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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1648-1815)

6) Vom Westfälischen Frieden bis zur Gründung des Deutschen Bundes, 1648-1815. (S. Karte II, 5 u. 6.) Durch den Abschluß des Westfälischen Friedens war die einheitliche Autorität des Kaisertums fast zu einer leeren Form geworden. Das Reich verwandelte sich mehr und mehr in einen losen Staatenbund, worin die einzelnen Reichsfürsten, insbesondere die mächtigern unter ihnen, gestützt auf die im Frieden erlangten Rechte, fast aller bisher durch die Reichsgewalt gebildeten Fesseln sich entledigten. Nur ein Reichstag kam noch in alter Weise zu stande: ihn beendete der sog. "jüngste Reichstagsabschied" vom 17. Mai 1654. Der folgende erst 1663 der Türkenhilfe wegen von neuem einberufene Reichstag blieb dauernd bestehen (bis 1806); die Fürsten erschienen nicht mehr persönlich; sie sandten nur ihre Abgeordneten nach Regensburg. Die Verhandlungen wurden mit so pedantischer Umständlichkeit geführt, daß in dringenden Angelegenheiten keinerlei Hilfe mehr zu erwarten war. Gemäß den Bestimmungen des Westfälischen Friedens hatte 6 Monate nach Auswechselung der Ratifikationen ein konstituierender Reichstag zusammentreten sollen, um die deutsche Verfassung im einzelnen zu beraten und neu festzustellen. Kaiser Ferdinand III. zog die Berufung dieses Reichstages so lange wie irgend möglich hinaus. Als die Versammlung 1653 und 1654 endlich stattfinden mußte, gelang es der österr. Partei, die Reform der Verfassung scheitern zu lassen. Um im Fürstenkollegium die österr.-kath. Majorität zu sichern, ernannte der Kaiser eine größere Zahl österr. Adelsfamilien zu Reichsständen und setzte, dem bestehenden Recht entgegen, ihre Einführung in das Fürstenkollegium durch. Aus einem Wahlreiche wurde das Reich thatsächlich mehr und mehr zu einer österr. Erbmonarchie. Die österr. Erblande wurden von jeder Verpflichtung für das Reich losgelöst, während Deutschlands finanzielle und militär. Kräfte für die Kriege und die Eroberungen der Habsburger fort und fort ausgenutzt wurden. Da von Wien aus eine zeitgemäße große Reform, eine einheitliche und festere Zusammenfassung der deutschen Stämme fortan nicht mehr zu erwarten stand, so war es ein Glück für das Ganze, daß einzelne der kleinern Territorien zu lebensfähigen Staatswesen sich erweiterten und zum Teil sogar den Schutz der bedrohten Reichsgrenzen an einzelnen Stellen übernahmen.

Vorerst jedoch blieb, wenigstens im Westen, der Einfluß des Auslandes noch im Steigen. Auf die Politik und nicht minder auf die Bildung und Gesittung der Nation übten die Nachbarvölker, insbesondere die Franzosen, oft eine sehr unheilvolle Einwirkung aus. Da viele der kleinen Fürsten das 1648 erhaltene Bündnisrecht benutzten, um sich mit andern Staaten zu verbinden und gegen Subsidienzahlungen an deren Streitigkeiten teilzunehmen, so war die Folge, daß die europ. Kriege der nächsten Zeit zum guten Teil auf deutschem Boden ausgefochten wurden. Besonders die Bayernfürsten sowie die geistlichen Herren am Rhein standen vielfach, selbst bei Reichskriegen, auf der Seite Frankreichs. In der Hildesheimer Allianz (1652) vereinigten sich die niedersächs. Fürsten mit Schweden, und noch weit bedeutender wurde die von Ludwig XIV. mit mehrern kleinen Rheinstaaten geschlossene Verbindung. Nach dem Tode Ferdinands III. (1657) folgte ein Interregnum von 1 1/4 Jahr, während dessen das Reichsvikariat in Norddeutschland von Kursachsen verwaltet wurde, während im deutschen Süden Pfalz und Bayern um dieses Vorrecht im Streite lagen. (Erst 1724 erfolgte zwischen den beiden Wittelsbacher Häusern die Einigung, nach der beide gemeinsam das Amt des Reichsverwesers im Süden ausüben sollten.) Drei Kurfürsten traten jetzt entschieden für die Wahl des franz. Königs zum Deutschen Kaiser ein. Nur der Uneigennützigkeit Friedrich Wilhelms von Brandenburg verdankte Leopold I. die Krone. Die bei der Wahl unterlegene franz. Partei der Reichsfürsten bildete darauf den Rheinbund (1658), der bald durch Hinzutritt anderer Fürsten, auch der alten Hildesheimer Alliierten, im Westen und Nordwesten eine sehr bedeutende Ausdehnung gewann. Nach dem Zerfall des Bundes (1667) blieben doch einzelne deutsche Staaten in Frankreichs Gefolgschaft, und erst nachdem der Große Kurfürst durch seine Unterstützung der Holländer 1672 ein rühmliches Beispiel gegeben, erfolgte 1674 die Kriegserklärung des Reichs gegen Frankreich. Unter Montecuccoli, dann unter dem Großen Kurfürsten und Bournonville wurden anfangs nicht unbedeutende Erfolge errungen und das Elsaß in Besitz genommen. Gegen Ende des J. 1674 aber drängte der franz. Feldherr Turenne in einem glänzenden Vorstoß die Verbündeten über den Rhein zurück. Die Unentschlossenheit der österr. Heeresleitung, die Differenzen zwischen Bournonville und Friedrich Wilhelm und dann der Einbruch der Schweden in die Mark, der im Sommer 1675 die Brandenburger zur Rückkehr in die Heimat nötigte, all das hemmte und hinderte eine energische Kriegführung am Rhein. 1679 trat Leopold I. dem von Holland 1678 abgeschlossenen Frieden von Nimwegen bei und überließ die bisher in span. Besitz befindliche Freigrafschaft Burgund sowie die Stadt Freiburg im Breisgau an Frankreich. Durch diesen Abfall von der gemeinsamen Sache wurde auch der Brandenburger genötigt, im Frieden von St. Germain-en-Laye fast alle den Schweden entrissenen Ostseelande zurückzugeben. Nachdem der Kaiser, mit Rücksicht auf die Türkenkämpfe, den Schutz und die Verteidigung des Reichs im Westen und im Nordosten preisgegeben und den bedeutendsten der Territorialfürsten, den Brandenburger, auf Frankreichs Seite gedrängt hatte, konnte Ludwig XIV. durch die berüchtigten Réunionskammern im Westen ein Stück deutschen Landes nach dem andern sich aneignen; im September 1681 nahm er auch Straßburg fort. Eine große Zahl west- und süddeutscher Fürsten thaten sich nun gegen Frankreich zusammen und verbanden sich durch das Laxenburger Bündnis (1682) auch mit Kaiser Leopold. Doch waren diese Verbindungen zu schwach, um dem mächtigen Frankreich mit Erfolg entgegenzutreten. Daher ward 1684 ein 20jähriger Waffenstillstand zu Regensburg vereinbart, wonach alles bis zum 1. Aug. 1681 Reunierte und außerdem auch Straßburg bei Frankreich bleiben sollte, während Ludwig XIV. auf weitere Eroberungen in Deutschland zu verzichten versprach. Mit Hilfe von zahlreichen deutschen, auch brandenb. Truppen wurde dann der Türkenkrieg glücklich zu Ende geführt; 1683 ward Wien befreit, 1686 Ofen gestürmt, im folgenden Jahre bei Mohacz, 1691 bei Slankamen, 1697 bei Zenta die Pforte besiegt und durch den Karlowitzer Frieden (1699) zur Preisgebung Ungarns genötigt. Die auch dem Reiche im Südosten von den Türken stets drohende Gefahr war seitdem für immer beseitigt. Inzwischen hatte Ludwig XIV. von neuem seine Hand ausgestreckt