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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Diphtheritis (beim Menschen)
ren, sodaß häufig durch Zersetzung des Blutes, Läh-
mung des Nervencentralapparats oder des Herzens
oder durch schwere Nierenentartung der Tod eintritt.
Der diphtheritische Ansteckungsstoff ist vorzugs-
weise in den diphtheritischen Membranen und bran-
digen Gewebsfetzen sowie in dem Auswurf und
der Ausatmungsluft der Kranken enthalten und
zeichnet sich durch eine außerordentlich große Zähig-
keit und Dauerhaftigkeit aus, sodaß er noch nach
Monaten in Räumen, in denen er sich einmal ent-
wickelt hat, seine Wirkungen entfalten kann. Kein
Stand und kein Lebensalter ist vor seiner Einwirkung
sicher, doch werden vorwiegend Kinder, namentlich in
den ersten sechs Lebensjahren, von der D. ergriffen,
offenbar weil ihre zartern und weichern Schleimhäute
weniger Widerstandsfähigkeit besitzen. Arzte und
Pflegerinnen, welche mitDiphtheriekrankenin nächste
Berührung kommen, fallen nicht selten der Krank-
heit zum Opfer. Von Zeit zu Zeit nimmt die D.,
namentlich in größern Städten, epidemische Ver-
breitung an, ohne daß es immer gelingt, äußere
Ursachen dafür aufzufinden. Begünstigt wird die
Verbreitung der D. durch mangelhafte hygieinische
Verhältnisse, insbesondere durch feuchte Dämpfe,
durch unsaubere Wohnungen, durch schlechte Kana-
lisation und Kloaken, während umgekehrt reine,
trockne, sauerstoffreiche Luft und überhaupt gute
hygieinische Verhältnisse die Entwicklung des Kon-
tagiums hemmcn.
Was den Verlauf der D. anlangt, so beginnt
die Krankheit meist plötzlich mit Fieber, Frösteln und
Mattigkeit, Schlingbeschwerden, Schwellung der
Kieserlymphdrüsen und weißlichen, sich ziemlich schnell
ausbreitenden Auflagerungen auf der Schleimhaut
der Mandeln und des Rachens. Diefe weißlichen
Flecken lassen sich nicht wegstreichen, und wenn
man sie gewaltsam entfernt, bleibt eine wunde,
leicht blutende Stelle zurück. Sich selbst überlassen,
zerfallen sie oder lösen sich ab und hinterlassen
mißfarbige, faulige Geschwüre, welche einen sehr
Übeln Geruch aus dem Munde verursachen. Pflanzt
sich die Entzündung und die Bildung dieser Auf-
lagerungen bis auf den Kehlkopf fort, so tritt bald
Heiserkeit, selbst völlige Stimmlosigkeit, Husten,
pfeifendes Atmen und bei kleinen Kindern leicht Er-
stlckung ein. Die D. der Nasenhöhle giebt sich durch
Nasenbluten und stinkenden jauchigen Ausstuß aus
den Nasenlöchern zu erkennen. Durch die Aufnahme
des diphtheritischen Giftes in die Vlutmasse kommt
es nicht selten zu Nierenentzündung mit Albuminurie
und nachfolgender Harnstoffvergiftung des Blutes.
Aber auch durch allgemeine Erschöpfung der Lebens-
kräfte oder durch plötzlich eintretende Herzschwäche
kann die Krankheit in kürzester Frist zum Tode führen.
Häusig bleiben langdauernde, mehr oder weniger
bedeutende Lähmungen, insbesondere der Sprach-
organe, der Augenmuskeln und der Beine, zurück,
die jedoch gewöhnlich nach und nach ohne dauernde
Folgen wieder verschwinden. Am lästigsten ist die
Lähmung des Gaumensegels, wodurch genossene
Flüssigkeiten in die Nasenhöhle gelangen und das
Schlingen bisweilen so erschwert wird, daß man zur
künstlichen Ernährung vermittelst der Schlundsonde
seine Zuflucht nehmen muß.
Hinsichtlich der Verhütung der D. sind die Be-
schaffung einer trocknen, sonnigen und hinreichend
geräumigen Wohnung, ausgiebige und fleißige
Ventilation und die sorgfältige Desinfektion aller
Abfallstoffe und Fäulnisherde, insbesondere die
Überwachung der Schleusen und Aborte von der
allergrößten Bedeutung, da feuchte, dumpfe und
überfüllte Wohnräume die Entwicklung des An-
steckungsstoffs in hohem Grade befördern; daneben
können eine vernünftige Abhärtung der Kinder durch
kalte Waschungen des Halses und kalte Gurgelungen
mit Wasser oder Kochsalzlösung sowie die sorgfältige
Behandlung aller chronischen Mandel- und Rachen-
erkrankungen nicht dringend genug empfohlen wer-
den. Von hohem wissenschaftlichen Interesse ist es,
daß Vehrinq und Kitasato Tiere künstlich gegen D.
unempfänglich gemacht haben; doch läßt sich diefe
Thatfache für die menschliche D. noch nicht verwer-
ten. Ist ein Familienglied an D. erkrankt, so sind
die gesunden Kinder am besten ganz aus dem Hause
zu entfernen und erst dann wieder zurückzuführen,
nachdem die Wohnung auf das sorgfältigste in
folgender Weise gereinigt, desinfiziert und gelüftet
ward. Die Wände werden mit Brot abgerieben oder
neu hergestellt, alle waschbaren Mobilien werden mit
heißem Wasser abgewaschen, Polstermöbel, Betten,
Kleidungsstücke werden am besten durch heißen
Wasserdampf in besondern Desinfektionsanstalten,
die sich in größern Krankenhäusern und Städten
befinden, desinfiziert. Endlich sind Räucherungen
in den Wohnungen mit chlorschwefliger Säure u. s. w.
(s. Desinfektion) empfehlenswert. Alle minder wert-
vollen Gegenstände, die mit dem Kranken in Be-
rührung kamen, werden verbrannt.
Die Behandlung der D. hat vor allen Dingen
dahin zu streben, die weitere Entwicklung der cin-
gedrungenen Diphtheriepilze zu verhindern und die
durch sie unterhaltenen Aä'ulnisvorgänge auf der
Mund- und Nachenschlelmhaut möglichst zu be-
schränken. Zu diesem Zwecke dienen Betupfen der
Auflagerungen mit konzentrierten Carbol-, Chino-
lin-, Eisenchlorid- und Salicyllösungen oder mit
Papayotin, Einblasungen von Schwefelblüten,
Jodoform oder Venzoesäure, Spülwässer von chlor-
saurem oder übermangansaurem Kali sowie In-
halationen von Carbolsäure, Thymol, Eutalyptol,
Salicylsäure, Sublimatlösung und andern anti-
mykotischen (pilztötenden) Mitteln. Vor jeder allzu
eingreifenden Lokalbehandlung ist zu warnen, weil
dadurch allzu leicht Verwundungen der Rachen-
schleimhaut und neue Infektionen entstehen. Im
Ansang der Erkrankung ist die Anwendung der
Kälte in Form von Eiskompresscn und Eissäckchen
um den Hals sowie von Eispillen zweckmäßig; in
den spätern Stadien, wenn die Eiterung begonnen,
sind warme Breiumschläge am Platze. Daneben
bleibt es eine wichtige Aufgabe des Arztes, die
Kräfte des Kranken durch Darreicben von China-
und Eisenpräparaten, von starkem Wein und kräfti-
ger Nahrung aufrecht zu erhalten und das vorhan-
dene Fieber durch kalte Bäder und Einpackungcn,
Chinin und andere antipyretische (ficberwidrige)
Heilmittel zu bekämpfen. Jede schwächende Behand-
lung, zumal Vlutentziehung, muß unter allen Um-
ständen unterbleiben, da sie die Lähmung der ohne-
dies geschwächten Herzthätigkeit nur befördern würde.
Bei hochgradiger Verengerung des Kehlkopfes und
dadurch entstehender Erstickungsgefahr ist nur von
der rechtzeitigen Ausführung des Luftröhrenschnittes
oder der Tracheotomie (s. d.) Rettung und Hilfe zu
erwarten. In neuerer Zeit hat man ftaN 'vtt Tra-
cheotomie Metallröhrchen vom Munde aus in den
Kehlkopf eingelegt (sog. Intubation, s. d.). Gcgen
die zurückbleibenden diphtheritischen Lähmungen,