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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Dissidieren - Dissociation
in Preußen den Freien Gemeinden (s. d.) den Weg.
Die deutsche Neichsgesetzgebung, welche volle Reli-
gionsfreiheit bietet, kennt nach Aufhebung des Tauf-
und Trauzwangs den Unterschied nicht mehr.
In Polen hießen alle Nichtkatholiken D., näm-
lich Lutheraner, Reformierte, Griechen, Armenier,
jedoch mit Ausschluß der Wiedertäufer, Socinianer
und Quaker. Der Ausdruck "äi88iä0iU68 in r6ii-
^ione" kommt zuerst in den Akten der Warschauer
Konföderation von 1573 vor und bezeichnet beide
Neligionsparteien, Katholiken und Evangelische, die
einander damals Duldung angelobten. Erst seit
dem Konvokationstage von 1632 gebrauchte man
die Bezeichnung D. allein für Nichtkatholiken. Der
Vergleich von Sandomir ((Ü0N8LN8U8 8luiä"mi-
,'i0N8i8) 14. April 1570 verband die Protestanten,
Reformierten und Böhmischen Brüder zu einer kirch-
lichen Gemeinschaft, welche durch den 1573 vom
Könige bcschworenen Neligionsfricden (?ax äi88i-
<lLi^iuin) gleiche bürgerliche Rechte mit den Katho-
liken erhielt. Unter Sigismund III., 1586-1632,
führten die Jesuiten und die Streitigkeiten der D.
untereinander eine schnelle Reaktion herbei. Sehr
viele, besonders angesehene Familien kehrten zur
tath. Lehre zurück, und 1606-20 verloren die D.
zwei Dritteile ihrer Kirchen. Nach und nach wurden
ihnen ihre mehrmals bestätigten Rechte entzogen,
besonders 1717 und 1718 unter August II., wo man
ibnen das Stimmrecht auf dem Reichstage nahm.
Noch fchlimmer erging es ihnen seit 1733 unter
August III., sie waren ganz der Willkür dcr lath.
Geistlichkeit unterworfen; auf dem Pacisikations-
rcichstage von 1736 wurde ein altes Gesetz erneuert,
vermöge desscu der König katholisch sein mußte.
Nach der Thronbesteigung des letzten Königs Sta-
nislaus II. August Poniatowski brachten die D.,
von Rußland, Dänemark, Preußen und England
unterstützt, ihre Beschwerden auf dem Reichstage
von 1766 an. Nuhlaud, welches feinen Einfluß
auf die poln. Angelegenheiten erweitern wollte,
nahm sich ihrer besonders an und brachte 1767
cinen Vertrag zu stände, durch den sie der kath.
Partei wieder gänzlich gleichgestellt wurden: auch
bob dcr Reichstag von 1768 die ihnen nachteiligen
Beschlüsse auf. Ader erst 1775 erlangten die D. alle
frühern Freiheiten wieder, mit Ausnabme des
Rechts auf Senator- und Ministcrstcllen. Auch bei
den fpätern Teilungen Polens behielten die D. mit
den Katholiken gleiche Rechte. - Vgl. Die Schick-
sale dcr polnischen D. (3 Tle., Hamb. 1770): Kra-
sinski, Geschichte der Reformation in Polen ldcutsch
von Lindau, Lpz. 1841); Lukasiewitsch, Geschichtliche
Nachrichten über die D. in Posen (deutsch von Va-
litzki, Darmst. 1843).
Dissidieren (lat.), auseinandergehen in den
Ansichten, namentlich den religiösen; sich von der
Kirche absondern (s. Dissidenten).
Dissimilär (frz.), unähnlich; Dissimilarität,
Unähnlichkeit.
Dissimilation (lat.), in der Grammatik Gegen-
satz zu Assimilation: die Umwandlung oder Aus-
stoßung eines Lauts, um die Wieoerkebr und Häu-
fung ähnlicher zu vermeiden, z. V. althochdeutsch
miii-inulon, "murmeln", aus nnn-muriw; ko^ai,
"Vogel" (got. luxi-8), aus ünZIa-8, zu "Flug",
"fliegen" gehörig.
Dissimulieren (lat.), sich etwas nicht merken
lassen, verbeimlichen, sich verstellen; Dissimu-
lation, Verheimlichung, Verstellung.
Dissipieren (lat.), zerstreuen, verschleudern;
Dissipation, Zerstreuung, Zerstreutheit.
Ditzna. 1) Kreis im nordöstl. Teil des Gou-
verncments Wilna, mit schlammigem und lehmigem
Boden, hat 5899,7 hkm, 164493 E. (davon neben
Weißrussen 40 Proz. Polen, 2 Proz. Litauer) und
Ackerbau. - 2) Kreisstadt im Kreis D., 315 km
nordöstlick von Wilna, am Einfluß des gleichnamigen
Flusses in die westl. Düna, in 134 m Höhe, hat
(1888) 8250 E. (47 Proz. Israeliten), Post, Tele-
graph, 2russ., 1 kath. Kirche, 1 Synagoge, Ackerbau,
Flußhafen; Handel mit Getreide, Flachs und Lein-
famen. D. wurde 1563 poln. Stadt und kam 1733
zu Rußland.
Disfociation (lat., "Trennung", "Auflösung"),
in dcr Chemie nach Samte-Claire-Deville jede
durch erhöhte Temperatur eintretende Zersetzung
einer chcm. Verbindung in Produkte, die sich bei
wieder eintretender Temperaturerniedrigung von
neuem zu dem ursprünglichen Körper miteinander
verbinden. Die Temperatur, bei der die D. beginnt,
ist bei verschiedenen Körpern verschieden. So "fängt
kohlenfaurcr Kalk bei 450° an, sich in Calciumoxyd
und Kohlenfäurcgas zu zersetzen, während Unter-
salpetersäure, ^2^4, schon unterhalb 0" in 2 Mole-
küle Stickstoffdioxyd, N0.2, zu zerfallen beginnt.
Vei der Temperatur, wo sich der Eintritt der D.
zuerst zeigt (Anfangstemperatur der D.), ist ihr Be-
trag immer nur ein sehr geringer, sobald die Pro-
dukte in Berührung miteinander bleiben, und voll-
endet sich sehr langsam nur dann, wenn die Pro-
dukte räumlich voneinander getrennt werden, z. B.
wenn inan die aus dem kohlensauren Kalk end
stehende Kohlensäure durch ein anderes indifferentes
Gas entfernt. Mit steigender Temperatur wächst
der Betrag der D., d. h. die relative Menge der
Zersctzungsprooulte. Die Endtemperatur der D.,
d. h. die Temperatur, bei welcher dcr ursprüngliche
Körper vollständig zerfallen ift, auch wenn man
die Produkte nicht trennt, liegt meist weit über der
Anfangstcmperatur. Jedem Temperaturgrade zwi-
fchcn Anfangs- und Endtemperatur entfpricht dann
ein ganz bestimmter prozentifcher Betrag der Zer-
fetzung, der in der Regel bei Temperaturerhöhungen
nicht sogleich, aber nach kurzer Zeit erreicht wird
und sich dann auch bei noch so langer Dauer des
Einhaltcns der bestimmten höhern Temperatur nicht
mehr ändert. Von dem Eintritt und Verlauf der
D. giebt für den Fall, daß die Produkte Gase oder
Dämpfe sind, nur die abnorme Vergrößerung des
Dampfvolums, oder, was dasselbe ist, die abnorme
Verminderung der Dampfdichte (f. Avogadros Ge-
setz) Auffchluß, da gasförmige Produkte immer
miteinander vollkommen gemifcht sind und sich nur
sehr unvollständig mittels Diffusion durch poröse
Scheidewände trennen lassen. Die Dampfdichte-
ermittelung aber giebt hier ein vortreffliches Mittel,
um für jede Temperatur zwischen Anfang und Ende
der D. den verhältnismäßigen Betrag derselben, zu
berechnen. So ist z.V. die normale Dampfdichte von
^"2^4^ 3,i?9 bei -11,5° 0., bei 22" beträgt sie nur
noch 2,7, was einem Gemenge von 80 Proz. ^04
und 20 Proz. K0.2 entspricht. Vei 58" ist die Dichte
^2,12, der Dampf besteht dann aus 33^ Proz.
X^ und 66^/3 Proz. X0., es ist also die Hälfte
der ursprünglichen Verbindung dissociiert. Vei 148"
endlich erreicht die Dampfdichte den Betrag 1,58,
d. h. den Wert für die reine Verbindung XO2, dann
ist also 5^04 vollständig zerseht.