Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Armengesetzgebung'
	seits scheint freilich aus dem oft beklagten Überhandnehmen der Landstreicherei in Deutschland zu folgen, daß eine gute Armenpflege eines auf Abschreckung 
	der Müßiggänger berechneten Zusatzes nicht entbehren kann. Hierauf beziehen sich die Bestimmungen des Deutschen Strafgesetzb. §. 361, Nr. 3 u. Nr. 5: 
	Wer als Landstreicher umherzieht und wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem 
	Unterhalt oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, die Vermittelung der Behörde in Anspruch genommen werden muß, wird mit 
	Haft bestraft. Bei der Verurteilung zur Haft kann erkannt werden, daß der Verurteilte nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu übergeben sei. Die 
	Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugnis den Verurteilten zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu 
	verwenden. Gegen einen Ausländer kann Verweisung aus dem Deutschen Reiche verfügt werden.
	
	Die wesentlichen Gebiete der A. sind jetzt folgende: 
	
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	1) Planmäßige Fürsorge für außerordentliche Notfälle in solchen Gegenden, in denen vorübergehend oder ständig die Bevölkerung (wie durch 
	Überschwemmungen und Mißwachs) der Gefahr der Verarmung ausgesetzt ist. In solchen allgemeinen Notstandsfällen kann nicht bezweifelt werden, daß der 
	Staat die unzulänglich gewordene Kraft der Gemeinden zu ergänzen hat. 
	
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	2) Feststellung der zur Armenpflege verpflichteten Organe und der ihnen zu überlassenden Einnahmequellen. 
	
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	3) Gesetzliche Ordnung des Niederlassungswesens im Sinne billiger Ausgleichung zwischen freier wirtschaftlicher Bewegung und den durch den 
	unbeschränkten Zustrom hilfloser Personen bedrohten Gemeindeinteressen. 
	
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	4) Staatliche Aufsicht über Privatwohlthätigkeitsstiftungen, deren planlose Verwaltung, wie die engl. Erfahrungen lehren, so große Mißstände hervorzurufen 
	vermag, daß man sich in England 1853 veranlaßt fand, dem Staate ein bestimmtes Aufsichtsrecht über zweckwidrige Privatstiftungen einzuräumen. 
	
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	5) Begründung von Kreditanstalten, welche durch Ermöglichung von Darlehen den kleinen Mann gegen Verarmung und wucherische Ausbeutung schützen. 
	
 
	Im mittelbaren Zusammenhange mit der A. stehen diejenigen Veranstaltungen, welche entweder, wie die 
	Sparkasseneinrichtungen, den wirtschaftlichen Erwerbsbetrieb heben sollen, oder gewissen Klassen von armen Personen eine ihren leiblichen Bedürfnissen 
	entsprechende sachverständige oder technische Behandlung sichern sollen: das Taubstummen-, Blinden- und Irrenwesen. Überall ergiebt sich für den neuern 
	Staat, der den Grundsatz des Schulzwanges anerkannt hat, die Notwendigkeit, die Versorgung der Waisen teils nach den Gesichtspunkten der Armenpflege, 
	teils im Sinne vernünftiger Wirtschaftspolitik und Pädagogik zu ordnen.
	
	
	Eine besondere Schwierigkeit umgiebt die A. in Staatenverbindungen, die ein einheitliches wirtschaftliches Gebiet darstellen. In ihnen kommt es darauf an, die 
	Grundsätze der Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit, die sich auf das Gesamtstaatsgebiet erstrecken, in Einklang zu bringen mit den Grundsätzen der den 
	einzelnen Gemeinden in verschiedenen Staaten obliegenden Unterstützungspflicht. Das Deutsche Reich suchte diese Schwierigkeiten durch das in allen 
	Staaten mit Ausnahme von Bayern und Elsaß-Lothringen geltende Gesetz vom 6. Juni 1870 (abgeändert 12. März 1894) zu lösen. Um einen gemeinsamen 
	Grundsatz gegenüber der Verschiedenheit  ↔  der A. in den Einzelstaaten zu gewinnen, ward der 
	Unterstützungswohnsitz (s. Heimatsrecht) nach der Regel geschaffen, daß jeder hilfsbedürftige 
	Deutsche vorläufig von demjenigen Ortsarmenverbande unterstützt werden muß, in dessen Bezirke er sich bei dem Eintritt seiner Hilfsbedürftigkeit befindet, 
	diese Auslage aber von demjenigen Verbande zu erstatten ist, in dem der Unterstützungswohnsitz durch Familienangehörigkeit (Ehefrauen, Kinder) oder durch 
	zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt erworben wurde. Die Krankenkosten werden jedoch für den Zeitraum von 13 (bisher 6) Wochen von der Armenpflege 
	desjenigen Ortes getragen, an dem vermögenslose, dort gegen Lohn in Arbeit oder Dienst stehende Personen oder Lehrlinge erkranken. Wird die 
	Unterstützungspflicht zwischen mehrern Armenverbänden streitig, so entscheiden darüber, je nachdem diese demselben Staate oder verschiedenen 
	angehören, entweder die Landesbehörden oder das «Bundesamt für das Heimatswesen», letzteres auch bei Berufung. Eine größere Anzahl deutscher 
	Einzelstaaten hat jedoch seine Armenstreitsachen freiwillig an die letztere Behörde als oberste Instanz übergehen lassen. Gegen die auf den 
	Unterstützungswohnsitz bezügliche deutsche Gesetzgebung ist vielfach Beschwerde erhoben worden; doch gelang es bisher nicht, ein besseres System 
	nachzuweisen. Die Novelle vom 12. März 1894 hat nur Einzelheiten geändert. Das bayr. Armenrecht beruht auf dem Heimatsprincip, das Armenrecht in 
	Elsaß-Lothringen auf dem ältern franz. System. Danach ist die örtliche Armenpflege freiwillig: die Bezirksarmenpflege beruht teils auf freiwilliger Übernahme, 
	teils auf gesetzlicher Verpflichtung. Frankreich selbst hat durch Gesetz vom 15. Juli 1893 eine umfassendere Krankenpflegeverpflichtung geschaffen. – Vgl. 
	Emminghaus, Das Armenwesen und die A. in europ. Staaten (Berl. 1870); Verhandlungen des 11. Kongresses deutscher Volkswirte vom 2. Sept. 1869 (ebd. 
	1870); Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts (ebd. 1873); Seydel, Reichsarmenrecht (in Hirths «Annalen», 1877); Georg Meyer, Lehrbuch des 
	deutschen Verwaltungsrechts, Teil 1 (2. Aufl., Lpz. 1893); Artikel Armenwesen im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 1 (Jena 1890); Höinghaus, 
	Die deutschen Reichsgesetze über Armenwesen und Unterstützungswohnsitz (3. Aufl., Berl. 1894); die Kommentare zum Unterstützungswohnsitzgesetz von F. 
	Arnold (ebd. 1872), von Rönne (ebd. 1879), Krech (ebd. 1894) u. a.; Seydel, Das bayr. Heimatsrecht (in Hirths «Annalen», 1886, S. 720 fg.); Rasp, Das bayr. 
	Gesetz über öffentliche Armen- und Krankenpflege vom 29. April 1869 (Münch. 1893); Scharpff, Handbuch des Armenrechts (für Württemberg; Stuttg. 1894 fg.); 
	Münsterberg, Die deutsche A. (Lpz. 1887); Nicholls, History of the English poor law (2 Bde., Lond. 1854); Reitzenstein, 
	Die A. Frankreichs (Lpz. 1881); Aschrott, Das engl. Armenwesen (ebd. 1886).