Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

23

Deutsche Litteratur

lings des Berliner Salons, und der hocharistokratischen Gräfin Ida Hahn-Hahn; Henriette von Paalzow dankte den Erfolg ihrer scottisierenden Romane sehr wesentlich dem Interesse Friedrich Wilhelms IV. Im Gegensatz zu dieser Gruppe stellte der lebenserfahrene K. von Holtei (1797-1880) in seinen äußerst bunten und belebten Romanen mit Vorliebe und entschiedener packender Kraft die amüsantere schlechte Gesellschaft dar. Ein heiterer Humorist war der Freiherr von Gaudy, ein sentimentaler in Jean Paulscher Art der Verfasser des "Prinzen Rosa Stramin", Ernst Koch. Fehlt es Meinholds archaisierenden Hexenromanen nicht an starker reaktionärer Tendenz, so beherrscht Stifters Novellen eine quietistische Hingabe an die Natur, für die die Menschengeschicke kaum mehr als Staffage sind.

Dieser Naturkult lebt in der Lyrik der Zeit wesentlich fort in den Ausläufern und Verwandten der Schwäbischen Schule. Frisch gedeiht die volkstümliche Dialektdichtung, so in Kobells oberbayr., Nadlers pfälz., Holteis schles. Gedichten; einen starken heimatlichen Erdgeruch atmen auch die Dichtungen der elsäss. Brüder Stöber, die sich von Herzen als Deutsche fühlen, und des westfäl. urkath. Freifräuleins Annette von Droste-Hülshoff, einer überraschend wahrhaften und kräftigen, etwas spröden poet. Persönlichkeit. Der Rhein sieht im Bonner Maikäferverein eine Gruppe fröhlicher, dabei warm patriotischer Sänger vereint, denen wir manch noch heute gesungenes Lied danken, so den politisch bekannten Gottfr. Kinkel, der aber Politik und Poesie selten vermischte, ferner Karl Simrock, Nik. Becker, Alex. Kaufmann; ähnlich heitere Gesellschaftslieder stimmten der Berliner Wilh. Wackernagel und der Hannoveraner Hoffmann von Fallersleben an. Das muntere Kinderlied pflegte der Maler Reinick, die Kinderfabel Wilh. Hey, die komische Ballade der prächtige Aug. Kopisch, während die Balladen Eberts und Mosens mit Vorliebe ernste histor. Stoffe, zuweilen auch tendenziös behandeln. Freiligraths exotische Lyrik fand noch an Ad. Bube einen Fortsetzer. An die geistliche Lyrik des Schwaben Alb. Knapp schloß sich später der Schwabe Gerok in formsichern schönen Liedern an; auch des Thüringers Jul. Sturm fromme Lieder stehen unter schwäb. Einflüssen; verbreiteter war Spittas Sammlung "Psalter und Harfe" (1833). Eine gesunde Gnomik, die nichts mit den modernen Tendenzen zu schaffen hat, sondern an unsere Klassiker anknüpft, pflegt Ernst Freiherr von Feuchtersleben. So zeitigt die Epoche neben der gärenden polit. Lyrik eine stattliche Reihe liebenswürdiger, frischer lyrischer Sänger. Der nach Mörike weitaus bedeutendste freilich, der Ungar Nik. Lenau (1802-50), spiegelt in seiner leidenschaftlichen Sehnsucht, seiner tiefen Zerrissenheit, die den Unglücklichen zum tragischen Vertreter des deutschen Weltschmerzes macht, das ganze Elend der unbefriedigten Zeit ab, die seinem stürmenden Dichterherzen nirgend eine Zuflucht gewährte.

Lenau hat auch histor. Epen hinterlassen, wie denn das Epos, lange ein Stiefkind unserer Litteratur, jetzt neuen Boden gewinnt. In dem Berliner "Tunnel über der Spree" gedieh nicht nur die Ballade (Strachwitz, Fontane, später Kugler, Heyse, Dahn); dem ungefügen, aber schwungvollen Chr. Fr. Scherenberg gelingt hier das preuß. Schlachtenepos ("Waterloo", 1849). Und bemerkenswert genug bricht für das Epos eine romantische Nachblüte an, die in Mosens tief symbolischem "Ritter Wahn" (1831), in Zedlitz' duftigem "Waldfräulein" (1843) und Kinkels anmutigen, aber allzu lyrisch gestimmten poet. Erzählungen ("Otto der Schütz", 1841) sich ankündigte und bald weitere Früchte tragen sollte.

Auch im Drama findet die Romantik noch einen späten, bemerkenswerten Vertreter in Friedr. Halm (1806-71), bei dem freilich ungesunde und rührsame Elemente nur selten rechte Befriedigung aufkommen lassen. Sind die psychol. Probleme, die er sich stellt, interessant aber gesucht und nicht immer überzeugend, so war ein psychol. Realist ersten Ranges der größte Dramatiker der Zeit, Friedr. Hebbel (1813-63). Ein dithmarsischer Eisenkopf von harter, oft nüchterner Wahrhaftigkeit, ein unermüdlich ringender Geist, reflektiert, vergrübelt, dabei von unstillbarer Sehnsucht nach dem Ideal erfüllt, hat er sich die Bühne nur sehr langsam erobert, sowohl für seine gewaltigen Jambendramen wie "Gyges und sein Ring" (1854) und die "Nibelungen" (1862), als für seine Prosastücke "Judith" (1841), "Maria Magdalene" (1844). Gerade in dieser politisch aufgeregten Zeit hat das große Publikum keinen Sinn für ernste Kunst: da ist die Zeit für die leicht satir. Salonstücke Bauernfelds, für die harmlosen Lustspiele Benedix', für die effektvoll trivialen Stücke der fruchtbaren Charl. Birch-Pfeiffer, die beliebte Romane massenhaft auf die Bühne bringt und in der Gunst der Berliner Raupach ablöst. Erfreulich hebt sich das geistreiche Lustspiel "Pitt und Fox" von Rud. Gottschall aus dem theatralischen Durchschnittsmaß heraus.

Der Überblick über die Jahre 1830-50 zeigt immerhin, wie wenig die polit. Unruhen die Poesie begünstigen; das Aufblühen der Tagesjournalistik, in der neben Heine und Börne der alberne Witzler Saphir Effekt machte, bot dafür wahrhaftig keinen Ersatz. Nach der Märzrevolution glätten sich die Wogen, und so wenig in der Zeit von 1850 bis 1870 die Politik schweigt, so führt sie in der Poesie doch nicht mehr das große Wort. In begreiflichem Rückschlag erzeugt die Ermattung geradezu eine Art Nachromantik, die sich namentlich im Epos kundgab. Einen großen, heute unbegreiflichen Erfolg erzielte Oskar von Redwitz mit seiner süßlich frömmelnden "Amaranth" (1849); ausgeprägt kath. Romantik spricht aus Jos. Papes mittelalterlichen epischen Erzählungen, während seines jüngern Landsmanns Webers "Dreizehnlinden" mehr der kräftigen Art Annette Drostes verwandt ist. Träumerische und heitere Wald- und Weinromantik pflegen im Anschluß an Zedlitz der Märker Gans zu Putlitz ("Was sich der Wald erzählt", 1850) und Otto Roquette ("Waldmeisters Brautfahrt", 1859); der lustige wandernde Spielmann wird wieder epischer Held in Beckers "Jung Friedel" (1854) und vor allem in Viktor von Scheffels köstlichem "Trompeter von Säckingen" (1854). Mosens symbolische Romantik endlich dauert fort in den mannigfachen epischen Versuchen des farbenglühenden und gedankenschweren Robert Hamerling (1830-90), dem doch sein nahes Verhältnis zur Antike bei aller üppigen Pracht der Rede eine gewisse Strenge der Form erhielt. Die Liebe zur Antike erzeugt Gregorovius' epische Dichtung "Euphorion" (1858). Die Antike, im Bunde mit orient. und romantischen Elementen, zugleich mit Einflüssen der bildenden Kunst versetzt, bestimmt stark einen Münchener Dichterkreis, der sich auf Veranlassung König Maximilians II. in Isarathen