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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Finnische Sprache und Litteratur

Umlaute), sondern auch drei Doppelvokale und dreizehn Diphthonge. Keine Silbe darf mit zwei Konsonanten anfangen, aber auch nie mit mehr als zwei endigen. Harte (a o u) und weiche (ä ö ü) Vokale kommen in ein und demselben Worte nie zusammen vor. Nach dem durchgreifenden Gesetze der Vokalharmonie müssen daher auch die Vokale der Beugungsformen sich den harten oder weichen Vokalen des Stammwortes anbequemen. Der Hauptaccent liegt im Finnischen immer auf der ersten Silbe des Wortes, ein schwächerer aber auch auf jeder unpaarigen Silbe. Alle Abwandlung erfolgt nie durch Präfixe, sondern nur durch Suffixe. Die Deklination bietet einen eigentümlichen Formenreichtum. Es giebt 15 verschiedene Casus, von denen drei (Nominativ, Partitiv und Accusativ) zur Bezeichnung der Subjekts- und Objektsverhältnisse dienen, während die übrigen im Deutschen nur mit Hilfe der Präpositionen (bei, zu, von, in [dem], in [den], auf, als [etwas sein], zu [etwas werden], ohne, zusammen, mit, entlang) wiedergegeben werden können. Außerdem können durch diese Casusformen auch noch andere Verhältnisse, wie der Zeit, der Ursache u. s. w., angedeutet werden. Dagegen kennt das finn. Nomen keinen Unterschied des Geschlechts. Das possessive Pronomen wird durch Suffixe bezeichnet. Die Abwandlungsfähigkeit der Verbalstämme ist außerordentlich groß, indem von denselben für die feinsten Bedeutungsschattierungen des ursprünglichen Begriffs (z. B. Faktitiva, Iterativa u. s. w.) sich auch verschiedene Verbalformen bilden lassen, die sämtlich wieder durch jeden Modus oder jedes Tempus durchkonjugiert werden, ohne in den Endungen je zusammenzufallen. Das Schema der Verbalflexion dagegen selbst ist verhältnismäßig nur wenig entwickelt. - Die finn. Sprache zerfällt in zwei Hauptdialekte, den tawastischen (Westfinnisch) und den karelischen (Ostfinnisch). Dem ersten schließen sich an die Liven, die Tschuden (Wepsen), die Woten, die Esthen, die Südwestfinnen (um Åbo), die Tawaster und großenteils die finn. Bewohner am Bottnischen Meerbusen, dem letztern teilweise die Österbottnier, die Sawolaxer, die eigentlichen Karelier sowohl im Großfürstentum wie außerhalb desselben und die meisten Bewohner Ingermanlands. Zur Schriftsprache wurde zuerst das Westfinnische erhoben, welches jedoch in neuerer Zeit sehr stark von dem reichern Ostfinnischen beeinflußt worden ist.

Um die wissenschaftliche Erforschung der finn. Sprache und ihrer verwandten Zweige haben sich in neuerer Zeit besonders Sjögren, Castrén, Lönnrot, Kellgren, Ahlqvist, Donner, Krohn, Genetz, Setälä in Finland, Schiefner, Wiedemann, Hurt in Rußland, von der Gabelentz, Schott und Boller in Deutschland, Reguly, Hunfalvy, Budenz u. a. in Ungarn, Thomsen in Dänemark verdient gemacht. Lexikalisch wurde das Finnische am besten bearbeitet von Renwall (finn.-lat.-deutsch, 2 Bde., Åbo 1826), Rothsten (lat.-finn., Helsingf. 1864), Godenhjelm (deutsch-finn., ebd.), Ahlmann (schwed.-finn., ebd. 1874), Meurman (franz.-finn., 1877), Lönnrot (finn.-schwed., 2 Bde., ebd. 1866-80), Geitlin (finn.-lat., ebd. 1883) und Erwast (finn.-deutsch, 1888). Grammatiken von Eurén (Åbo 1849 u. ö.), Jahnsson (Helsingf. 1871), Genetz (Laut- und Formenlehre, 1881) und Setälä (Syntax, 1884); Wellewill, Praktische Grammatik der finn. Sprache (Wien 1890); Eliot, A Finnish Grammar (Oxf. 1890).

Der Wert der finnischen Litteratur besteht in dem reichen Schatze einer schönen und durchaus nationalen Volkspoesie, die erst in neuerer Zeit gehoben wurde und überall verdiente Beachtung gefunden hat. Die ursprünglichen finn. Volkslieder oder Runo (in der Mehrzahl Runot) haben als Versmaß nur den vierfüßigen Trochäus ohne irgend eine rhythmische Einteilung. Der Endreim kommt selten vor; dagegen ist der Stabreim (Allitteration) durchgängig Regel. Dazu kommt noch als poet. Schmuck der Gedankenreim (Parallelismus). Diese Runo werden von eigenen Sängern (Runolaulajat) nach einer einförmigen Melodie unter Begleitung der Kantele (s. d.) vorgetragen. Außer diesen teils mythisch-epischen, teils lyrischen Volksgesängen giebt es auch noch eigentümliche Zaubergesänge, bei denen der Vortragende zuletzt oft in Verzückungen gerät. Diese uralte, durch mündliche Tradition fortgepflanzte Volkspoesie erlischt immer mehr und hat sich im Großfürstentum Finland nur noch in den östlichsten Grenzgegenden, namentlich aber unter den Finnen der angrenzenden russ. Gouvernements lebendig erhalten. Man kannte davon nur einzelne Lieder, die seit den Zeiten Porthans (gest. 1804) von Schröter, Topelius, von Becker und Lönnrot bekannt gemacht worden waren, bis endlich der letztgenannte die von ihm gesammelten Bruchstücke zu einem Ganzen ordnete und (zuerst 1835, dann fast um das Doppelte vermehrt 1849) u. d. T. "Kalewala" als nationales Epos des finn. Volks veröffentlichte. (S. Kalewala.) Gleichzeitig gab Lönnrot noch heraus: "Kanteletar (neue Aufl., Helsingf. 1864), eine Sammlung von 592 alten lyrischen Dichtungen und 50 alten Balladen (deutsch von H. Paul, ebd. 1882); die "Suomen kansan sanalaskuja" (ebd. 1842), ein Schatz von 7077 volkstümlichen Sprichwörtern, und "Suomen kansan arwoituksia" (2. Aufl., ebd. 1851), eine Sammlung von 2188 Rätseln, sowie "Loitsurunoja" (1880), Zaubersprüche. Hierzu kam noch die von Cero Salmelainen besorgte Sammlung prosaischer Volkssagen und Märchen ("Suomen kansan satuja ja tarinoita", 4 Bde., Helsingf. 1854-62; eine Auswahl ins Deutsche übertragen: "Finn. Märchen" von E. Schreck, Weim. 1887). Eine wissenschaftlich geordnete Sammlung besorgt die Finnländische Litteratur-Gesellschaft u. d. T. " Suomalaisia Kansansatuja" (1. Tl. "Eläinsatuja", Tierfabeln, bearbeitet von K. Krohn, Helsingf. 1886).

Die prosaische Litteratur der Finnen unter der Herrschaft der Schweden hat nur wenig von nationaler Bedeutung aufzuweisen. Das erste Buch in finn. Sprache wurde bereits 1544 zu Åbo gedruckt. Es hatte Mich. Agricola zum Verfasser, der auch schon das Neue Testament (Stockh. 1548) sowie einen Teil des Alten Testaments (1552) übersetzte. Eine vollständige finn. Bibel erschien erst 1642 in Stockholm. Alle übrigen Drucke jener Zeit sind fast nur Erbauungsschriften für das Volk, in mehr oder minder unreiner Sprache abgefaßt. Erst im 19. Jahrh. hat auch die finn. Sprache Ansehen erlangt, sodaß sie jetzt neben dem schwedischen als amtliche anerkannt ist und der Unterricht, selbst in gelehrten Schulen und in der Universität, mehr und mehr in ihr erteilt wird. Auch hat sich bereits eine eigene moderne Litteratur zu entwickeln begonnen. Anfangs wurden in gereinigtem Finnisch Volksschriften verschiedener Art, wie von Judén, Becker, Lönnrot u. a., veröffentlicht, bald aber auch Dar-^[folgende Seite]