190
Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)
Lamberg, dem das Oberkommando in Ungarn übertragen war, wurde auf der Pester Brücke ermordet (28. Sept.), und der Aufstand begann. Als 6. Okt. kaiserl. Truppen aus Wien nach Ungarn abziehen sollten, kam es auch hier zum Aufstand, die kaiserl. Familie floh nach Olmütz. Aber in kurzer Zeit waren ansehnliche Truppenmassen um die Hauptstadt vereinigt, und nach mehrtägigem Kampfe ward (31. Okt.) die Stadt von Fürst Windischgrätz genommen. Der Reichstag wurde nach Kremsier berufen und dort 22. Nov. eröffnet. Kaiser Ferdinand aber dankte zu Gunsten seines Neffen Franz Joseph 2. Dez. ab.
Inzwischen war es auch in Preußen zu einem Bruch mit der dortigen Nationalversammlung gekommen; sie wurde 5. Dez. für aufgelöst erklärt und eine Verfassung octroyiert, die auf freisinniger Grundlage ruhte und den beiden neuzuwählenden Kammern zur Prüfung und Bestätigung vorgelegt werden sollte. Gleichzeitig hatte Preußen auch die Verhandlungen über die deutsche Frage wieder aufgenommen. Friedrich Wilhelms IV. Lieblingsgedanke, dem Kollegium der deutschen Könige eine besondere Machtfülle zuzuwenden, gefiel wohl den Königen von Bayern und Württemberg, aber sie fügten gleich weitere Vorschläge hinzu, die Preußen auf eine Stufe mit den Mittelstaaten herabdrückten. Andererseits sagte Friedrich Wilhelm schon im November zu Gagern, der ihm von der Wahrscheinlichkeit seiner Kaiserwahl sprach, daß er aus den Händen des Parlaments allein ohne Zustimmung der Fürsten die Krone nicht annehmen werde. Aber schon allein mit Österreich war für ihn eine Verständigung nicht möglich. Schwarzenberg, der schon 27. Nov. auf dem Reichstage zu Kremsier die Notwendigkeit der Erhaltung der staatlichen Einheit Österreichs verkündet hatte, entwickelte ihm (13. Dez.) sein Programm: Eintritt des gesamten Österreich in den als Staatenbund wieder zu konstituierenden Deutschen Bund, statt einer Volksvertretung eine Versammlung der Fürsten, also eine wesentliche Stärkung der österr. Hegemonie und Verwerfung aller nationalen Wünsche.
Endlich hatte auch die Nationalversammlung die Beratung der (28. Dez. 1848 als Reichsgesetz verkündigten) Grundrechte zu Ende geführt und 19. Okt. die Debatte über die Reichsverfassung begonnen. Mit wenig Glück mischte sie sich daneben in die österr. und preuß. Krisis. Der Versuch der Vermittelung durch Absendung von Reichskommissaren enthüllte nur die thatsächliche Machtlosigkeit des Parlaments. In scharfem Gegensatz zu dem Programm Schwarzenbergs standen die §§. 2 und 3 des Verfassungsentwurfs, wonach kein Teil des Deutschen Reichs mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staat vereinigt sein sollte. Wenn ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen ein gemeinsames Oberhaupt hätte, sollte das Verhältnis zwischen beiden Ländern nach den Grundsätzen der reinen Personalunion zu ordnen sein. Mit großer Mehrheit wurden diese speciell Österreich berührenden Bestimmungen angenommen. Indem aber Österreich auf der Einheit seiner Monarchie bestand, wurde sein Eintritt in die erstrebte bundesstaatliche Verfassung Deutschlands unmöglich. Diese Einsicht schuf eine neue Gruppierung der Parteien. Die Folge war, daß der Österreicher Schmerling (15. Dez.) aus dem Reichsministerium ausschied, Heinrich von Gagern an Schmerlings Stelle trat. Das Programm, welches Gagern (18. Dez.) der Nationalversammlung vorlegte, ging von dem Gedanken aus, daß Österreich in den zu gründenden Bundesstaat nicht eintreten könne; dagegen sei "sein Unionsverhältnis zu Deutschland mittels einer besondern Unionsakte zu ordnen und darin alle verwandtschaftlichen, geistigen, polit. und materiellen Bedürfnisse nach Möglichkeit zu befriedigen, welche Deutschland und Österreich von jeher verbunden haben und im gesteigerten Maße verbinden könnten". Dieses Programm befürwortete eine bundesstaatliche Einheit mit der erblichen Oberhauptswürde Preußens. Der Gegenzug Österreichs war die Erklärung (28. Dez.), daß sein Programm zu Kremsier nicht den Sinn gehabt habe, auf Österreichs Eintritt in den deutschen Bundesstaat zu verzichten. In der Deutschen Nationalversammlung aber standen sich fortan zwei Parteien gegenüber: die Anhänger des Bundesstaates mit preuß. Führung, meist aus der bisherigen konstitutionellen Mehrheit bestehend, und die Gegner dieser Politik, aus dem größten Teil der Linken, den Österreichern, den Partikularisten und andern Schattierungen gebildet.
Die Nationalversammlung gab nach einer ihrer bewegtesten Verhandlungen 13. Jan. 1849 mit 261 gegen 224 Stimmen ihre Genehmigung zu dein Gagernschen Programm. Unmittelbar darauf begannen die Beratungen über die Oberhauptsfrage. In der Sitzung vom 19. Jan. wurden sowohl die Anträge auf ein fürstl. Direktorium (mit 361 gegen 97 Stimmen) als auf einen sechsjährigen Turnus zwischen Österreich und Preußen (mit 377 gegen 80 Stimmen) und auf einen aus allen Deutschen wählbaren Präsidenten (mit 339 gegen 122 Stimmen) verworfen, dagegen mit 258 gegen 211 Stimmen der Antrag angenommen: die Würde des Reichsoberhaupts wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen. Aber wie unsicher und wenig einheitlich diese Mehrheit war, zeigte die Sitzung vom 23. Jan., in welcher keiner der verschiedenen Vorschläge über die Dauer der Würde eines Reichsoberhaupts Annahme fand; der Antrag auf Erblichkeit ward mit 263 gegen 211 Stimmen verworfen. Mit einer Mehrheit von 9 Stimmen wurde 25. Jan. beschlossen, daß das Reichsoberhaupt den Titel Kaiser der Deutschen erhalten solle. Die Parteischeidung trat unter solchen Umständen in der Versammlung immer greller hervor. Der erbkaiserl. und bundesstaatlichen Partei, deren Mitglieder man mit dem Spottnamen der Kleindeutschen belegte, stand die verbundene Opposition der Linken und der verschiedenen, gegen die preuß. Oberhauptswürde vereinigten Fraktionen, die sich selbst die Großdeutschen nannten, entgegen und bot alles auf, die Gestaltung der Reichsverfassung im erbkaiserl. Sinne zu hindern. So ward das Wahlgesetz durch ein Zusammenwirken von links und rechts in der weitestgehenden Form angenommen und alle Einschränkungen, welche die Erbkaiserlichen beantragten, verworfen; so ward das absolute Veto beseitigt durch die Koalition der Linken und der verschiedenen Fraktionen partikularistischer und ultramontaner Färbung.
Außerhalb der "Versammlung standen die Konstitutionellen meist auf seiten der Erbkaiserlichen; die Demokraten agitierten dagegen. In Nord- und Mitteldeutschland war die erbkaiserl. Richtung überwiegend, im Süden, namentlich Bayern, die entgegengesetzte Meinung. Von den Regierungen hatten sich allmählich alle kleinern von Baden an ab-^[folgende Seite]