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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Amazonenstrom

Ungeheure angeschwellte Wassermasse dem Atlantischen Ocean zuzuführen. In der Enge von Obidos wird der gewaltige Strom auf 1,5 km eingeengt (bei einer Tiefe von 70 m), während er bei Tabatinga über 2,5 und bei Villanova 3 km breit war. Von Santarem abwärts erweitert er sich bis 15 km und wendet sich von Porto de Moz ab, von vielen Inseln geteilt, gegen NO., mehrfach bis zu 80 km breit. - Die Mündung besteht aus drei Hauptarmen, die die Inseln Caviana und Mixiana umschließen, und hat vom Kap Raso do Norte bis zum Reiherkap (Cabo de Magoari) auf der Insel Marajo eine Breite von über 250 km. Vor den Hauptmündungen, Canal do Norte und Canal do Sul genannt, gehen mehrere Arme, deren größter Tajipuru heißt, nach S., vereinigen sich dann ostwärts gewendet mit dem Tocantins zu dem breiten Ästuar des Rio Para, dessen Gewässer dann ebenfalls nordöstlich ins Meer fließen. Der Rio Para darf aber nicht als Mündungsarm des A., sondern des Tocantins-Araguaya aufgefaßt werden; dies beweisen die Verschiedenheit in der Farbe des Wassers, der Form der Ufer und ihrer Vegetation, sowie der Umstand, daß man zwar im Hauptstrome die Ebbe und Flut des Meers bis Obidos hinauf spürt, aber nur durch eine Beschleunigung oder Hemmung der Strömung, während in den Rio Para das Meerwasser eindringt und ihn schwach brackisch macht. Die Süßwassermassen des Hauptstroms drängen das Meerwasser zur Ebbezeit über 200 km weit von der Küste zurück und geben sogar der an der brasil. Küste nordwestlich fließenden Strömung auf eine weite Strecke eine andere Richtung. Die zwischen beiden Hauptmündungen liegende Insel Marajo hat eine Fläche von 19270 qkm (fast ebenso groß wie die Provinz Westpreußen). Eine Deltabildung ist an der Mündung des A. nicht vorhanden, obgleich er gewaltige Massen von seinen Ufern und seinem Grunde fortspült; denn diese werden durch eine Meeresströmung nach der Küste Guayanas fortgeschafft. Der A. hat sogar einzelne kleinere Inseln in der Mündung allmählich fortgerissen. Die vielen Sandbänke ändern ihre Lage sehr schnell. An der Mündung beträgt die vom A. bewegte Wassermasse 35000 cbm in der Sekunde. - Der A. nimmt über 200 Nebenflüsse, darunter 100 schiffbare, und zwar 17 Ströme ersten Ranges von 1500 - 3500 km Länge auf, die sein Stromgebiet auf 5600000 qkm (mehr als die Hälfte des Inhalts von ganz Europa) und mit dem großen Tocantins-Araguaya (s. d.) auf 6500000 qkm erweitern, so daß es das größte der Erde ist. Vom 2.° nördl. Br. bis zum 20.° südl. Br. sendet der Ostabhang der Anden seine Gewässer in den A. Unter den Nebenflüssen sind sechs, die den Rhein an Länge und Wassermasse übertreffen, und doch sind selbst die beiden größten von ihnen, der Rio Negro und der Madeira, nicht im stande, bei ihrer Einmündung einen merklichen Eindruck auf die Strömung des A. in der Mitte zu machen. Ihre Gewässer, die durch den Unterschied der Farbe noch eine Strecke lang kenntlich bleiben, werden in ziemlich schmaler Linie am Ufer entlang gewälzt, bis sie in der Gesamtmasse verschwinden. Die meisten dieser Nebenflüsse bilden bei ihrer Einmündung Deltalandschaften und außerdem gehen mehrfach oberhalb derselben vom Hauptstrome Arme aus, die in die Nebenflüsse ausmünden, so daß ein unentwirrbares Gewebe von Flußarmen und Inseln entsteht; man kann in Booten von Santarem bis Obidos hinauffahren, ohne ein einziges Mal den Hauptstrom zu berühren. Durch Abzweigung eines Seitenarms des Madeira, der sich erst nach 350 km wieder mit dem A. vereinigt, wird die größte von dessen Inseln gebildet, die 14300 qkm große Ilha dos Tumpinambaranas, auf der sich die letzten Reste des einst mächtigen Volks der Tumpinambas erhalten haben. Die bedeutendsten Nebenflüsse sind von rechts: der Huallaga, Ucayali, Javari, Jutahi, Jurua, Coary, Purus, Madeira, Tapajoz oder Rio Preto, Xingu und Tocantins; links der Santiago, Moroña, Pastaza, Tigre, Napo, Putumayo oder Iça, Caqueta oder Yapura, der Rio Negro mit dem Casiquiare und Rio Branco, der Jamunda, Trombetas, Paru und Jary. - Das Gebiet des A. muß zur Kreidezeit eine weite Bucht gewesen sein, die von ältern Gesteinen umlagert wurde. Wahrscheinlich war schon in der ältern Tertiärzeit nahe den Anden eine Deltabildung des A. an der Mündung in die genannte Bucht vorhanden; wenigstens sind bei Pebas nahe der Mündung des Ambiyacu blaue Thone mit brackischer Fauna gefunden worden, wie, sie an den Mündungen der Ströme vorkommt. Seitdem ist die ganze Bucht allmählich mit dem Anschwemmungsmaterial des A. und seiner Nebenflüsse ausgefüllt worden und wir sehen nun in dem Tiefland des A. eine der größten Alluvialbildungen der Erde. - Die Einfahrt in den A. ist wegen der den Mündungen vorgelagerten Sandbänke äußerst gefährlich; dazu tritt die Naturerscheinung der berüchtigten Pororoca, einer mit wallartiger Front stromaufwärts laufenden, nach vorn überstürzenden, an den flachen Ufern und den Sandbänken strandenden Flutwelle, die durch plötzliche Verringerung der Wassertiefe im Flußbette oder durch starke seitliche Verengung und scharfe Biegung des Bettes entsteht. Als Tropenstrom ist der A. das Gegenteil vom Nil, indem er nicht durch verschiedene Zonen, sondern fast in seiner ganzen Länge dem Äquator zur Seite hinfließt, und daher seine alles Ähnliche überbietende Anschwellung durch Regen in der ganzen Ausdehnung fast gleichzeitig erhält. Der A. und sämtliche südl. Nebenflüsse haben ihre Regenzeit im Januar bis März, und dadurch steigt der Strom 10 - 15 m, verwandelt das Land meilenweit in eine Wasserwüste und gießt sein Gewässer oft durch Seitenkanäle in die Betten der Nebenflüsse aus, um dasselbe weiter unten wieder zu erhalten. Auf ähnliche Weise teilen sich die Nebenflüsse ihr Wasser mit, und so entstehen auf der fast wagerechten Tiefebene viele periodische Bifurkationen. Das Steigen des Wassers dauert ungefähr 120 Tage. Während dieser Zeit ist das Wasser des von N. kommenden Rio Negro auf mehrern hundert Kilometern stehend oder gar rückläufig. Sechs bis acht Wochen nach dem höchsten Wasserstande treten die mit Schlamm überzogenen Waldflächen wieder hervor und die geflohenen Tiere kehren zurück. Erst wenn die Hochflut des Stroms sinkt, beginnt das Wasser am Hauptstrome wie in den Nebenflüssen sein großartiges Vernichtungswerk gegen die Ufer. Die aufgeweichten Lehmwände, von dichtem Urwald belastet, senken sich. Ganze Waldpartien schweben über dem Wasser und stürzen bei irgend einer Erschütterung mit Getöse in das Wasserchaos. Ungeheure Massen von Treibholz werden in den Nebenflüssen herabgeführt; doch gelangt nicht alles bis zum Meere. Vieles strandet an den Sandbänken und den zahlreichen Inseln; anderes häuft