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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1830-48)

erbitterung war dadurch nicht beschwichtigt. Vereine mit republikanischer Tendenz, an deren Spitze der ältere Cavaignac und Marrast sich damals zuerst bemerkbar machten, zeigten, daß die Feinde der neuen Regierung unermüdlich auf deren Umsturz bedacht waren. Lyon gab das Signal zum blutigen Aufstand (9. April 1834), dem wenige Tage später, 13. April, eine Empörung in Paris folgte.

Unter diesen Umständen war ein Zusammenwirken aller erhaltenden Faktoren dringend nötig. Ein solches bestand zwar zwischen der Kammermehrheit und dem Ministerium, worin Broglie, Guizot und Thiers dominierten; aber der König, eifersüchtig auf dieses, intrigierte gegen seine eigenen Räte. Dies erzeugte eine Unsicherheit in der Regierung, die zu häufigen Krisen führte. Im Juli nahm Soult seinen Rücktritt und erhielt in Gerard einen Nachfolger. Schon im Oktober schied auch dieser und mit ihm der größte Teil des Ministeriums aus. Diesem folgte, nach einem viertägigen Ministerium unter Maret, wieder (18. Nov.) ein vorwiegend doktrinäres unter Marschall Mortiers Vorsitz, worin Guizot, Thiers und Duchatel die wichtigsten Stellen einnahmen. Schon 20. Febr. 1835 nahm auch Mortier seine Entlassung, und 12. März kam dann unter Broglies Vorsitz die Wiederherstellung des alten Kabinetts vom 11. Okt. 1832 zu stande.

Bei einer Heerschau, die der König 28. Juli 1835 hielt, machte der Corse Fieschi (s. d.) mittels einer Höllenmaschine ein Attentat auf den König, das 18 Personen tötete, ihn selbst nur leicht verletzte; die radikale Partei war dabei nicht ohne einige moralische Mitschuld. Die Regierung glaubte den Augenblick zur Durchdringung von drei Gesetzen günstig, die dem Treiben jener Einhalt thun sollten: eins war gegen die Presse gerichtet, ein zweites bestimmte, daß die Geschwornen fortan schon mit einfacher Majorität statt der bisherigen Zweidrittelmehrheit schuldig sprechen könnten, und ein drittes erweiterte die Verhängung der Strafe in contumaciam (Septembergesetze). Folge war nur, daß sich die radikale Opposition in das Dunkel zahlloser Geheimbünde zurückzog, während die konservative Mehrheit zerfiel. Ein Konflikt mit der Kammer über die Rentenkonversion brachte das Kabinett zu Fall. Es ward 22. Febr. 1836 durch ein Ministerium aus der dem linken Centrum zugeneigten Fraktion (Tiers-parti, s. d.) ersetzt, in dem Thiers den Vorsitz und die auswärtigen Angelegenheiten übernahm. Das neue Ministerium suchte namentlich nach außen eine Politik durchzuführen, die den franz. Neigungen mehr entsprach; besonders wollte Thiers den König zum Eingreifen gegen die Karlisten in Spanien bewegen, scheiterte aber am Widerwillen desselben und nahm 25. Aug. 1836 mit seinen Kollegen seine Entlassung. Ein neues Ministerium unter des gefügigen Molé Vorsitz ward 7. Sept. 1836 gebildet, und damit hatte Ludwig endlich das "gouvernement personnel" erreicht. Um es in Gunst zu bringen, erließ er eine beschränkte Amnestie gegen polit. Gefangene, unter andern gegen die Exminister Karls X. Am 30. Okt. 1836 machte Louis Napoleon (s. Napoleon III.) in Straßburg einen Versuch zur Wiederherstellung des Kaisertums. Das Unternehmen mißglückte jedoch ebenso wie das Attentat, das bei der Eröffnung der Kammern (27. Dez. 1836) von einem Arbeiter, Namens Meunier, auf den König gemacht wurde. Wenn aber das königl. Ministerium auch dieses Attentat zu neuen Einschränkungen ausnützen wollte, so ging es fehl. Die Loi de disjonction, ein Gesetz, das bei Verbrechen, die von Militär- und Civilpersonen zugleich verübt würden, die Gerichtsbarkeit für beide trennen wollte, wurde samt dem Deportationsgesetz gegen solche, die um ein Komplott gegen den König gewußt und darüber geschwiegen hätten, von der Kammer verworfen. Das Ministerium mußte zum Teil erneuert werden. Guizot, Gasparin, Persil und Duchatel wurden durch Montalivet, Salvandy, Lacave-Laplagne und Barthe ersetzt (15. April 1837). In der Hoffnung, in einer neuen Kammer mehr Unterstützung zu finden, erfolgte die Auflösung der alten im Okt. 1837.

Aber die Neuwahlen verschafften der Regierung nur eine geringe Majorität, und das Ministerium vom 15. April hatte in der zu Ende 1837 eröffneten Session einen schlimmen Stand. Seine Gesetzvorlagen in betreff der Rentenreduktion und der Eisenbahnen wurden verworfen. In der Deputiertenkammer trat 1838 eine Koalition der Doktrinärs, des tiers-parti und der Linken geschlossen auf und nötigte das Kabinett Molé, trotz einer neuen Kammerauflösung, die nur eine Verstärkung der liberalen Partei zur Folge hatte, zum Rücktritt (8. März 1839). Ein neues Kabinett zu stande zu bringen, schien jetzt fast unmöglich. Man mußte sich seit 1. April 1830 mit einer provisorischen Verwaltung behelfen, bis 12. Mai 1839 unter Soults Vorsitz ein Ministerium gebildet wurde. Diesem folgte aber schon 1. März 1840 infolge der Verwerfung eines Gesetzvorschlags über die Dotation des Herzogs von Nemours wieder ein neues von Thiers gebildetes Kabinett, aber obwohl dieses überwiegend dem linken Centrum angehörte, blieben doch die Hoffnungen derer unerfüllt, die eine Aufhebung der Septembergesetze von 1835, eine Erweiterung des Wahlrechts und ähnliche Konzessionen erwarteten. Thiers veranstaltete, mit Zustimmung der engl. Regierung, die Zurückführung der Überreste Napoleons von St. Helena nach Paris, wo sie 10. Dez. 1840 im Invalidendom beigesetzt wurden. Nach außen suchte er eine kräftige Politik durchzuführen. Beim Ausbruch der orient. Wirren (s. Ägypten, Bd. 1, S. 248 b, und Osmanisches Reich) verwarf er die Vergleichsvorschläge Englands und der deutschen Großmächte, beschleunigte dadurch aber nur den Abschluß des Quadrupelvertrags, den die vier Großmächte ohne Zuziehung des franz. Gesandten (Guizot) 15. Juli 1840 in London unterzeichneten. Die Bekanntmachung desselben entfesselte in F. die alten Kriegsgelüste, in die das Ministerium durch lärmende Rüstungen, drohende Kundgebungen und den Plan einer Befestigung von Paris bereitwillig einstimmte. Inmitten dieser Aufregung suchte Louis Napoleon ein zweites Komplott auszuführen, indem er 6. Aug. mit einigen Anhängern bei Boulogne landete und die Soldaten einer Kaserne vergebens zum Abfall zu verführen suchte. (S. Napoleon III.) Er wurde gefangen, von dem Pairshof zu lebenslänglicher Haft verurteilt und nach Ham gebracht. Inzwischen war aber das Kabinett Thiers 21. Okt. gefallen, weil sich der König dessen Wünschen, den Julivertrag der Mächte zu verwerfen und von den Kammern Mittel zu ausgedehnten Rüstungen zu fordern, verschloß. Das neue Ministerium, 29. Okt. 1840 gebildet, stand wieder unter Soults Präsidium und erhielt sich in seinen Hauptpersonen