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Studienreform (Mittelschulen)
Schüler dieser genannten Schulen anbelangt, so versucht der Erlaß vom 15. Sept. 1890 Abhilfe. Der Minister lenkt das Augenmerk der Schuldirektionen vorwiegend auf das Schwimmen und Baden, Schlittschuhlaufen und die Anlegung von Spielplätzen sowie Abhaltung von Spielen und wünscht, daß die nötigen Vorkehrungen getroffen werden, damit den Schülern womöglich gesonderte Benutzungszeiten und -Plätze sowie ermäßigte Preise zur Verfügung gestellt werden. Die jährlichen Schulberichte haben mitzuteilen, inwieweit diesen Absichten nachgekommen werde. Damit ist ein vielversprechender Anfang gemacht worden, und es ist wohl zu hoffen, daß bei stetiger Einhaltung dieser Vorschriften die heilsamen Folgen nicht ausbleiben werden. Hinsichtlich der Lehrordnung an Mittelschulen überhaupt ist dann der Erlässe vom 2. Mai 1887 für Gymnasien und vom 20. Okt. 1890 für Realschulen zu gedenken, durch welche die Zahl und der Umfang der an diesen Mittelschulen üblichen schriftlichen Haus- und Schularbeiten auf ein geringeres Maß zurückgeführt wurde. Dadurch wurde sowohl den Schülern eine Erleichterung hinsichtlich der Arbeiten geschaffen, die oft genug ihren Zweck verfehlten, als auch die Lehrer von der geisttötenden Durchführung der Korrekturen entlastet. Das Aufnahmealter in den Gymnasien wurde durch das Reichsgesetz vom 3 Juni 1887 so bestimmt, daß der Aufzunehmende das 10. Lebensjahr entweder schon vollendet haben oder im ersten Kalenderjahr des ersten Schuljahres vollenden muß; in analoger Weise bestimmt sich dann das Aufnahmealter für die übrigen Klassen. Jedenfalls ist dadurch der Jagd nach frühem Vollenden der Studien ein heilsamer Damm entgegengesetzt worden.
Der Minister beschränkte sich aber nicht allein darauf, die allgemeinen Verhältnisse der Schüler zu ordnen, sondern er wendete auch denjenigen des L ehr -Personals seine Aufmerksamkeit zu. Die Lage der »Supplenten«, d. h. der geprüften, aber nicht definitiv angestellten Mittelschullehrer, war im Laufe der Zeit mit der Überfüllung dieses Standes eine sehr mißliche geworden. Diesem Umstände wurde nicht nur dadurch abgeholfen, daß eine große Anzahl derselben durch außerordentliche finanzielle Maßnahmen definitiv angestellt wurden, sondern auch dadurch, daß ihnen (1886) nach 5 Jahren erlangbare Dienstalterszulagen von 200 Guld. zugestanden wurden. Es ist gegenwärtig eine lebhafte Bewegung unter dem Lehrpersonale der österreichischen Mittelschulen im Gange, welche auf eine Besserung ihrer äußern Rangs- und Gehaltsverhältnisse gerichtet ist. Die Gymnasiallehrer stehen im allgemeinen in der 9. Rangklasse und beziehen ein Einkommen von ungefähr 1500 Guld.; in besondern Fällen erfolgt eine Versetzung in die 8. Rangklasse, womit aber keine nennenswerte Erhöhung der Bezüge gegeben ist. Bei diesen mangelhaften staatlichen Einkünften befaßte sich eine große Zahl von Familien von Mittelschullehrern mit dem Halten von Kostzöglingen. Diesem Vorgange wurde mit Ministerialerlaß vom 20. Nov. 1886 ein Ende bereitet, indem das Halten von Kostzöglingen den Direktoren der Mittelschulen einschließlich der Lehrerbildungsanstalten ausnahmslos verboten und den Lehrern nur insofern gestattet wurde, als sie dort, wo mehrere Mittelschulen bestehen, Schüler der andern Schulen aufnehmen dürfen. Es wäre nun allerdings zu wünschen, daß die materielle Lage der Mittelschullehrer derartig gefestigt werde, daß sie nicht zu solchen Auskunftsmitteln genötigt sind.
Auch die fundamental wichtige Frage des klassischen Unterrichts an den Gymnasien hat Freiherr v. Gautsch bereits energisch einer Lösung entgegenzuführen gesucht. Schon vor seinem Amtsantritt hatte sein Vorgänger, Freiherr Konrad v. Eibisfeld, die wichtige Verordnung vom 26. Mai 1884 erlassen, welche die Anordnung der zu behandelnden lateinischen und griechischen Autoren, aber auch sonstige wichtige Vorschriften enthält. Der Erlaß vom 1. Juli 1887 brachte dann eine Reihe wichtiger Vorschriften. So wurde die Erlernung der regulären Spracherscheinungen mit Zurücksetzung der Ausnahmefälle und der Zusammenhang des grammatikalischen Studiums mit der Autorenlektüre gefordert. Das grammatikalische Pensum wurde nach Jahrespartien abgegrenzt, und es sollte durch spezielle Konferenzen der Lehrer der klassischen Philologie derselben Anstalt die Harmonie des Unterrichts gewonnen werden. Auch sollten für den grammatikalischen Unterricht nicht abgerissene Sätze, sondern zusammenhängende Stücke gewählt werden, und wurde das Memorieren von solchen Stücken als zweckdienlich empfohlen. Es scheint aber nun, daß dieser Erlaß, der sich überdies auch nur auf die grammatikalische Seite der Frage bezieht, nicht genügende Beachtung gefunden hat; Freiherr v. Gautsch sah sich vielmehr genötigt, den bedeutsamen Erlaß vom 30. Sept. 1890 zu veröffentlichen, welcher in beredten Worten und tiefbegründeter Weise die wichtigsten und am allgemeinsten gefühlten Wünsche und Beschwerden hinsichtlich des klassischen Sprachunterrichts zusammenfaßt. Es sind weniger bestimmte Vorschriften, welche der Minister damit erließ, als vielmehr allgemein gehaltene Bemerkungen über die Behandlung des klassischen Unterrichts. Er tadelt die geistlose und pedantische Art, nach welcher ein Autor in Sätze zerfasert, jeder Satz syntaktisch zergliedert und jedes Wort grammatikalisch zu Tode gehetzt wird, so daß das allgemeine Verständnis für den Autor als ganzen, für die Schönheit und Bedeutung des besondern Werkes oder auch nur bestimmter Stellen ganz verloren geht und der Gymnasiast nur Widerwillen vor der lateinischen und griechischen Lektüre und damit dem antiken Klassizismus erhält. Überdies versuchen manche Lehrer, wenn sie schon nicht den grammatikalischen Sport betreiben, allerhand archäologische Kleinkrämerei, welche die Lektüre unendlich schleppend gestaltet und mit dem Wesen und Geiste des Autors und seines Werkes in keinem organischen Zusammenhange steht. Nach diesen allgemeinen Winken folgen auch einige wenige, aber wichtige, bestimmt gefaßte Vorschriften: 1) Die lateinischen und griechischen Hausarbeiten (Pensen), welche, wie schon oben bemerkt wurde, in der letzten Zeit bereits eine erhebliche Einschränkung erfahren hatten, werden nunmehr für die obern Klassen der Gymnasien ganz abgestellt und die frei werdende Zeit für die Lektüre frei gelassen. So bleiben nur die Schularbeiten (Kompositionen) als schriftlicher Prüfstein für die Beurteilung der Fähigkeit zum Gedankenausdruck in der lateinischen oder griechischen Sprache übrig, und es wird überdies deutlich ausgesprochen, daß das Ziel: die klassischen Sprachen, besonders die lateinische, bis zum Grade der Übersetzungsfertigkeit in dieselben zu beherrschen, unter den bestehenden Verhältnissen nicht mehr zu leisten sei. Dafür wurde 2) vorgeschrieben, in jeder Oberklasse gegen Semesterschluß je ein nicht gelesenes Stück aus dem lateinischen und griechischen Schulautor ohne vorausgehende Vorbereitung und ohne Gestattung der Benutzung von lexikalischen und an-^[folgende Seite]