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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Elsaß-Lothringen (Geschichte)
son^n, welche für Frankreich optierten, wanderten
nur 4992h dahin aus; die Verbleibenden wurden
als Deutsche betrachtet, und bei Entziehung von
der Militärpflicht und ihrer Rückkehr nach E. ohne
Erlaubnis ging man mit aller Strenge gegen sie
vor. Der offene Widerstand des Gemeinderats von
Straßburg veranlaßte 1873 die Aufhebung des-
selben durch die Regierung. Die Verweigerung
des Eides der Treue an den Kaiser bewirkte, daß
von den 1873 gewählten 22 Kreistagen nur 14,
von den drei Bezirkstagen uur einer beschlußfähig
waren. Bei den ersten Reichstagswahlen in E.
1. Febr. 1874 wurden diesen Verhältnissen entspre-
chend 10 klerikale und 5 liberale Protestier gewählt,
die bei ihrem Erscheinen im Reichstag 18. Febr.
1874 feierlich gegen die Einverleibung E.s Verwah-
rung einlegten. Nur der Bischof Näß von Strahburg
gab die Erklärung ab, daß seine Glaubensgenossen
in E. keineswegs den Frankfurter Vertrag in Frage
zu stellen gemeint seien. An den Verhandlungen
des Reichstags nahmen die elsaß-lothr. Abgeord-
neten nicht teil. Eine gemäßigtere Haltung zeigten
die im Sommer 1874 gewählten Kreis- und Bezirks-
tage, welche die Geschäfte sachgemäß erledigten.
Das Gleiche war mit dem auf Grund kaiferl. Ver-
ordnung vom 29. Okt. 1874 aus je 10 Abgeordneten
der drei Bezirkstage gebildeten Landesausfchuh der
Fall, der 17. Juni 1875 zum erstenmal zusammen-
trat. Inzwischen hatte sich die Partei der Autono-
misten gebildet, welche unter Anerkennung der voll-
endeten Thatsachen einem Zusammenwirken mit
Negierung und Reichstag sich nicht entzog und als
Endziel die Regierung des Landes durch dieses
selbst, wie die übrigen deutschen Vundesstaaten, ver-
folgte. Bei den Reichstagswahlen vom 10. Jan.
1877 siegten sie im Unterelsaß und errangen 5 Sitze,
die Klerikalen behielten 6, die Protestier 4. Von
unverkennbar günstigem Einstuft auf die Stim-
mung der Bevölkerung waren die Befuche Kaiser
Wilhelms I. im Neichsland in den 1.1876 (Sep-
tember; Weißenburg und Wörth) und 1877 (Mai;
Straßbnrg und Metz). Die Neuwahlen zum Reichs-
tag vom 30. Juli 1878 ergaben 4 Autonomistcn,
6 Klerikale, 5 Protestler. Dennoch wurde den
Wünschen des Landes nach größerer Selbständig-
keit dnrch das Gesetz über die Verfassung und Ver-
waltung des Neichslandes vom 4. Juli 1879 ent-
sprochen, nach welchem ein kaiserl. Statthalter an
die Spitze desselben trat, ein Ministerium und ein
Staatsrat für E. errichtet wurden (f. S.51d). Am
1. Okt. 1879 trat der Feldmarfchall Edwin von
Manteuffel das Statthalteramt an. Die Stelle des
Staatssekretärs wurde dem bisherigen Unterstaats-
sekretär im Neichskanzleramte Herzog, nach dessen
Rücktritt (1880) dem vormaligen prcuß. Minister
für Handel unoGewerbe,Staatssekretär des Innern
von Hofmann übertragen. Das Bestreben Man-
teuffels war darauf gerichtet, die Bevölkerung durch
Schonung und Entgegenkommen zu gewinnen, im
einzelnen Falle die Strenge des Gesetzes zu mildern
und namentlich die höhern Stände (Notabeln) mit
den neuen Verhältnissen auszusöhnen. Thatsächliche
Erfolge vermochte er nicht zu erringen. Die Reichs-
tagswahlen von 1881 und 1884 ergaben ausschließ-
lich Klerikale und Protestler. Das von Frankreich
aus genährte, auf Untergrabung der staatsrecht-
lichen Verbindung des Landes mit dem Deutschen
Reiche gerichtete Treiben erforderte kräftiges Ent-
gegentreten. Den franz. Versicherungsgesellschaften,
deren Vertreter in jenem Sinne politisch eifrig thä-
tig waren, wurde 1881 der Gefchäftsbetrieb in E.
verboten, Protestlerische Zeitungen wurden unter-
drückt, unbefugtzurückgekehrteOptantenmitStrenge
ausgewiesen. Das vom Statthalter beantragte Ge-
setz, welches die deutsche Sprache zur Geschäfts-
fprache im Landesausfchuß erhob, erhielt 30. April
1881 die Geuehmigung des Reichstags. Als Man-
teuffel im Sommer 1885 starb, wurde der kaiferl.
Botschafter in Paris, Fürst Chlodwig von Hohen-
lohe-Schillingsfürst, zu seinem Nachfolger ernannt
und trat sein Amt 15. Okt. 1885 an. Unter ihm
schienen zunächst die Gemeinderatswahlen, die in
ganz E. im Juli 1886 vorgenommen wurden, auf
eine Besserung des polit. Zustandes hinzuweisen.
Die den Deutschen Reichstag zu Beginn des I.
1887 beschäftigende Vorlage der Erhöhung der
Friedenspräsenzstärke des deutschen Heers auf 7
Jahre befaß begreiflicherweife für E. erhöhte Be-
deutung. In dem 25. Jan. 1887 eröffneten Landes-
ausfchuß sprach sich der Staatssekretär dahin aus,
daß das Reichsland bei den Neuwahlen durch eine
septennatsfreundliche Reichstagswahl viel zur Er-
haltung des Friedens beitragen könne. In ähn-
lichem Sinne äußerte sich der Statthalter 9. Febr.
Ein von ihm an die Wähler gerichteter Aufruf vom
15. Febr. legte denfelben den ganzen Ernst der Lage
ans Herz. Nichtsdestoweniger wurden bei der Reichs-
tagswahl vom 21. Febr. ausschließlich Protestler
gewählt. Dieses Ergebnis wurde als die Frucht der
Manteusfelfchen Regierungsweise angesehen. Die
Negierung beschloß, nunmehr allen gegen die Zu-
gehörigkeit E.s zum Deutschen Reiche gerichteten
Bestrebungen nachdrücklich entgegenzutreteu. Alle
mit der franz. Patriotenliga in Verbindung stehen-
den, Deutsche von der Mitgliedschaft ausschließenden
Vereine wurden aufgelöst, Verordnungen gegen
deutschfeiudliche Kundgebungen, den Aufenthalt
franz. Militärpersonen, die Verpachtung der Jagd
an Ausländer u. s. w. erlassen. Staatssekretär von
Hofmann nahm 9. März 1887 feine Entlassung.
Das Amt blieb zunächst unbesetzt; die Vertretung
in den Amtsgeschäften des Staatssekretärs wurde
durch kaiserl.'Erlaß vom 8. Juli 1887 dem Unter-
staatssekretär im Ministerium für E. von Putt-
lamer übertragen. Bereits 15. März 1887 hatte
die Regierung im Landesausschuß erklärt, daß
der Augenblick gekommen sei, welcher strengere
Maßregeln zur Notwendigkeit mache. Ein Gesetz-
entwurf der Neichsregierung, welcher das Mini-
sterium für E. ermächtigte, unter Umständen die
Ämter der Bürgermeister und Beigeordneten in den
Gemeinden des Landes durch geeignete Personen
zu besetzen, wurde 18. Juni 1887 vom Reichstag
genehmigt. Durch Gesetz vom 12. Juni 1889 wurde
bestimmt, daß die Geschäftssprache der Gerichte
fortan ausschließlich die deutsche sein solle. Die ein-
greisendste Maßregel der Negierung zur Fernhaltung
ruhestörender Einflüsse aber war 1888 die Einfüh-
rung des Paßzwangs für alle über die deutsck-franz.
Grenze in das Reichsland kommenden Ausländer,
was zwar auf die Verkehrsverhältnisse der Reichs-
lande mit Frankreich vielfach drückend wirkte, aber
doch auch das beabsichtigte Fernhalten franz. Auf-
wiegler zur Folge hatte. Bei den Neichstagswahlen
von 1890 trat der eigentliche Protest mehr in den
Hintergrund, und außer 8 Klerikalen, 2 Autonomisten
und 1 Socialdemokraten wurden auch 4 deutsch-
gesinnte Abgeordnete gewählt, die sich verschiedenen