festzustellen, für die Protozoenuntersuchung nicht geeignet ist. Bei der Untersuchung der parasitären P. sieht die Untersuchung des lebenden Parasiten im Vordergrund, da es darauf ankommt, aus dem komplizierten Lebenslauf die einzelnen Phasen zu trennen, die Bewegungsvorgänge, Sporenbildung etc. klarzulegen. Die Hauptaufgabe ist demgemäß die möglichst lange Erhaltung der Lebensfähigkeit des Parasiten durch Anpassung der Untersuchungsmethoden an eine natürliche Umgebung. Ein Analogon zu den bei der Bakteriologie üblichen Plattenkulturen bilden die Kapillarkulturen, indem P. in dem bauchigen, breitgedrückten Teil von Kapillarröhrchen lebend erhalten werden, wobei sie sich direkt unter dem Mikroskop beobachten lassen. Durch Fixierungsflüssigkeiten lassen sich im einzelnen Falle die natürlichen Formen der P. leidlich gut erhalten; heiße (50° C.), wässerige (1-5 Proz.) Sublimatlösung eignet sich gut zur raschen Abtötung. Auch Goldchloridlösung (0,5 Proz.) fixiert vorzüglich; für andre Fälle sind Dämpfe von Osmiumsäure, Kokain- und Chininlösung passend. Für die Beobachtung der Bewegungsvorgänge dient ein eigens konstruierter Objektträger mit Warmwasserheizung auf genau zu bemessendem Wärmegrad. Zur längern Konservierung von Untersuchungsmaterial, um an Topfpräparaten die natürliche Gestalt des Parasiten, die Zellinfektion und die Sporen verfolgen zu können, ebenso zur Versendung eignet sich vorzüglich Chinolin, wovon eine kleine Menge zunächst in Spiritus gelöst und dann weiter mit viel Wasser verdünnt wird. Vgl. Pfeiffer, Die P. als Krankheitserreger (2. Aufl., Jena 1891).