Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

142

Englisches Schul- und Universitätswesen

Schulzwang in ihrem Bezirk einzuführen. Ein Gesetz von 1876 gab für die Bezirke, in welchen keine School Boards vorhanden sind, die gleichen Befugnisse den School Attendance Committees. Ein 1880 erlassenes Gesetz legt endlich allen School Boards und School Attendance Committees die Verpflichtung auf, Bestimmungen über die allgemeine Schulpflicht zu erlassen und für ihre Ausführung zu sorgen, sodaß jetzt der Schulzwang allgemein ist.

Gewerbeschulen (Technical Schools) waren früher teilweise Privatanstalten, teilweise wurden sie von Vereinen und Körperschaften errichtet. Namentlich haben die großen Londoner Zünfte (City Companies) große Summen für die Errichtung und Unterstützung derartiger Schulen hingegeben. Die vorzügliche City of London Guilds School in South Kensington ist z. B. die Frucht dieser Bemühungen. Neuerdings hat man aber auch gesucht, die Errichtung von Gewerbeschulen aus öffentlichen Mitteln zu befördern, und zu diesem Zwecke wurden die Technical Instruction Acts von 1889 und 1891 erlassen. Diese Gesetze ermächtigen in den Landkreisen die County Councils, in den größern Städten die Borough Councils und in den kleinern Städten die seit 1894 als Urban District Councils bezeichneten Urban Sanitary Authorities (s. Health Acts), derartige Schulen zu errichten oder zu unterstützen, jedoch unter denselben Beschränkungen in Bezug auf Erteilung des Religionsunterrichts wie in den Board Schools. Im übrigen sind die meistens aus Privatspekulation hervorgegangenen Schulen, in welchen die bessere Klasse von Handwerkern, die Kleinkaufleute und stellenweise auch Großkaufleute erzogen werden, diejenigen, welche mehr als alle andern von der Gesetzgebung vernachlässigt worden sind und bei dem Mangel an Kontrolle und bei der Abwesenheit jeder Vorschrift über die Qualifikation der Lehrer wenig Garantie für geistige und sittliche Förderung bieten. Noch schlimmer steht es mit den Mädchenschulen gleicher Gattung.

Die Schulen, in welchen Unterricht in den klassischen Sprachen erteilt wird, und welche in England nicht nur von solchen Schülern besucht werden, die sich einem gelehrten Berufe widmen wollen, sondern überhaupt von allen, welche zu den höhern Gesellschaftskreisen in Beziehung stehen, sind fast ausschließlich Stiftungsschulen und stammen meistens aus der Mitte des 16. Jahrh. Den ersten Anstoß zur ausgedehnten Begründung solcher Schulen gab der Humanist Colet, Domdechant an der Paulskirche in London, der aus seinen eigenen Mitteln die noch heute hervorragende Paulsschule errichtete. Zur Reorganisation dieser in trocknen Formalismus und Abschließung der jungen Wissenschaften versunkenen sog. Grammar Schools wurde zunächst 1840 ein Gesetz erlassen. Die eingreifendste Reform begann indessen kurz nach 1860. Zunächst handelte es sich um die sog. Public Schools, die größten unter den klassischen Schulen, in welchen die Söhne des Adels und der höhern Stände ihre Erziehung erhalten. 1861 wurde eine Enquetekommission eingesetzt, welche die Schulen von Eton, Winchester, Westminster, Charterhouse, Harrow, Rugby und Shrewsbury untersuchen sollte. Das Resultat dieser Untersuchung war die Public Schools Act von 1868 und die sich an dieselbe anschließenden Gesetze, infolge welcher alle diese Anstalten unter neuen Kuratorien (Governing Bodies) reorganisiert wurden. 1864 wurde eine zweite Kommission eingesetzt, welche über die andern Stiftungsschulen zu berichten hatte und deren Vorschläge den Erlaß der Endowed School Act von 1869 bewirkten, welcher sich später weitere Gesetze anschlossen. Während man den erwähnten größern Schulen selbständige Aufsichtsbehörden gelassen hatte, um jeder derselben ihre Eigenart möglichst zu erhalten, hat man die Reorganisation der andern einer Centralbehörde, den Charity Commissioners übergeben. Auch sind umfassende Bestimmungen getroffen worden, um bei konfessionellen Schulen den Schülern, die einer andern religiösen Gemeinschaft angehören, den Besuch zu ermöglichen. Nur in Bezug auf Schulen, die mit einer Kathedrale im Zusammenhang stehen, ist eine Ausnahme gemacht worden. Die höhere Erziehung in England ist infolge der kühnen Mißachtung der Stiftungsbestimmungen in weit lebhaftere Beziehungen zu dem thätigen Leben der Gegenwart gekommen und das Ansehen des Lehrerstandes hat dabei nicht gelitten, ebensowenig die Pietät der Schüler gegen die Anstalt, welcher sie angehören, die noch bis in die spätern Lebensjahre erhalten bleibt und zu den charakteristischsten Eigentümlichkeiten des engl. Lebens gehört.

Auch für die höhere Mädchenerziehung wird neuerdings in England viel gethan, doch hat der Staat in dieser Beziehung noch nicht eingegriffen.

Universitätswesen. Der Hauptunterschied zwischen den engl. und kontinentalen Universitäten ist der, daß diese obligatorische Vorbereitungsanstalten für die gelehrten Berufsarten sind, jene aber hauptsächlich dem Erwerb allgemeiner Bildung dienen. Es giebt in England zahlreiche Geistliche, Juristen, Ärzte und Lehrer an höhern Lehranstalten, die nie eine Universität besucht haben. Der Besuch der Universität hebt aber die sociale Stellung und das Ansehen, und diejenigen, welche die höhern Stufen ihres Berufs erreichen wollen, und ebenso diejenigen, welche keinen gelehrten Beruf ergreifen, sich aber in den höhern Gesellschaftskreisen bewegen, besuchen stets die Universität, und zwar meistens Oxford oder Cambridge (s. d.). Diese im 12. Jahrh. begründeten Mittelpunkte akademischer Gelehrsamkeit sind in allen ihren Einrichtungen verschieden von den im Laufe dieses Jahrhunderts errichteten Universitäten: Durham (1832), University of London (1836) und Victoria University (1880), namentlich von den beiden letztern. Oxford und Cambridge sind neuerdings in vielen Beziehungen reorganisiert worden, namentlich ist 1871 die letzte Beschränkung in Bezug auf den Erwerb akademischer Würden durch Personen, welche nicht zur anglikan. Kirche gehören, beseitigt und seit 1877 dafür gesorgt worden, daß die Einkünfte der Colleges für die Lehrzwecke der Universität verwandt werden. Die Veranstaltung der sog. Local Examinations an vielen Plätzen Englands im Auftrage der beiden Universitäten und Erteilung von Diplomen, welche namentlich für die weiblichen Kandidaten, die sich dem Lehrfach widmen, sehr nützlich sind, ist ein weiteres Zeichen neuer Thätigkeit, ebenso die University Extension Lectures, Vorlesungen, welche ebenfalls von Delegierten der Universitäten im ganzen Lande abgehalten werden und dazu bestimmt sind, die Klassen, welchen der Universitätsbesuch unmöglich ist, mit dem Geiste akademischer Lehrmethoden in Berührung zu bringen.

Die University of London ist nur Prüfungsbehörde und Anstalt für die Verleihung akademischer Würden, die jedermann zugänglich sind, der die