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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Staatsrechtliches)

5) Das Eisenbahnwesen stellt der Art. 4, Nr. 8 der Reichsverfassung unter die Beaufsichtigung des Reichs und die Gesetzgebung desselben und die Art. 41-47 erteilen nähere Bestimmungen darüber, die jedoch noch der Ausführung durch ein in Aussicht genommenes Reichseisenbahngesetz entbehren. Doch ist thatsächlich auf dem Verordnungswege eine weitgehende materielle Übereinstimmung auf dem Gebiete des deutschen Eisenbahnwesens hergestellt, indem für Bahnpolizei, Signalwesen, Betriebs- und Tarifwesen, militär. Benutzung der Eisenbahnen in Frieden und Krieg, Fahrpläne u. s. w. einheitliche Vorschriften durch den Bundesrat erlassen wurden.

IV. An der Spitze des Deutschen Reichs steht als Präsident des Bundes der König von Preußen, welcher den Namen Deutscher Kaiser (s. d.) führt (Art. 11, Abs. 1 der Reichsverfassung).

Die Gesetzgebung des Reichs wird durch den Bundesrat und den Reichstag gemeinschaftlich und zwar dergestalt ausgeübt, daß zu jedem Reichsgesetze, einschließlich des Reichshaushalts-Etatsgesetzes (Art. 69 der Reichsverfassung), die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen erforderlich und ausreichend ist (Art. 5, Abschn. 1). (S. Bundesrat und Reichstag.)

V. Reichsbehörden. Das Deutsche Reich hat kein verantwortliches Ministerium von kollegialischer Zusammensetzung, sondern nur einen verfassungsmäßig verantwortlichen Minister: den Reichskanzler, welchen der Kaiser ernennt und welchem der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte zusteht (Art. 15 und 17). Derselbe ist also der oberste Beamte des Kaisers, für dessen Regierungshandlungen er verfassungsmäßig allein verantwortlich ist. Über die Zulässigkeit einer Stellvertretung des Reichskanzlers hat jedoch das Gesetz vom 17. März 1878 nähere Bestimmung dahin getroffen, daß eine Stellvertretung stattfinden kann sowohl für den ganzen Umfang seiner Amtsgeschäfte, ausgenommen den Vorsitz im Bundesrate, als auch für die einzelnen Geschäftszweige, soweit sie sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden; durch letztere Bestimmung ist die Möglichkeit weiterer Specialisierung der Reichscentralbehörden offen gehalten. Jederzeit kann aber auch bei eingerichteter Stellvertretung der Reichskanzler selbst eingreifen. Verantwortliche Reichscentralstellen sind jetzt: 1) der Reichskanzler, 2) dessen Generalstellvertreter (der Vicekanzler), z. Z. nicht vorhanden, 3) der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 4) der Staatssekretär des Reichs-Marineamtes, 5) der Staatssekretär des Reichsschatzamtes, 6) der Staatssekretär des Reichs-Postamtes, 7) der Staatssekretär des Reichs-Justizamtes, 8) der Chef des Reichsamtes für die Verwaltung der Reichseisenbahnen, 9) der Staatssekretär des Innern. Das System der Reichsbehörden ist folgendes: 1) In unmittelbarer Unterordnung unter dem Reichskanzler bestehen für sämtliche Verwaltungszweige des Reichs Centralstellen, welche sich gegenseitig koordiniert sind und von welchen einzelne als Stellvertretungsämter des Reichskanzlers bestellt sind, wogegen bei einigen derselben der Gesichtspunkt der Aufsicht überwiegt. Diese Centralstellen sind folgende: a. das Reichsamt des Innern (früher Reichskanzleramt) zufolge der Erlasse vom 12. Aug. 1867, 12. Mai 1871 und 24. Dez. 1879, b. das Auswärtige Amt, c. das Reichs-Marineamt, d. das Reichs-Postamt (Verordnung vom 22. Dez. 1875 und Erlaß vom 23. Febr. 1880), e. das Reichs-Justizamt, f. das Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen (Erlaß vom 27. Mai 1878), g. das Reichs-Eisenbahnamt (Gesetz vom 27. Juni 1873), h. das Reichsschatzamt (Erlaß vom 11. Juli 1879), i. das Reichsbankdirektorium (Bankgesetz vom 14. März 1875, §§. 26-28). 2) Die Centralfinanzbehörden, welche zwar als selbständige Finanzbehörden der obern Leitung des Reichskanzlers untergeordnet sind, deren Geschäftsgang jedoch von demselben nicht beeinflußt werden darf, nämlich: a. der Rechnungshof des Deutschen Reichs, b. das Reichsbankkuratorium und die Reichsbankkommissare (Bankgesetz vom 14. März 1875, §§. 25 und 36), c. die Reichsschuldenverwaltung und Reichsschuldenkommission (Gesetz vom 10. Juni 1868), d. die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds (Gesetze vom 23. Mai 1873, 23. Febr. und 11. Mai 1876, und vom 30. März 1879). 3) Die Richterbehörden des Reichs, nämlich: a. Civil- und Strafgerichtsbarkeit: α) das Reichsgericht in Leipzig (Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877, §§. 125-141, Gesetz vom 11. April 1877), β) die Reichskonsulargerichte (Gesetz vom 10. Juli 1879, und eine Anzahl späterer Gesetze, insonderheit über die Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit in den deutschen Schutzgebieten in Afrika u. s. w.); b. die Disciplinargerichte (Gesetz vom 31. März 1873, §§. 86 fg., und Gesetz vom 5. Nov. 1874), c. die Verwaltungsgerichte, nämlich: α) das Bundesamt für Heimatswesen (Gesetz vom 6. Juni 1870, §§. 42 fg.), β) das verstärkte Reichs-Eisenbahnamt (Gesetz vom 27. Juni 1873, §. 5, Ziffer 4), γ) das Reichspatentamt, zugleich Verwaltungsbehörde für Erteilung der Patente (Patentgesetz vom 25. Mai 1877, jetzt vom 7. April 1891, §§. 13 fg., und Verordnung vom 18. Juni 1877), δ) das Reichsoberseeamt (Gesetz vom 27. Juli 1877, §§. 29 fg.), ε) die Reichsrayonkommission (Gesetz vom 21. Dez. 1871, §§. 11, 14, 23, 30, 31), ζ) das Reichsversicherungsamt (Gesetz vom 6. Juli 1884). - Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten sind durch das Reichsgesetz vom 31. März 1873 geordnet, zu welchem mehrere ergänzende und abändernde Vorschriften ergangen sind.

VI. Auf Grund der Reichsverfassung und zur Ausführung derselben in betreff der der Gesetzgebung des Reichs unterliegenden Gegenstände sind teils schon zur Zeit des Bestehens des Norddeutschen Bundes, teils nach der Errichtung des an dessen Stelle getretenen Deutschen Reichs eine große Anzahl von Bundes- und Reichsgesetzen ergangen und die erstern zum großen Teil zu Gesetzen für das Reich erklärt worden. Die wichtigsten dieser Gesetze sind, abgesehen von den bereits in dem Vorstehenden erwähnten, folgende: 1) die zur Ausführung des ein gemeinsames Reichsbürgerrecht, die Freizügigkeit und den freien Gewerbebetrieb im Reiche verheißenden Art. 3 der Reichsverfassung ergangenen Gesetze, nämlich das Gesetz über das Paßwesen vom 12. Okt. 1867, das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867, das Gesetz über die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869, das Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870, vor allen das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 nebst dem Gesetze vom 20. Dez.