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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Chinesenfrage

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Chinesenfrage'

einigten Staaten, in Canada und in den austral. Kolonien zu Maßregeln der Abwehr schritt.

Die diplomat. Verbindung zwischen China und den Vereinigten Staaten datiert seit dem von Cushing vermittelten Vertrag von 1844 und wurde 1858 befestigt. Während des Arbeitermangels, der 1850–70 in Kalifornien herrschte, strömten die Chinesen in großer Anzahl in das Land, wo sie als Diener und Arbeiter in Bergwerken, Goldwäschereien u.s.w. Beschäftigung fanden. 1860 gab es dort 34933. Infolge der Eisenbahnbauten vermehrte sich die Zahl bis 1870 auf 63199, fast ausschließlich Männer. Zu dieser Zeit traten zahlreiche Arbeiter anderer Nationalität, besonders Irländer, mit den Chinesen in Mitbewerb, und da die Chinesen durch ihre Anspruchslosigkeit die Löhne herabdrückten, erregten sie deren Unzufriedenheit. Dazu kamen ihre anstößigen Lebensgewohnheiten. Sie lebten, besonders in San Francisco, in enge Wohnungen eingepfercht, in einem eigenen Stadtviertel und waren, da sie fast ausschließlich den niedrigsten Klassen angehörten, größtenteils Eigentum der «sechs Gesellschaften», großer Handelsvereinigungen, die ihnen den Betrag für die Überfahrt vorstreckten und sie als ihre Schuldner in der Gewalt hatten, bis das Geld bezahlt war. Außerdem herrschte unter ihnen eine heimliche Privatjustiz, ähnlich der neapolit. Camorra. Auf 100820 männliche Chinesen kamen 1880 nur 4793 Weiber, großenteils Prostituierte. Christl. Missionare hatten keine Erfolge. Die Folge war eine außerordentliche Demoralisation der untersten Klassen der mit den Chinesen in Verbindung tretenden Weißen. Ferner kamen die Chinesen nur zu zeitweiligem Aufenthalt und sorgten aus religiösen Gründen dafür, daß sogar ihr Leichnam nach China zurückgeschickt wurde; sie blieben daher immer Fremde in dem Lande, in dem sie lebten. Die Thatsache, daß sie ihre Ersparnisse mit sich nahmen, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrten, schien oberflächlichen Beurteilern die im Lande bleibenden Resultate ihrer fleißigen Arbeit zu überwiegen. Es wurden daher in den Vereinigten Staaten drei Mittel ins Werk gesetzt, um die Chinesen zu vertreiben oder wenigstens ihre weitere Verstärkung zu verhindern.

Zunächst wurde der Pöbel gegen sie mobil gemacht. Schon in den fünfziger Jahren hatten sie unter den Ausschreitungen der erbitterten Menge zu leiden; als ihr ärgster Feind erwies sich der irische Demagoge Dennis Kearney, der eine Art Kreuzzug gegen sie veranstaltete. Der Widerstand gegen ihr Eindringen verbreitete sich, wohin sie kamen, und 2. Sept. 1885 kam es in Rock Springs (Montana) zu einem argen Tumult, bei dem 50 Chinesen ermordet und ihr Eigentum zerstört wurde. Ähnliche Ausschreitungen kamen auch in Colorado vor, in Washington verhinderte sie eine Proklamation des Präsidenten. Ein zweites Mittel, dem Vordringen der Chinesen Einhalt zu thun, war die Gesetzgebung in den Staaten und Territorien. Schon 1856 finden sich in Kalifornien Antichinesengesetze, später in den benachbarten Staaten. Zuerst versuchte man sie durch höhere Besteuerung abzuschrecken, dann erließ man Verordnungen gegen sie und endlich wurde ihre Vertreibung beschlossen. So gab die Verfassung von Kalifornien von 1879 dem Staat das Recht, die Chinesen auszuweisen, und verbot den Korporationen, sie zu beschäftigen; die Verträge mit China verhinderten jedoch die Ausführung dieser Bestimmungen. Da die Chinesen ↔ seit 1875 in großer Menge als ländliche Arbeiter benutzt wurden, nahmen die betroffenen Staaten zu dem letzten Mittel, das ihnen zu Gebote stand, ihre Zuflucht und appellierten an die Bundesregierung. Schon März 1879 legte Präsident Hayes sein Veto gegen ein vom Kongreß beschlossenes, die Chineseneinwanderung beschränkendes Gesetz ein, weil es gegen die Verträge mit China verstieß. Bei der Präsidentenwahl von 1880 wäre Garfield fast unterlegen, weil ein gefälschter Brief in Umlauf gesetzt wurde, worin er angeblich seine Abgeneigtheit aussprach, die Chineseneinwanderung zu beschränken. Ihre Zahl betrug 105465. Am 17. Nov. 1880 wurde ein Vertrag mit China abgeschlossen, durch den den Vereinigten Staaten das Recht eingeräumt wurde, die chines. Einwanderung zu beschränken, aber nicht gänzlich zu verbieten, und 6. Mai 1884 wurde ein Gesetz erlassen (amendiert 5. Juli 1884), das die Einwanderung der Chinesen auf 10 Jahre suspendierte, mit Ausnahme derer, die schon früher im Lande gelebt hatten. Die Maßregel verfehlte jedoch ihren Zweck, und 1886–88 wurden diplomat. Verhandlungen mit China geführt, um dessen Einwilligung zu einem völligen Verbot der Einwanderung chines. Staatsangehöriger zu erlangen. Die Verhandlungen scheiterten, und 1. Okt. 1888 erließen die Vereinigten Staaten ein Gesetz, das in offenbarem Widerspruch mit den Verträgen den Eintritt von Chinesen vollkommen verbot. Auch dies Gesetz blieb ohne Wirkung, da sich die Chinesen in Canada oder Mexiko ausschiffen lassen und von dort über die unbewachten Grenzen einwandern. 1890 wurden 107475 Chinesen gezählt. Im Mai 1892 wurde trotz des Protestes der chines. Regierung die Antichinesenbill von 1884 auf weitere 10 Jahre bestätigt mit verschiedenen verschärfenden Zusätzen: kein Chinese darf gegen Bürgschaft aus der Haft entlassen werden; alle in den Vereinigten Staaten befindlichen chines. Arbeiter sollen ihre Namen eintragen lassen und Aufenthaltsscheine führen; Chinesen, welche in Übertretung des Gesetzes einwandern, sollen, ehe sie zurückgeschickt werden, eine einjährige Gefängnisstrafe erleiden. Auch die Bestimmungen dieses neuen Gesetzes (Geary-Gesetz) wurden zunächst vereitelt, da sich die große Mehrzahl der Chinesen nicht eintragen ließ und somit der Staat vor der kostspieligen Aufgabe stand, etwa 85000 Kuli (nur die chines. Arbeiter, nicht die Kaufleute, sind zur Registrierung verpflichtet) zur See zurückzutransportieren. Dazu drohte China, daß, wenn das Geary-Gesetz in Kraft treten sollte, die in China lebenden Amerikaner ebenfalls ausgewiesen werden sollten. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Schwierigkeiten wurde in einer im Nov. 1893 angenommenen Ergänzung zum Geary-Gesetz den chines. Arbeitern eine weitere Frist von 6 Monaten zur Registrierung gegeben.

Auch in Britisch-Columbia, der westlichsten Provinz des Dominion of Canada, hat man die Chinesen abzuhalten gesucht, aber ebenfalls ohne großen Erfolg. Ein Gesetz von 1884 legt jedem Chinesen eine Steuer von 10, später 50 Doll. auf und bestimmt, daß er, falls er eines Verbrechens angeklagt wird, so lange für schuldig gehalten werde, bis er seine Unschuld nachgewiesen hat. – In Cuba und in Peru wurde ihre Stellung auf Grund des Gutachtens einer Kommission verbessert.

Durch ähnliche Maßregeln suchten sich auch die austral. Kolonien der chines. Einwanderung zu er-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 220.

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