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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Philologie

seiner frühern geistigen Erzeugnisse wieder zu erschließen, ging Jakob, der Vielseitigere und Genialere, daran, zunächst die ältere deutsche Sprache zu erforschen, nach der vergleichenden Methode, die gleichzeitig Franz Bopp auf die indogerman. Sprachen überhaupt in Anwendung brachte und nach der der Däne Rask die altnord. Grammatik bearbeitet hatte, und er schuf, zum Erstaunen der Zeitgenossen, ein Werk, das an Bedeutung von keinem andern ähnlichen auch nur annähernd erreicht worden ist, seine "Deutsche Grammatik" (Bd. 1, Gött. 1819; 3. Aufl. 1840; Bd. 2-4, 1826, 1831 u. 1837; neuer Abdruck, Bd. 1-3, Berl. 1870, 1878 und Gütersloh 1890). Er legte in diesem seinem Hauptwerke mit bewundernswürdiger Gelehrsamkeit und Klarheit die Geschichte aller german. Sprachen, von dem Gotischen des 4. Jahrh. bis auf die Neuzeit, genau dar, sowohl die Laut- und Formenlehre als auch die Wortbildungslehre und die Syntax des einfachen Satzes. Die Grammatik ist durch dies Werk zu einer selbständigen Wissenschaft geworden. Nun erst war ein wirkliches, wissenschaftliches, geschichtliches Begreifen der Sprache möglich geworden. J. Grimms Grammatik ist das Vorbild für Diez' roman., Miklosichs slaw. und Zeuß' kelt. Grammatik gewesen. Es folgte ein neues Fundamentalwerk "Deutsche Rechtsaltertümer" (Gött. 1828; 3. Ausg. 1881), das einen Einblick bot auf eine neue, bis dahin völlig unbeachtet gebliebene Seite des geistigen und Kulturlebens, und das durch ein neues Werk zu ersetzen bis heute auch nicht der Versuch gemacht worden ist. Eine Ergänzung dazu waren die "Weistümer", eine Sammlung von Rechtsbelehrungen, die er selber auf 4 Bände gebracht hat (Bd. 1-4, Gött. 1840-63; Bd. 5-7, hg. von Schröder, 1866-78). Auch eine Geschichte der Sitte hatte er zu schreiben geplant. Das nächste Gebiet, dem J. Grimm seinen Entdeckungstrieb zuwandte, war die Tiersage: "Reinhart Fuchs" (Berl. 1834). Er entdeckte in den verschiedenen Erzählungen und Dichtungen des Altertums und Mittelalters einen geschichtlichen Zusammenhang. Schon im folgenden Jahre erschien ein neues grundlegendes Werk, die "Deutsche Mythologie" (Gött. 1835; 2. Aufl., 2 Bde., 1843-44; 4. Ausg., 3 Bde., Berl. 1875-78). Hier war der poetisch nachempfindende J. Grimm recht eigentlich auf seinem Gebiet. Sein fünftes großes Fundamentalwerk ist die "Geschichte der deutschen Sprache" (2 Bde., Lpz. 1848; 4. Aufl. 1880), in dem zum erstenmal die Sprache methodisch herbeigezogen wurde, um über Geschichte und Kultur vorgeschichtlicher Zeiten Auskunft zu geben. Neben diesen Werken gehen eine große Menge bedeutsamer kleinerer Schriften (Abhandlungen und Ausgaben) her. Es sei hier nur noch der von den Brüdern herausgegebenen und auch beinahe allein verfaßten "Altdeutschen Wälder" (3 Bde., Cassel und Frankf. 1813-16) gedacht. Sein letztes Werk unternahm Jakob, wie sein erstes, gemeinsam mit seinem Bruder, das "Deutsche Wörterbuch" (fortgeführt von R. Hildebrand, K. Weigand, M. Heyne, M. Lexer und E. Wülcker, Lpz., seit 1852 erscheinend; fertig bis 1894 Bd. 1-4, 1. Abteil., 1. Hälfte, Bd. 4, 2. Abteil. bis Bd. 8, A bis schiefe umfassend). Wilhelm Grimm verdanken wir außer seiner ersten glänzenden Leistung "Altdän. Heldenlieder, Balladen und Märchen" (Heidelb. 1811), eine große Reihe mit peinlicher Genauigkeit ausgeführter Ausgaben unserer ältern Dichtwerke. Von seinen größern Schriften sind die bedeutendsten die "Über Deutsche Runen" (Gött. 1821), "Zur Geschichte des Reims" (Berl. 1852) und besonders "Die deutsche Heldensage" (Gött. 1829; 2. Aufl., Berl. 1867; 3. Aufl., Gütersloh 1890), eine sorgfältige Zusammenstellung aller Quellen, aus denen über die Geschichte dieses Gegenstandes etwas zu entnehmen ist, und noch heute die Grundlage für alle einschlägigen Arbeiten. Nächst J. Grimm sind Benecke, Lachmann und Gervinus die Begründer der D. P. gewesen. G. Fr. Benecke (1762-1844), Professor in Göttingen, begründete das philol. Verständnis der mittelhochdeutschen Litteratur. Er hob an mit dem genauesten Studium einzelner Dichter, deren Texte er mit peinlichster kritischer Sorgfalt und mit eindringendem Verständnis herausgab ("Beyträge zur Kenntnis der altdeutschen Sprache und Literatur", 2 Bde., Gött. 1810-32; Ausgabe von Bonerius' "Edelstein", Berl. 1816; Ausgabe des "Wigalois", ebd. 1819) und gelangte endlich zur Herrschaft über den mittelhochdeutschen Wortschatz, den er bis in die feinsten Schattierungen der Wortbedeutung darlegt im "Wörterbuch zu Hartmanns Iwein" (Gött. 1833; 2. Ausg. 1874), einem für die mittelhochdeutsche Lexikographie epochemachenden Werke. Sein großartig angelegtes "Mittelhochdeutsches Wörterbuch" blieb nur ein Entwurf, dessen Ausarbeitung W. Müller und Fr. Zarncke übernahmen (3 Bde., Lpz. 1854-66). Bedeutender war Beneckes Schüler Karl Lachmann (1793-1851), seit 1825 Professor in Berlin. Von Hause aus klassischer Philolog, hat Lachmann die Textbehandlung als den Mittelpunkt philol. Thätigkeit angesehen und seine Kraft und seinen Scharfsinn auf die Kritik verwandt. Diese seine der der Brüder Grimm entgegengesetzte Art trat bereits in seiner Erstlingsschrift "Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Not" (Berl. 1816) klar zu Tage, in der er, durch Fr. A. Wolfs "Prolegomena" angeregt, das Nibelungenlied nach der Analogie Homers in eine Anzahl ursprünglicher selbständiger Lieder auflösen wollte. Rastlos war er bemüht, nach seinen kritischen Grundsätzen die Hauptwerke der mittelhochdeutschen Litteratur zu bearbeiten. Auf Grund des von Benecke gelieferten Materials arbeitete er den "Iwein" aus (Berl. 1827; 4. Aufl. 1877). Ferner gab er heraus "Der Nibelunge Not mit der Klage" (ebd. 1826; 5. Aufl., ebd. 1878), "Die Gedichte Walthers von der Vogelweide" (ebd. 1827; 5. Aufl. 1875) und "Wolfram von Eschenbach" (ebd. 1833; 5. Ausg. 1891). Als Ergänzung der Nibelungenausgabe erschienen seine kritischen Bemerkungen "Zu den Nibelungen und zur Klage" (ebd. 1836). Auf einen neuhochdeutschen Schriftsteller wandte Lachmann die kritische Methode an in seiner Ausgabe von "Lessings Schriften" (13 Bde., Lpz. 1838-40; 3. Aufl., besorgt von Muncker, Stuttg. 1886 fg.). Auch auf dem Gebiete der Metrik waren Lachmanns Arbeiten bahnbrechend, indem er dieselbe der Grammatik und Textkritik nutzbar machte. Bis in die Gegenwart hinein hat sich der Kampf über das Handschriftenverhältnis und die Entstehung des Nibelungenliedes gezogen, den Lachmanns Theorie hervorgerufen. Der Bau der Wissenschaft war auf fast allen Gebieten aufgeführt. Nur die Litteraturgeschichte war seit A. W. Schlegel noch arg vernachlässigt worden, wiewohl "Goethes Dichtung und Wahrheit" ein klassisches Beispiel litterargeschichtlicher Biographie gegeben hatte. Nachdem Ludwig Uhland, dessen be-^[folgende Seite]