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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsches Heerwesen (Landheer)

streuter Ordnung zu kämpfen, namentlich in bewaldetem oder sumpfigem Gelände. Der Angriff erfolgte mit lautem Kriegsruf, das Vorrücken unter Schildgesang; hinter der Schlachtlinie stand die von den Frauen verteidigte Wagenburg. Der König oder ein auf die Dauer des Feldzugs gewählter Herzog führten den Oberbefehl über das Heer; bei größern, aus mehrern Völkerschaften zusammengesetzten Heeren sind zuweilen zwei oberste Führer bestellt worden. An Könige und Fürsten schloß sich eine Gefolgschaft junger Männer freien, oft edeln Standes an, die im Frieden mit ihnen lebten und sie im Kampfe umgaben; den im Kampfe gefallenen Gefolgsherrn zu überleben, galt als Schimpf für das ganze Leben.

B. Mittelalter. Da der aus der allgemeinen Dienstpflicht hervorgegangene Heerbann den gesteigerten Anforderungen nicht mehr genügte, so bildete die Durchführung des Lehnswesens im Rittertum einen berufsmäßigen Kriegerstand heraus. Zwar wurde niemals die allgemeine Dienstpflicht ausdrücklich aufgehoben, doch bediente man sich des Aufgebotes nur noch ausnahmsweise für die Landesverteidigung, niemals zu Angriffskriegen. Die von König Heinrich I. zur Abwehr gegen die Slawen geschaffenen Einrichtungen erhielten sich jedoch in Sachsen bis in das 11. Jahrh., wo das Aufgebot zu Roß dienender Bauern noch mehrfach vorkam, und in Holstein kämpften noch im 12. Jahrh. Bauern mit Ritterwaffen zu Roß. Seitdem sind wieder berufsmäßige Krieger, die nicht dem Ritterstande angehörten (Servientes, Sarjanten, Brabançons, s. d.), aufgetreten. Zur Reichsheerfahrt waren nunmehr nur die vom Reiche unmittelbar Lehen Empfangenden verpflichtet, also die Fürsten, freien Herren und Reichsdienstleute. Später beanspruchten die Verpflichteten stipendium, d. i. Sold und Naturalverpflegung; das Stipendium war jedoch so knapp bemessen, daß die Leistung des Kriegsdienstes für die Fürsten eine schwere Last blieb.

In der Zeit der Merowinger bestanden die Heere, noch zum größten Teil aus Fußvolk, teils aus Schwerbewaffneten mit Schwertern, zweischneidigen Streitäxten, Schilden, Helmen und Harnischen, teils aus Leichtbewaffneten mit Bogen und leichten Wurfspießen. In der Zeit der Karolinger trat das Fußvolk immer mehr zurück, die schwere Reiterei immer mehr in den Vordergrund. Franken und Langobarden kämpften seit dem 8. Jahrh. vorzugsweise zu Roß, bei den Sachsen überwog dagegen das Fußvolk. Feste Plätze waren zahlreich.

Über das Heerwesen des spätern Mittelalters sind wir mangelhaft unterrichtet, weil die Berichterstatter meist geistliche Herren waren, deren Angaben über Taktik, Stärke und Aufstellung der Heere sehr unzuverlässig sind. Bis um die Mitte des 11. Jahrh. war der König unbeschränkt im Aufgebote der Heerfahrt; Ungehorsam gegen das Aufgebot konnte den Verlust des Reichslehns herbeiführen. Seit Heinrich IV. durfte die Heerfahrt nur mit Zustimmung der auf einem Reichstage versammelten Fürsten angesagt werden; lehnten diese den Antrag ab, so standen dem Könige nur die unmittelbar belehnten Vasallen und Ministerialen zu Gebote, deren Streitmacht für größere Unternehmungen unzulänglich war. Wurde die Heerfahrt angenommen, so verpflichteten sich die Fürsten (bis 1240 durch einen besondern Eid), zu bestimmter Zeit an dem bestimmten Sammelplatze zu erscheinen, auch wurde über die Höhe der von ihnen ins Feld zu stellenden Kontingente Bestimmung getroffen. Zuweilen verstattete der Kaiser einzelnen Fürsten ein Abkaufen der Heerfahrt, auch folgten eine Anzahl deutscher Fürsten der Heerfahrt erst als zweites Aufgebot. Zwischen der Ansage und dem Antritte der Heerfahrt blieb eine angemessene Frist, für Romfahrten 1 Jahr 6 Wochen und 3 Tage, für andere Heerfahrten gewöhnlich 40 Tage, häufig jedoch weniger. Die Ebene bei Augsburg war der gewöhnliche Sammelplatz für Romfahrten, und vor dem Beginne des Feldzugs fand eine Musterung des Heers statt, bei Romfahrten unter besonders feierlichen Formen in der Regel auf der Ebene von Roncaglia. Bei Romfahrten waren die Fürsten verpflichtet, mit ihren Truppen bis zur Kaiserkrönung im Felde zu bleiben, bei Heerfahrten "binnen deutscher Zunge" 6 Wochen auf eigene Kosten; unter mächtigen Königen dauerte die Heerfahrt jedoch bis zur Entlassung des Heers.

Bis in das 14. Jahrh. bestanden die deutschen Heere vorzugsweise aus schwerer Reiterei, die mit Schwert, Lanze, Wurfspeer und Schild bewaffnet war. Daneben trug man vom 10. Jahrh. ab Arm- und Beinschienen, Handschuhe und Dolche, vom 11. Jahrh. an Helm und Harnisch; von Beginn des 13. Jahrh. ab waren auch die Streitrosse gepanzert. Neben den geharnischten Rittern und deren Mannen gab es leichte, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Reiter. Die Ritter führten mehrere Schlachtrosse mit und ritten auf dem Marsche Klepper; Saumtiere und Wagen, zuweilen Schiffe, schafften die Verpflegung nach, ein zahlreicher Troß folgte dem Heere, nebst Handwerkern und Kaufleuten. Man lagerte unter Zelten oder Baracken, im Lager sorgte der Marschall für die nötige Ordnung. Das Heer stellte sich in mehrern Treffen zur Schlacht, seit dem 11. Jahrh. standen die Schwaben im "Vorstritt" (1. Treffen), weshalb Württemberg später die Reichssturmfahne führte. Die Fürsten führten ihre Banner und befehligten persönlich oder durch Stellvertreter ihre Mannschaft, das Banner des Königs wurde von einem Fürsten getragen. Diese Reiterheere vermochten festen Plätzen wenig anzuhaben, und selbst kleine Burgen konnten oft erst nach monatelanger Einschließung durch Aushungern bezwungen werden. Das Scheitern der Romfahrt Ruprechts von der Pfalz 1401, die Einführung von Feuerwaffen, der Verfall des Rittertums und die Not der Hussiten- und Türkenkriege zwangen im Laufe des 15. Jahrh. zu Änderungen, die aber erst unter Kaiser Karl V. auf dem Reichstage von 1521 zum Abschluß gelangt und dann drei Jahrhunderte hindurch maßgebend für das Heerwesen des Deutschen Reichs geblieben sind.

C. Neuere Zeit bis 1816. Seit dem Reichstage zu Worms, 1521, bestand die persönliche Dienstpflicht nur noch für die Reichsritter, doch zahlten dieselben dem Kaiser an Stelle der Leistung, die niemals mehr beansprucht wurde, Geld (Charitativsubsidien). Dagegen waren die Reichsstände verpflichtet, bestimmte Kontingente im Falle eines Reichskrieges zu stellen, deren Aufbringung ihrem Ermessen überlassen blieb. Die Erklärung eines Reichskrieges konnte nur durch Beschluß der Kurfürsten, Fürsten und Stände mit Genehmigung des Kaisers stattfinden; daneben war seit dem Westfälischen Frieden jeder Reichsstand zu selbständiger Kriegführung berechtigt. Das Simplum des zum Reichsheere zu stellenden Kontingents betrug seit 1521 für Österreich und Burgund 240 Reiter und