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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Selbstreinigung der Flüsse - Selbstverstümmelung bei Tieren
Der Mann verliert im Ringen um die Existenz eher den Lebensmut; Lebensüberdruß und Kummer treiben ihn weit häufiger in den Tod als das im allgemeinen doch weniger von Existenzsorgen bedrückte Weib. Allerdings ist auch der sittliche Gehalt im männlichen Geschlecht in unsrer Zeit entschieden geringer als im weiblichen, und das »Laster« als Selbstmordursache tritt in erdrückend überwiegendem Matze bei dem erstern auf. Dagegen kommen bei dem psychisch und physisch schwächern'Weibe weit häufiger Geisteskrankheiten und körperliche Leiden sowie endlich begreiflicherweise »Leidenschaften«, d. h. wohl zum größten Teile unglücklich verlaufende Liebesbeziehungen, als Selbstmordursachen in Betracht.
Als Mittel zur Beendigung des Lebens wurde weitaus am häufigsten, nämlich von den 5393 Selbstmordfällen des Jahres 1888 in 3285, der Strick gewählt; ferner entfallen auf das Ertränken 979, Erschießen 588, Schnitte in den Hals 125, Gift 203, das Überfahren durch Eisenbahnzüge 89, den Sturz aus einer Höhe (Fenster :c.) 60, Öffnen der Adern 36 und Erstechen 19 Fälle; auch hier unterscheiden sich wieder beide Geschlechter charakteristisch hinsichtlich des gemalten Mittels; es wählten im I. 1888 von je 100 Selbstmördern das
Männer Frauen Echänaen .. .. .. 64.« 46 5
Erschießen .. .. .. 13.4 1.4
Ertränken .. .. .. 13,5 35,4
Vergiften ... 2,3 8.3
Wasser und Gift sind die Waffe ganz besonders beim weiblichen Geschlechte, während der Mann verhältnismäßig häufiger den Strick und die Schuhwaffe vorzieht; nur wählt auch die Frau den Strick, den gegenwärtig überhaupt verbreitetsten Selbstmordbehelf, weit häusiger als das Wasser.
Hier soll noch zum Schluß auf eine gerade in der letzten Zeit häufiger aufgetretene, sittlich sehr beklagenswerte Erscheinung auf dem Gebiete der Selbstmorde hingewiesen werden, und zwar auf die Selbstentleibungen bei Schülern. Im allgemeinen gilt wohl die Tendenz, daß die Selbstmorde mit dem Ansteigen der Altersklassen häufiger werden und etwa zwischen dem 60. und 70. Lebensjahre am stärksten auftreten. In diesem Rahmen aber zeigt sich eine Besonderheit darin, daß gerade in auffallend jugendlichen Altersklassen, welche etwa von dem 10. und 20. Lebensjahre begrenzt werden, die Zahl der Selbstmorde immer größer wird. Diese Thatsache hat jüngst in Preußen dazu geführt, daß die Selbstmorde der Schüler durch die amtliche Statistik einer Beobachtung zugeführt wurden. Es betrug deren Zahl:
Zus. schulde Männ Weib An höhern An niedern
im Jahre suchende lichen lichen Lehr Lehr
Selbstmörder Geschl.
Geschl.
anstalten anstalten
1883
58 50 8 19 39
1884
41 33 8 14 27
1885
40 33 7 10 30
1886
44 38 6 8 36
1887
50 41 9 1? 33
1888
56 45 11 12 44
Zusammen

1883-88:
289 240 49 80 209
Die Zahl steigt somit in den letzten Jahren stetig an, und zwar zeigt sich dasselbe Überwiegen des männlichen Geschlechts über das weibliche auch hier unter den jugendlichen Selbstmördern, welches für die Selbstmordhäufigkeit beim männlichen und weiblichen Geschlecht überhaupt als Regel gilt (5:1). Geradezu
Besorgnis erregend ist aber der Umstand, daß es ganz hervorragend die Schüler der niedern Lehranstalten, also die jüngern sind, welche ihrem Leben gewaltsam ein Ende bereiten. Die preußische Statistik hat es demgemäß nicht unterlassenden Ursachen nachzuforschen, welche diese Personen in einen frühen Tod getrieben haben, und es gelang ihr auch bis auf 29,8 Proz, der Fälle, die bezüglichen Ursachen, wie folgt, festzustellen:
Selbstmörder Selbstmörder
an niedern an höh. Lehr«
Lehranstalten anstalten,
Sclbstmordursachen
beide Geschl.
zusammen
(männlich 77,
HZ Weiblich 3)
1) Fnrchtvordem Examen, nicht
bestandenes Examen u. nicht
erfolgte Versetzung. .. .. . 1 1 15
2) Sonstige mit d. Schulbesuch
zusammenhängende Gründe 8 1 9 5
3) Zerwürfnisse mit Eltern und 2
4) Gekränkter Ehrgeiz .. .. . 11
5) Furcht vor Strafe....
45 23 68 2
6) Harte und unwürdige Be«
9 3 12 1
?) Arger, Zorn, Mißmut, Trotz 6 6 2
8) Geisteskrankheit, Schwermut 12 2 14 12
9) Körperliche Leiden. .. .. . 1 1 2 1
10) Ncligiöfe Schwärmerei . 1 1 2 11) Unglückliche Liebe. .. . __ __ 5
12) Sittliche Verwahrlosung 5 1 6 1
1^) Lebensüberdruß .. .. . __ 1 1 5
14) Spielerei......
7 7
15) Sonstige Gründe .. .. . __ 2 3
16) Unbekannte Veranlassung 59 12 71 15
Zusammen
163 46 209 80
Nur in den höhern Lehranstalten ist die Furcht vor den Prüfungen, resp. aus Anlaß nicht bestandener Prüfungen sowie der wohl damit zusammenhängende gekränkte Ehrgeiz (zusammen 31 von 65 bekannten Fällen, also etwa 50 Proz.) in ausgesprochener oder unmittelbarer Weise als Selbstmordursache anzusehen.
Bei den Schülern der untern Schulen ist es neben diesen, viel seltener auftretenden Motiven (18 Fälle, -13 Proz.) vielmehr die Furcht vor Strafe, welche gleichfalls in annähernd 50 Proz. der Fälle, bei denen die Ursache bekannt wurde, ausschlaggebend gewirkt hat; allerdings mag diese Strafe wohl häufig eben infolge schlechter Studienerfolge befürchtet worden sein. Es ist ein betrübendes Bild, welches uns diese Tabelle entrollt, namentlich wenn man die für so jugendliche Altersklassen häufigen Selbstmorde aus Geisteskrankheiten und Schwermut (26) mit in Betracht zieht. Im ganzen entfallen von sämtlichen Selbstmorden des Jahres 1883 etwas über 5 Proz. auf solche, welche von Schülern begangen wurden.
Vgl. »Zeitschrift des k'ömgl preußischen Statistischen Bureaus« (Verl. 1890 u. 1891); »Preußische Statistik«, Bd. 113; »Novimeuto äsiio 8tato civils, Oontrouti luwrnktionaii« (Rom 1884); Levasseur, Kopulation trki^i86, Bd. 2 (Par. 1891).
Selbstreinigung der Flüsse, s. Gesundheitspflege, S. 379.
Selbstverstümmelung (Autotomie) bei Tieren.
Die von Fredericq vor einigen Jahren angestellten Versuche, nach denen das Fahrenlassen gefährdeter Beine bei Krebsen, Krabben und Spinnen, das Abbrechen des Schwanzes bei Eidechsen:c. ohne Willensbethätigung der Tiere durch einen reflektorisch