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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Baumwollindustrie

auch verarbeitet. Die Ägypter schätzten Gewänder aus Baumwolle hoch, wie wir aus dem biblischen Berichte über den Aufenthalt der Juden in Ägypten wissen. Joseph erhielt ein baumwollenes Kleid als Geschenk von dem damaligen Pharao. Im Ostindischen Archipel ist die Verwendung der Baumwollhaare zur Anfertigung von Gewändern eine uralte.

Den Bewohnern von Amerika war die Kultur der Baumwolle und ihre Verarbeitung zur Zeit der Entdeckung bereits bekannt. Unter den Geschenken, die Columbus von den Einwohnern von Guanahani erhielt, befand sich auch Baumwolle; die Bewohner des Innern von Hispaniola mußten ihm alle drei Monate 25 Pfd. als Tribut liefern, und auf Cuba fand man große Vorräte von Rohstoff und allerlei Fabrikaten. In Südamerika bestanden die bunten Kopftücher und Schürzen der wilden Indianer aus Baumwolle, die Brasilianer fertigten ihre Hamaks und Jagdgarne daraus, die Peruaner ihre ärmellosen Hemden und Mäntel. Bei den Mexikanern war die Baumwolle fast das einzige Bekleidungsmaterial. Unter den Geschenken, die Montezuma dem Cortez bot, befanden sich 30 der feinsten baumwollenen Mäntel, außer Teppichen u. s. w., von denen Cortez einige dem Kaiser Karl V. sandte, an dessen Hofe diese Neuheiten die größte Bewunderung erregten. Auf weißen baumwollenen Zeugen entwarfen auch die Maler, die sich unter den Gesandten Montezumas an Cortez befanden, Zeichnungen aller der Merkwürdigkeiten, die sie bei den Spaniern gesehen hatten. In das nördl. Amerika ist die Kultur und Verarbeitung der Baumwolle aber erst durch Europäer eingeführt worden.

Wie die Araber den Anbau der Baumwolle nach Europa brachten, so fingen sie auch zuerst an, dieselbe zu verarbeiten, indem sie Baumwollmanufakturen in Spanien gründeten. Abu Abdallah sandte an Karl d. Gr. als Geschenk baumwollene Zeuge, die in Spanien verfertigt worden waren. Unter Abdarrhaman entwickelte sich diese Industrie noch weiter und gelangte im 12. Jahrh. zu hoher Blüte; im 14. Jahrh. wurde sie in Granada schwunghaft betrieben. Die Christen aber hatten schon im 13. Jahrh. bedeutende Baumwollmanufakturen in Barcelona. Sicilien verdankt die Einführung dieser Industrie im 12. Jahrh. gleichfalls den Saracenen. In Italien führte Venedig zuerst die Baumwollmanufaktur ein; hier blühte sie im Anfang des 14. Jahrh. und verbreitete sich bald über die benachbarten ital. Städte. Florenz glänzt um diese Zeit durch seine ausgezeichnete Weberei, Appretur und Färberei. Von Italien kam die B. bald nach der Schweiz, und zwar hauptsächlich nach Zürich, wo im 14. und 15. Jahrh. der Handel mit Baumwolle und baumwollenen Zeugen ein sehr lebhafter war. Um dieselbe Zeit gelangte die Baumwolle von Venedig nach Augsburg; durch den regen Handelsverkehr zwischen diesen beiden Städten fing Augsburg bald an, sehr beträchtliche Mengen von Geweben nach den Niederlanden auszuführen, von wo es später den Rohstoff bezog. Denn den Niederlanden wie England wurde zwar schon im Anfang des 14. Jahrh. Baumwolle durch Genuesen und Venetianer zugeführt, indes verwandte man dieselbe, soweit bekannt, nur zu Licht- und Lampendochten. Die Holländer sollen aber zuerst in Europa Kattun, wie den indischen, angefertigt haben, eine Kunst, die wohl zu Anfang des 16. Jahrh. nach England übersiedelte. Prot. Flüchtlinge brachten die Baumwollspinnerei und Weberei hierher, unter Heinrich VIII. begann die Verarbeitung der Baumwolle in Lancashire, und eine Parlamentsakte Eduards VI. spricht schon von Baumwollwaren von Manchester, Lancashire und Cheshire. Manchester wurde der Hauptplatz der Fabrikation baumwollener Gewebe (Kanevas, Barchent, Fustian, Dimity u. a.) und lieferte bald baumwollene Sammete und Velvetins. Aber erst durch die Einführung des Kattundrucks und die gesetzliche Beschränkung der Einfuhr ostind. Zeuge 1700 und 1721 gelangte die englische B. zu stärkerer Entfaltung, und seit Erfindung der Spinnmaschinen, namentlich in den zwei letzten Jahrzehnten des 18. Jahrh., ist sie mit Riesenschritten vorwärts geeilt, so daß sie die aller andern Länder Europas überflügelt hat. Der Erfindungsgeist und die Energie des angelsächs. Stammes lieferten in einem halben Jahrhundert unendlich viel mehr als alle Weisheit des Orients in Jahrtausenden. Den Engländern folgten die Franzosen, Schweizer und Deutschen bald nach. In Deutschland war Sachsen eins der ersten Länder, und Plauen die erste Stadt, wo Kattunfabriken im großen angelegt wurden, und noch immer ist Sachsen das Hauptland für die deutsche B. Zu diesen europ. Gebieten sind in neuester Zeit die Vereinigten Staaten von Amerika und Britisch-Ostindien hinzugetreten, so daß eine Zweiteilung Europas in Großbritannien und den Kontinent vorausgesetzt, vier verschiedene Richtungen zu unterscheiden sind, nach denen sich der auf der Erde produzierte Rohstoff verteilt, um fabrikmäßig verarbeitet zu werden.

Gegenwärtig nimmt die Baumwollspinnerei und Baumwollweberei, was Umfang der Etablissements, Verbrauch des Rohmaterials, Zahl der beschäftigten Hände und Anwendung maschineller Hilfsmittel anlangt, unter allen Zweigen der Textilindustrie die erste Stelle ein. Sie zuerst hat von den Erfindungen der neuern Zeit im Fache des Maschinenwesens Gebrauch gemacht; die Spinnmaschine, der mechan. Webstuhl fanden in der B. zuerst Anwendung, ja verdanken ihr Erfindung und konstruktive Entwicklung; Druck- und Appreturmaschinen nahmen von ihr den Weg in andere Gebiete der Faserstofftechnik. In ihrem Rohstoff fast vollständig von außereurop. Gebieten abhängig, tritt in der B. das Übergewicht europ. Intelligenz und europ. Kapitals auf das glänzendste zu Tage und läßt sie als eins der lehrreichsten Beispiele unserer technischen und wirtschaftlichen Erfolge erscheinen.

2) Statistisches. Von dem gewaltigen Aufblühen der B. in Europa selbst giebt zunächst der jährliche Verbrauch Europas von Baumwolle Aufschluß; derselbe belief sich im Durchschnitt: 1846-50 auf 518 Mill. kg, 1851-55 auf 704 Mill. kg, 1856-60 auf 871 Mill. kg, 1861-65 auf 665, Mill. kg, 1866-70 auf 1040 Mill. kg, 1871-72 auf 1018 Mill. kg, 1881-82 auf 1156 Mill. kg und 1889-90 auf 1661 Mill. kg. Die Anzahl sämtlicher Spindeln Europas belief sich 1832 auf 11,8 Mill., 1880 war sie auf 58,6 Mill. Gestiegen. Anfang 1895 wird die Anzahl sämtlicher Baumwollspindeln der Erde auf etwa 90 Mill. zu veranschlagen sein, der Gesamtverbrauch des Jahres 1894 dürfte 2000 Mill. kg überstiegen haben.

Weitaus an der Spitze der Produktion sowohl Europas wie der ganzen Erde steht Großbritannien; im übrigen macht den Anteil der einzelnen Länder an der B. nachstehende Tabelle ersichtlich: