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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Alpen (Erwerbsquellen)

und Rhäto-Romanen) im W. und S., Slawen im SO. Von den etwa 9 Mill. Bewohnern der A. mögen 33,4 Proz. deutscher, 25,6 französischer, 29,4 italienischer, furlanischer oder ladinischer, 10,0 Proz. slaw. Zunge sein. Die franz. Sprache herrscht in den Westalpen, in Savoyen, in der Dauphine, der Provence und in der südwestl. Schweiz und dringt über die Wasserscheide in das Pogebiet ein. Die ital. Sprache beherrscht den Südabhang der A., die Alpenländer der Lombardei, den Kanton Tessin und vier Thäler des Kantons Graubünden in der Schweiz, Südtirol, Venetien und Görz. In Friaul geht sie in die furlanische Sprache über. Die rhäto-roman. Sprache (ladinisch) ist auf den Kanton Graubünden (Bündner Oberland, Schams, Oberhalbstein und Engadin) und auf die Thäler Fassa, Gröden, Enneberg und Buchenstein in Südtirol beschränkt und wird allmählich teils vom Deutschen, teils vom Italienischen verdrängt. Die Slawen der A. bewohnen in Kärnten und Krain das ganze Savegebiet, das untere Gailthal in Kärnten, die rechte Seite des Drauthals und unterhalb Unterdrauburg beide Seiten, das unterste Murthal, das obere Isonzothal und das südöstl. Vorland der A., das Krainer Kalkplateau mit Ausnahme der deutschen Sprachinsel Gottschee. Die deutsche Sprache, in viele Dialekte geteilt, beherrscht das ganze übrige Alpengebiet und bildet im ital. Gebiete zahlreiche Sprachinseln, so in den Thälern von Gressoney, Alagna und Anzasca am Südfuße des Monte-Rosa, im Formazzathale an der obern Toce, im Averser Thal in Graubünden, in den Sette und Tredeci Communi der Vicentinischen A. und in Sappada (Bladen). Die bunteste Abwechselung der Sprachen zeigen Graubünden, Südtirol und der Gerichtsbezirk Tarvis in Kärnten.

Die Gegensätze zwischen dem warmen Süd- und dem rauhern Nordabfall, zwischen dem dem Ackerbau zugänglichen Voralpen- und Thalboden und dem armen, nur für die Viehzucht geeigneten Mittel- und Hochalpenland, vor allem aber die allerdings durch viele Übergänge und Mischungen teilweise verwischte Stammesverschiedenheit der Alpenbewohner machen es fast unmöglich, einen scharf hervorstechenden alpinen Typus aufzustellen. Im allgemeinen jedoch ist der Alpenbewohner schlanker gebaut, gelenkiger und sehniger als der Bewohner des Hügellandes und der Ebene, dafür fehlt ihm aber oft die nachhaltige Kraft, die den Bauern der niedern Gegenden eigen ist. Der Schritt des berggewohnten Älplers ist geschmeidig, der Tritt sicher, die Haltung frei und ungezwungen. Die Sinne, besonders Auge und Ohr, sind scharf; das Gesicht zeigt gewöhnlich ausgeprägte Züge, bei den Frauen oft von überraschender Feinheit. Große, den Mittelwuchs überragende Gestalten finden sich besonders im bayr. Hochlande, in Tirol, im Berner Oberland und in Graubünden. In vielen Alpengegenden sind die Frauen, an harte Arbeit gewöhnt, verhältnismäßig kräftiger als die Männer. Im steten Kampfe mit einer übermächtigen Natur stählen sich Körper und Geist des Alpenbewohners; mit der Gefahr vertraut, ist er entschlossen, bei aller Kühnheit besonnen und besitzt mehr Geistesgegenwart und Findigkeit als der Bauer der Ebenen. Als Schattenseite zu diesen allgemeinen Kennzeichen des Älplers tritt in manchen Thälern der Kretinismus (s. Kretinen). Die Städte der A. sind meist klein, eng zusammengedrängt; die meisten besitzen kaum 15 000 E. Die Dörfer, in den tiefen Thälern und im Voralpenlande bequem und behäbig ausgebreitet, drängen sich in den Hochthälern zu wirren Häuserklumpen rings um die Kirche zusammen. Ein großer Teil der Bevölkerung wohnt aber, besonders im N., außerhalb der Städtchen und Dörfer, in vereinzelten Höfen, im Sommer in den Sennhütten der Alpweiden. Während auf der Nordseite der Holzbau in den A. vorherrscht, sind die Dörfer und sogar die Sennhütten des S. und W. meist aus Steinen erbaut und die stadtartig gebauten ital. und franz. Alpendörfer bilden mit ihren finstern, fast fensterlosen, ruinenartigen Steinhäusern einen scharfen Gegensatz zu den freundlichen und zierlichen Holzbauten des Nordabhangs.

Erwerbsquellen. Die Bodenkultur der A. richtet sich nach dem Klima, der Lage und dem Boden. Die Grenzen der Kulturzonen sind oben angegeben. In den tiefern Lagen, besonders im S. und W., sind Mais, Weizen und Spelz die herrschenden Getreidearten, in den höhern werden sie durch Hafer und Roggen ersetzt, und die Gerste bildet die obere Grenze des Getreidebaues. Hülsenfrüchte und Kartoffeln, im S. auch Kastanien sind neben dem Getreide und den Produkten der Viehzucht die Hauptnahrung. Südfrüchte kommen nur am südl. Abfalle vor, dagegen steigt der Obstbau hier und da bis in die Zone der Nadelhölzer empor. Kirsch-, Apfel- und Birnbäume finden sich in den Central- und Westalpen in geschützten Thälern noch bis zu 1200-1500 m. Der Weinbau, der besonders in Steiermark, Südtirol, Veltlin, Wallis und Piemont geschätzte Weine liefert, überschreitet selten die untere Laubwaldregion. In den Thälern und den niedrigen Voralpen mit der Landwirtschaft verbunden, wird die Viehzucht, hauptsächlich die Rinderzucht, in den obern Regionen als Alpenwirtschaft selbständig betrieben und liefert für den Handel Käse, Butter und Milchzucker. Besonders bekannt ist die Alpenwirtschaft der nördl. Voralpen mit ihren Greyerzer und Emmenthaler Käsen u. s. w. Weder die Schweinezucht, noch die Pferdezucht der A. sind von großer Bedeutung; letztere beschränkt sich größtenteils auf das Voralpengebiet, doch werden auch in den Hochalpen, besonders im S., treffliche Maultiere für den Saumverkehr und im Pinzgau (Salzburg) schwere Zugpferde gezüchtet. Größere Ziegen- und Schafherden werden nur da gehalten, wo die Alpweiden für die Rinder schwer zugänglich oder zu spärlich sind, so in Graubünden und im Tessin. Die Rinderherden werden im Sommer dem weichenden Schnee nach allmählich von den untern Alpstufen oder Staffeln zu den obern zur Weide getrieben und im Herbst wieder zurück, um in den Stallungen der Thaldörfer zu überwintern (s. Alp). Die Zahl der hauptsächlich mit der Alpenwirtschaft beschäftigten Alpenbewohner mag etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung betragen. (S. Alpenwirtschaften.)

Da Ackerbau und Viehzucht nicht hinreichenden Ertrag liefern, um die verhältnismäßig starke Bevölkerung zu ernähren, so ist ein großer Teil derselben auf andere Erwerbsquellen angewiesen und beschäftigt sich mit dem Fällen und Flößen des Holzes, mit Bergbau und Verhüttung der Erze, an den großen Bergstraßen mit Durchgangsverkehr, d. h. mit der Beförderung von Reisenden und Waren. Von eigentlichen Industriezweigen der Alpenbewohner verdienen Erwähnung: die Eisenindustrie von Steiermark, Oberösterreich und Tirol, die Zucht der Seidenraupe und die Seidenspinnerei am Süd-^[folgende Seite]