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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Vereinigte Staaten von Nordamerika (Geschichte)
gestellt, aber wider Erwarten 14. März 1391 uon den l nach, daß er sein Amt sofort dazu ausgebeutet habe,
Geschwornen freigesprochen, von denen es allgemein hieß, sie seien teils durch Drohungen eingeschüchtert, teils durch Bestechungen gewonnen worden. Den Tag darauf zog eine auf 8000 Köpfe geschätzte Volksmenge nach dem Gefängnis und lynchte die im Gewahrsam befindlichen Italiener, von denen nur wenige enttamen. Unter den Opfern der Volksjustiz befanden sich auch zwei Staatsangehörige Italiens, und der italienische Gesandte in Washington, Baron di Fava, überreichte der Regierung der Vereinigten Staaten eine Beschwerde, worin er sich auf den zwischen dem Königreich und der Republik geschlossenen Vertrag berief, der den beiderseitigen Staatsangehörigen Sicherheit ihres Lebens und Eigentums verbürge. Nach lebhaftem Notenwechsel mit Blaine überreichte di Fava 21. März sein Abberufungsschreiben.
Nun ist aber die Bundesregierung nicht befugt, sich in die Angelegenheiten der Sinzelstaaten zu mischen, wenn sie nicht vom Gouverneur oder vom Landtag angerufen wird. Sie besitzt keine Gerichtsbarkeit über Verbrechen gegen Eigentum oder Perso- nen in den Staaten, auch nicht, wenn diese gegen Ausländer begangen sind. Es ist dies ein empfind- licher Mangel in der Bundesverfassung, der die Regierung schon zu wiederholten Malen in große Verlegenheit gebracht hat, und man erwartet vom nächsten Kongreß, daß er diese Lücke in der Gesetzgebung ausfüllen wird. Somit war die Abberufung des italienischen Gesandten ein diplomatischer Fehler. Was den italienischen Standpunkt noch besonders schwierig macht, ist die zweifellose Thatsache, daß die beiden Unterthanen des Königs Humbert, um die es sich hier handelt, notorische Näubsr und Mörder sind, die sich der strafenden Gerechtigkeit in ihrem Vaterlande entzogen hatten und nach New Orleans geflüchtet waren. Sie sind also im Widerspruch mit den Einwanderungsgesetzen und in Verletzung derselben gelandet und deshalb gar nicht zu dem vertragsmäßigen Schutze berechtigt, den die italienische Regierung für sie beansprucht, lim den Streitfall aus der Welt zu schaffen, ließ die Unionsregierung im März 1892 dem italienischen Botschaftssekretär 125,000 Frank zur Verteilung an die Familien der bei jenen Vorfällen ums Leben gekommenen Italiener zustellen.
Die italienische Regierung erklärte sich mit dieser Genugthuung zufrieden gestellt.
War das Verhalten Plaines in dieser Streitfrage ebenso richtig wie würdig gewesen, so war dies bei den Verwickelungen mit Chile nicht der Fall, und es hatte beinahe den Anschein, als wollte er es diese Republik entgelten lassen, daß sie, als er unter Garfield das Staatssekretariat bekleidete, seine Einmischung zu gunsten Perus ziemlich derb zurückgewiesen hatte. Die erste Ungehörigkeit gegen Chile war die Bestallung Patrick Egons zum Gesandten daselbst, eines Abenteurers, der nicht bloß von einem solchen Amte gar nichts verstand, sondern auch dringend verdächtig ist, einer der Anstifter jener Greuelthat im Phönixpark zu Dublin gewesen zu sein, wo 6. Mai 1882 der Obersekretär für Irland, Lord Cavendish, und der Nntersekretär Bourke uon irischen Meuchlern ermordet wurden. Nach Amerika geflüchtet, schloß sich Egan denjenigen irischen Politikern an, die zu Vlaine schwaren, und erhielt für seine Verdienste als Lohn jenen Posten, obwohl man ihn beschuldigte, auch an der durch den irischen Geheimbund Clan na-Gael befohlenen Ermordung des 1)r. Cronin in Chicago sich beteiligt zu haben. Man sagt diesem Gesandten der Vereinigten Staaten in Chile sich von Valmaceda, dem Präsidenten des Landes durch Guano- und Nitratkonzessionen sowie durch Verleihung eines Eisenbahnkontraktes an seine Söhne und Vettern erkaufen zu lassell. Mag dies nun wahr sein oder nicht, jedenfalls mißbrauchte er seine Stellung dazu, nach Ausbruch des Bürgerkrieges Balmaceda auf jede Weise zu nützen und der Kongreßpartei zn schaden. Seine Berichte nach Washington färbte er derart, daß die dortige Regierung bis kurz vor Beendigung des Kampfes an den schließlichen Erfolg Balmacedas glaubte, obwohl alle Welt das Gegenteil voraussah, und daß die Vereinigten Staaten die Gegenpartei nicht als kriegführende Macht anerkannten, was bereits seitens andrer Länder geschehen war.
Die erste Verwickelung mit der südamerikanischen Republik begann damit, daß der chilenische Dampfer Itata von dem südkalifornischen Hafen Wilmington bei San Diego aus eine Ladung Gewehre für die Kongreßpartei an Bord nahm. Nun wurde das Vereinigte Staaten-Kriegsschiff Charleston abgeschickt, um auf die Itata Jagd zu machen, allein es gelang ihm nicht, sie einzufangen. Nachdem sie in Iquique gelandet war, lieferte die Junta der Kongreßpartei sie freiwillig aus, damit die Sache vor dein zuständigen nordamerikanischen Gerichte rechtskräftig entschieden werde, und dieses sprach sich dahin aus, daß die Verschiffung der Wassen ein gesetzmäßiges Handelsgeschäft gewesen sei. Das war eine unzweifelhafte Niederlage der Vereinigten Staaten-Regierung, und Präsident Harrison teilte in seiner Botschaft mit, daß er sich bei diesem Urteil nicht beruhigt, sondern Berufung bei dem Oberbundesgericht eingelegt habe.
Ein zweiter Vorfall diente dazu, die Abneigung Chiles gegen die Union noch zu steigern. Am 16. Okt.
1891 entspann sich zwischen einer Anzahl von Seeleuten des Vereinigten Staaten-Kriegsschiffes Baltimore und einigen chilenischen Matrosen in den Straßen Valparaisos eine Schlägerei, wobei von den Leuten des Baltimore einer getötet und acht schwer verwundet wurden, von denen einer in der Folge starb; auch einige der Chilenen trugen Verletzungen davon. Auf den Bericht des Kapitäns Schley nach Washington sandte Hilfssekretär Wharton vom Auswärtigen Amt in Vertretung des erkrankten Vlaine eine Note an den Gesandten Egan, worin er jenes Ereignis als einen solchen Ausdruck von Unfreundlichkeit gegen seine Regierung bezeichnete, daß es die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern gefährden könnte. Es ist unbegreiflich, wie man aus dem einseitigen Bericht des Kapitäns des Baltimore den Schluß ziehen konnte, daß Ausschreitungen, die in ihren Ursachen noch gar nicht aufgeklärt waren, und die in Seehäfen keineswegs zu den Seltenheiten gehören, von einer solchen Wirkung auf die Beziehungen der beiden Staaten zu einander sein sollten. Zugleich wurde das Kriegsschiff Boston an die Gestade der südamerikanischen Republik geschickt und in der Presse mit Krieg gedroht. Der chilenische Minister des Äußern ließ sich indessen dadurch nicht irre machen und antwortete in seiner Note, er bemängle nicht die Untersuchungen an Bord des Baltimore, erkenne aber einzig und allein die Gerichtsbarkeit und Autorität seines eignen Landes bei der Beurteilung und Bestrafung der Schuldigen auf chilenischem Gebiet an. Bis zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse der chilenischen Gerichte könne er nicht zugeben, daß die Unordnungen in Valparaiso oder das Schweigen seines Departements als ein Ausdruck der Unfreundlichkeit gegen
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