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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Annam

andere Vögel, Alligatoren, giftige Schlangen und unzählige Fische. Der Büffel wird gezähmt und zum Bestellen der Acker, was den Frauen obliegt, gebraucht. Kleine Rinder, Ziegen und Schafe werden gehalten; am meisten aber das chines. Schwein.

Bevölkerung. Dieselbe wird von einigen auf 2, von andern auf 6 Millionen geschätzt. Wirklich annamit. Abstammung sind die Bewohner der Küste, während die Berge im Westen von den Moï, unabhängigen Völkerschaften verschiedener Abkunft, den Resten der Ureinwohner des Landes, eingenommen werden, im Süden Überbleibsel der Tjam, der alten Herren des Landes, angesiedelt sind. Erstere haben eine sehr helle Farbe, kleine Gestalt, hübsche Formen und runde Köpfe, letztere sind groß, kräftig und von dunklerer Farbe. Die Moï leben in den Wäldern, die eigentlichen Annamiten sind Ackerbauer und Fischer. Die letztern sind zuvorkommend, wohlwollend und heiter, klug, mißtrauisch und furchtsam, leichtsinnig und eitel. Spiele und Theater sind sehr beliebt. Die Gebäude sind in der Regel aus Bambus und gestampfter Erde hergestellt und ruhen auf einem Erdaufwurf; das Dach besteht aus Binsen, Blattwerk oder Stroh. Die Häuser der Begüterten haben schöne Holzsäulen und einen Säulengang. Die Sprache ist im ganzen Reich das Annamitische, von dem es jedoch verschiedene Mundarten giebt; sie ist einsilbig, die Aussprache singend, die Schrift eine abgeänderte chinesische, doch haben die portug. Missionare das lat. Alphabet zur Wiedergabe der Laute der annamit. Sprache benutzt und eine Schrift aufgestellt, die Quoc-Ngü oder Cocgneu heißt. Schulunterricht ist im Volke ziemlich verbreitet.

Religion. Die Staatsreligion beruht auf der Lehre des Confucius (s. d.). Die eigentlich herrschende Religion ist aber eine entartete mit Götzendienst und dem Glauben an Zauberer gemischte Form des Buddhismus. Es giebt etwa 200 000 (nach andern gegen 420 000) Christen. Polygamie besteht, um dem Manne eine männliche Nachkommenschaft zu sichern, wird aber in Wirklichkeit meist durch Adoption ersetzt.

Industrie und Handel. Erstere ist von geringer Bedeutung, der Handel fast ganz in den Händen der Chinesen. Die Einfuhr erstreckt sich auf Baumwollgarne und Gewebe aus Europa und Britisch-Indien, Opium aus China, Papier, Heilmittel und Töpferwaren aus Japan und Zündhölzchen. Die Seidenzucht und Seidenweberei steht in hoher Blüte. Zur Ausfuhr gelangen die einheimischen Erzeugnisse.

Die Haupteinfuhr- und Ausfuhrartikel waren:

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Einfuhr 1888 Tausend Frs. Ausfuhr 1890 Tausend Frs.

Reis und Mehl 489 Lebende Tiere 144

Thee 384 Seide 1324

Opium 587 Seidengewebe 170

Medikamente 233 Zucker 652

Thonwaren 138 Zimmet 163

Baumwollgarn 891 Rotang 130

Webwaren 353 Arekanüsse 201

Papier 496 Salz 326

Andere Waren 791 Häute 202

Zusammen 4362 Zusammen 3312

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Im J. 1891 betrug die Einfuhr aus Frankreich 309 215 Frs., aus dem Ausland 3,95 Mill., die Ausfuhr 230 210 Frs. und 8,65 Mill. Frs.

Es giebt Gold-, Silber- und Zinkmünzen in der Form von Barren, Taëls und Schnüren; das Gold in kleinen Barren von unregelmäßiger oder prismatischer Gestalt und 37 g Schwere, Silber in größern Barren im Werte von 60 bis 70 Frs. oder in Taëls von ungefähr 6 Frs., Zink in Sapekenschnüren. Jede Schnur enthält 600 mit einem viereckigen Loch durchstochene und an einer Bambusfaser aneinander gereihte Sapeken im Gesamtwerte von 70 bis 75 Cent. und 1 kg schwer.

Verfassung und Verwaltung. Der Regierungsform nach ist A. eine absolute und erbliche Monarchie. Der Herrscher, wie in China "Sohn des Himmels" genannt, beauftragt mit der Verwaltung seine Minister des Innern, der Finanzen, des Krieges, der Justiz, der öffentlichen Arbeiten und des Kultus. Jedes Ministerium bildet einen Rat, der den Titularminister zum Vorsitzenden hat und die einschlägigen Angelegenheiten erörtert. Diese werden in zweiter Instanz von einer hohen Kommission geprüft, die sie der königl. Entscheidung vorlegt. Ein Censorenrat überwacht die ganze Verwaltung.

A. ist eingeteilt in 12 Provinzen, 6 große und 6 kleinere, jede mit einem Hauptort, der gleichzeitig eine Hauptstadt des Reichs ist; jede Provinz zerfällt in 3 Phu (Departements), jedes Phu in mehrere Hujen (Arrondissements). Seit der Errichtung des franz. Protektorats über A. hat eine franz. Generalresidentschaft ihren Sitz in Hue, und drei Residentschaften befinden sich in Qui-nhon, Thuan-khan und Than-hoa. Die Residenten sind mit der Überwachung der einheimischen Beamten beauftragt.

Die finanziellen Mittel des Staates gehen hervor aus einer Personalsteuer (eine Schnur per Kopf, 70-75 Cent.), aus der Grundsteuer, die als Naturalleistung für die Reisfelder, in Geld für die andern Kulturen bezahlt wird; aus Zöllen, Schifffahrtsabgaben, Fischereien, Wäldern, Bergwerken u. a. Die Steuerlisten werden aller fünf Jahre aufgestellt, zu derselben Zeit, wenn die Zahl der Mannschaft für den Fron- und Militärdienst festgesetzt wird. Über das Budget für A. und Tongking s. Tongking. Die Armee umfaßt die mit der Verteidigung von Hue betrauten Garderegimenter, die aus Nachbarprovinzen der Hauptstadt, und die Provinzialregimenter, die in den Provinzen ausgehoben werden, endlich die Leibwache jedes Beamten. Die Zahl der eingeborenen Truppen beträgt 11 833 Mann. Näheres s. Tongking.

Geschichte. Cochinchina und Tongking wurden 234 v. Chr. von dem chines. Kaiser Tschin-tschi-Hwang-ti erobert und waren dann abwechselnd den Chinesen unterworfen oder unabhängig, bis sie 1428 das chines. Joch abwarfen und seitdem ein einheitliches Reich unter dem Hause Leh bildeten. Die Herrscher aus demselben wurden jedoch bald durch ihre Minister in Schatten gestellt, so daß neben dem eigentlichen Herrscher in Tongking noch die Dynastie der Trinh (seit 1545) und in Cochinchina die der Nguyen (seit 1600) regierten. Bei Gelegenheit eines Aufstandes in Cochinchina erhob sich 1737 eine neue Dynastie, die Tai-song, die nicht nur die alte Dynastie der Leh, sondern auch die der Trinh in Tongking und die der Nguyen in Cochinchina vernichtete. Von letzterer blieb nur ein einziger Sprößling, Nguyen-anh, übrig, der von Pigneaux de Béhaine, Bischof von Adran und apostolischem Vikar für Cochinchina, eine christl. Erziehung erhielt. Nguyen-anh sandte 1782 seinen Sohn mit jenem Bischöfe nach Paris, unter dessen Vermittelung 18. Nov. 1787 zu Versailles ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen