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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bad (Badeanstalt)

die größere Ausbreitung des Aussatzes und der Syphilis mit der vermehrten Gefahr der Ansteckung, der mehr und mehr ins Volk übergehende Gebrauch der leinenen Leibwäsche und Veränderungen in den Sitten und Gewohnheiten, besonders auch die vielfach mit ihnen verknüpfte Liederlichkeit verursachten, daß sich der Besuch der öffentlichen Badestuben allmählich verminderte. Ärzte, Geistliche und Regierungen traten schon im Anfang des 17. Jahrh. gegen dieselben auf, und das Volk entwöhnte sich der Sitte des häufigen Badens. Dagegen kam dann der Besuch der Wildbäder und der Mineralwässer als Vergnügungsorte, die sog. Badefahrten, in Deutschland in Aufnahme. In Frankreich fand das Baden in öffentlichen Anstalten sowie in Heilquellen oder Thermen schon mit der Herrschaft der Römer Eingang, und blieb daselbst mehr oder weniger heimisch. Karl d. Gr. brachte seinerzeit besonders die warmen B. in Aachen in Aufnahme. Später war Baden im Aargau einer der berühmtesten Badeorte. Im Mittelalter wurden Dampfbäder (étuves, lat. stufa) von der Zunft der Bader (estuveurs) gehalten. Der Humanist Johann Franz Poggio Bracciolini aus Florenz (1380‒1459) stellt in einem Briefe die geselligen Freuden Badens weit über jene der antiken B. von Puteoli. Das Leben in den B. war im Mittelalter und in den nächsten Zeiten darauf ein freies, unbefangenes und zum Teil lockeres. Beide Geschlechter besuchten einander in den B., man trank, sang und musizierte darin und tanzte nachher. Nachdem in Deutschland, und zum großen Teil auch anderwärts, das Baden als Volksgebrauch fast ganz aufgehört, kamen zu Anfang des 18. Jahrh. von England aus kalte und Seebäder wiederum in Aufnahme. Reisende Ärzte machten auf die dortigen Badeanstalten aufmerksam, und so erstanden namentlich infolge der Ermahnung der Ärzte Halm, Marcard, Ferro, Hufeland u. s. w. in den civilisierten Ländern Europas wiederum zahlreiche Badeanstalten. Doch erst im 19. Jahrh. begann das Badewesen durch Einführung öffentlicher Badeanstalten wieder einen wirklichen Aufschwung zu nehmen. Ebenso war es erst dem 19. Jahrh. vorbehalten, Wert und Bedeutung der Mineralbäder für die Heilkunde in wissenschaftlichem Sinne zu bearbeiten (s. Mineralwässer und Balneographie). – Vgl. Zappert, Über das mittelalterliche Badewesen (im «Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen», Bd. 21, Wien 1859).

In hygieinischer Beziehung sind die B. von der größten Bedeutung. Man hat sie hinsichtlich ihres Zwecks in Reinigungs- und Heilbäder eingeteilt. Sie zerfallen in allgemeine oder ganze B. (Vollbäder), bei denen der ganze Körper in die Flüssigkeit eintaucht, und in partielle oder örtliche B. (Sitz-, Fuß-, Arm-, Handbäder u. dgl.). Ihre Wirkungen auf den menschlichen Körper hängen ab von den Bestandteilen des B. und deren Menge, der Dauer und Gebrauchsweise, vorzugsweise aber von dem Grade der Wärme oder Kälte. Die Wasserbäder reinigen die Haut von Schmutz und Hauttalg, fördern durch Aufweichen die Abstoßung der obersten Hautschichten und hierdurch die Verjüngung der Haut selbst. Ferner kommt der Effekt der verminderten Ausdünstung und der Verschiedenheit des Drucks von außen zur Geltung, da das Wasser 700mal dichter ist als das Medium der Luft. Die Frage, ob im Wasserbade eine Aufsaugung und Aufnahme des Wassers sowie der im Wasser gelösten Bestandteile in den Körper stattfindet, ist noch immer als eine offene zu betrachten; die Absorption kann gewiß nur eine geringe sein, da man beobachtet hat, daß nach dem B. nicht eine Vermehrung, sondern eine Verminderung des Körpergewichts eintritt, sei es durch Abgabe von Stoffen durch die Haut, sei es durch Vermehrung der Lungenthätigkeit. Man unterscheidet hinsichtlich der Temperatur das kalte B. bis 15° R., das kühle B. 16 bis 22° R., das lauwarme B. 23 bis 27° R., das warme B. 27 bis 30° R. und das heiße B. von 30° R. und darüber.

Das kalte B. vermindert je nach der Heftigkeit und Plötzlichkeit der Abkühlung die Blutwärme, vermehrt die Kohlensäureausscheidung, verlangsamt den Puls- und Herzschlag sowie die Atmung, während die Reizbarkeit der Haut zwar anfangs erhöht, dann aber vermindert und nach beendetem B. wiederum gehoben wird; die Haut verliert ihren Blutreichtum, indem sich die kleinen Blutgefäße zusammenziehen, die innern Organe mehr mit Blut füllen. Bald nach dem kalten B. tritt wieder erhöhte Körpertemperatur, verstärkter Blutstrom nach der Haut, im Nerven- und Muskelsystem das Gefühl der Erfrischung, der Elasticität und der Kraft ein; mit der erhöhten Wärmeproduktion ist eine allgemeine Reaktion und eine nicht geringe Anregung des Stoffwechsels verbunden. Bei öfterer Wiederholung ist das kalte B. das vorzüglichste Mittel, durch welches die Haut geübt werden kann, Temperaturwechsel zu ertragen. Deshalb wird es vorzugsweise solchen Personen angeraten, welche an einer Neigung zu Erkältungskrankheiten, zu Rheumatismen und Katarrhen leiden. Da sich nach jedem kalten B. der Umsatz der Stoffe neu belebt, so benutzt man das wiederholte kalte B. auch dazu, die Ernährung des Körpers zu verbessern, fehlerhafte Blutmischungen und sogar krankhafte Veränderungen einzelner Organe zu beseitigen. Nachteilig wirkt das kalte B. bei großer Blutarmut, hochgradiger Nervosität, Herzkrankheiten und Schwächezuständen der verschiedensten Art. Am häufigsten benutzt man die kalten B. in Form der Flußbäder und der B. im Schwimmbassin, die stets von kurzer Dauer, d. h. höchstens 5, 10 bis 15 Minuten, und mit Schwimmbewegungen verbunden sein sollen; vorher lasse man den Körper abtrocknen und abkühlen, nach dem B. reibe man den Körper trocken, kleide sich rasch an und mache sich alsbald Bewegung; die beste Zeit für Flußbäder ist etwas vor dem Frühstück oder vor Sonnenuntergang. Kurze Zeit nach dem Essen, insbesondere nach einer reichlichen Mahlzeit, zu baden vermeide man, bade aber auch nicht des Morgens, ohne etwas gegessen zu haben. Die Seebäder (s. d.) wirken ebenfalls als kalte B., doch kommt bei ihnen auch Wellenschlag und Salzgehalt des Wassers zur Wirkung. Zur Herabsetzung der übermäßig erhöhten Körpertemperatur wendet man kalte und kühle B. bei schweren fieberhaften Krankheiten mit außerordentlich günstigem Erfolg an; durch die energische Anwendung kalter B. ist namentlich die Mortalitätsziffer der typhösen Fieber beträchtlich herabgesetzt worden. (S. Kaltwasserkur.)

Bei den lauwarmen B. ist jene Reizung der Empfindungsnerven der Haut nicht wahrzunehmen, die Reinigung der Haut geht durch sie unter schnellerer Beseitigung der Oberhauttrümmer, welche die Hautfunktion hemmen, besser von statten; der gelindere Reiz erweckt in den Muskeln eine angenehme Empfindung, und nach ihrem Gebrauche schwindet das Gefühl der Ermüdung. Man wendet die lau- ^[folgende Seite]