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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1852-70)

nach dem Abzug der Franzosen ein besonderes Odium verlieh. Napoleon suchte den ungünstigen Eindruck durch einen leichten diplomat. Triumph zu verwischen, und von den Verwicklungen zwischen Preußen und Österreich in der schlesw.-holstein. Frage Vorteil zu ziehen. Er unterstützte Bismarcks Politik, ließ Mai 1866 durch seinen Gesandten Grafen Benedetti in Berlin einen europ. Kongreß in Vorschlag bringen und deutete in einem Gespräch mit dem preuß. Gesandten in Paris auf die Rheinlinie als eine wünschenswerte Entschädigung für F. hin. Als man dies in Berlin ablehnte, änderte Napoleon sein Begehren, indem er die Wiederherstellung eines deutschen Rheinbundes kleiner Fürsten an der Grenze F.s vorschlug, wenn Preußen auf dem Kongreß Schleswig-Holstein zugesprochen würde. Aber es sollte zu einem solchen Kongreß nicht kommen. Österreich faßte den Krieg fest ins Auge und verhandelte mit Napoleon III. über einen Vertrag, der 12. Juni zu stande kam. Napoleon sollte danach von Österreich Venetien erhalten, um dies unter der Bedingung an Italien zu überlassen, daß dort die weltliche Herrschaft des Papstes und die Unverletzlichkeit der ihm noch unterworfenen Gebiete anerkannt und in dem Kriege zwischen Preußen und Österreich Neutralität beobachtet werde. Auch Napoleon verpflichtete sich neutral zu bleiben und eine Schadloshaltung Österreichs auf Preußens Kosten (Schlesien) gutzuheißen, wofür Österreich F. eine entscheidende Stimme bei jeder Neugestaltung der deutschen Verhältnisse (event. Kompensationen) zugestand.

Der rasche Verlauf des Deutschen Krieges von 1866 überraschte in Paris um so mehr, als man auf ein langwieriges und wechselvolles Ringen gerechnet hatte. Am 4. Juli, am Tage nach der Schlacht bei Königgrätz, erfolgte die Abtretung Venetiens an Napoleon III.; aber die Hoffnung, von dem siegreichen und sich vergrößernden Preußen "Kompensationen" zu erlangen, schlug fehl. Wohl hatte Preußen die franz. Vermittlerrolle angenommen und daraufhin Frieden mit Österreich geschlossen. Als jedoch hinterher der franz. Gesandte Benedetti 5. Aug. Bismarck einen Entschädigungsplan überreichte und für F. die Grenze von 1814, Rheinbayern und Rheinhessen nebst Mainz und die Aufhebung des preuß. Besatzungsrechts in Luxemburg forderte, antwortete der preuß. Minister in bestimmter Form, wenn die Ablehnung dieser Ansprüche ein Kriegsfall wäre, so würde Preußen Krieg führen. Auf diesen Bescheid erklärte Napoleon angesichts der schlechten Armeeverhältnisse, der ganze Antrag sei ein Mißverständnis gewesen, in das er während seiner Krankheit durch Drouyn de l'Huys verwickelt worden sei. Dieser trat 1. Sept. zurück und wurde durch den Gesandten in Konstantinopel, Marquis de Moustier, ersetzt. Ende 1866 bethätigten sich zum letztenmal die Sympathien Napoleons III. für die Neugestaltung Italiens. Der franz. General Leboeuf übernahm als kaiserl. Kommissar Venetien von dem österr. Militärkommando 19. Okt., um es sofort den eigenen Municipalbehörden zu überliefern und die Vereinigung mit dem Königreich Italien anzubahnen. Auch räumten die franz. Truppen bis Mitte Dezember Rom und den Kirchenstaat.

Um aber doch noch eine "Kompensation" an der deutschen Grenze zu erwerben und dem populären Rufe "Revanche pour Sadowa" wenigstens in etwas gerecht zu werden, unterhandelte Napoleon mit König Wilhelm III. von Holland wegen Ankaufs des Großherzogtums Luxemburg. Kurz vor Unterzeichnung des Kaufvertrags zeigten jedoch die Erklärungen Bismarcks im Norddeutschen Reichstage, daß dort von einer Zulassung der beabsichtigten Abtretung nicht die Rede sein könnte. Sonach hielt Napoleon III. es geraten, auch jetzt wieder nachzugeben; eine franz. Cirkulardepesche erklärte, daß man auf die Erwerbung Luxemburgs verzichten wolle, wenn Preußen seinerseits das Besatzungsrecht daselbst aufgebe. Eine Londoner Konferenz vereinbarte den Vertrag vom 11. Mai 1867, der das Großherzogtum für immer neutralisierte.

Diese wiederholten Niederlagen der auswärtigen Politik wirkten auf die innern Verhältnisse zurück. Die Opposition nahm an Bedeutung und Umfang zu. Zunächst griff Napoleon III. zu Repressivmaßregeln: ein Senatskonsult vom 16. Juli 1866 untersagte jede Diskussion der Verfassung außer durch den Senat und beschränkte die Befugnis des Gesetzgebenden Körpers auf die Verbesserung von Regierungsvorlagen. Bald darauf aber verstand sich Napoleon III. zu einigen liberalen Konzessionen. Ein kaiserl. Brief an Rouher vom 19. Jan. 1867 schaffte zwar die Adreßdebatte ab, ließ aber ein Interpellationsrecht zu. Die seit 1852 beseitigte Rednertribüne im Gesetzgebenden Körper wurde wieder aufgerichtet und die baldige Vorlage neuer Gesetze über die Presse und das Vereinsrecht versprochen. Dieses Dekret zog eine teilweise Änderung des Ministeriums nach sich, in das Niel als Kriegsminister eintrat; doch Rouher (der sog. "Vicekaiser") blieb in Amt und Einfluß. Die Reorganisation der Armee wurde mit aller Macht betrieben. Das dem Gesetzgebenden Körper vorgelegte Gesetz sollte durch neunjährige allgemeine Dienstpflicht (5 bei der Fahne) eine Feldarmee von 800000 Mann und zum Schutz der Festungen und Städte eine mobile Nationalgarde von 400000 Mann schaffen. Gleichzeitig betrieb Niel mit rastloser Energie die Umwandlung der Infanteriegewehre nach dem verbesserten System Chassepot. Der Sommer 1867 verlief im festlichen Glanze der zweiten Pariser Welt-Industrieausstellung. Im Herbst 1867 ließ die ital. Nationalpartei durch Garibaldi sich zu einem Angriff auf Rom fortreißen. Daher ging 26. Okt. ein franz. Geschwader mit Landungstruppen unter General de Failly von Toulon in See, und 30. Okt. rückten die ersten franz. Bataillone wieder in Rom ein. Am 3. Nov. kam es bei Mentana zu einem blutigen Gefecht zwischen den Freischaren Garibaldis und den päpstl. Truppen; letztere waren in Gefahr zu unterliegen, als die Franzosen ihnen zu Hilfe kamen und den Ausschlag gaben. Nachdem die päpstl. Autorität im Kirchenstaat wiederhergestellt war, kehrte ein Teil des franz. Expeditionskorps nach F. zurück; doch blieben einige Truppen in Civitavecchia.

Unterdes war die kaiserl. Regierung bemüht, die Gesetzvorlage über die Armeereform durchzubringen. Am 14. Jan. ward das neue Wehrgesetz im Gesetzgebenden Körper mit 199 gegen 60 Stimmen angenommen und 1. Febr. vom Kaiser genehmigt. Auch eine Anleihe von 429 Mill. Frs., vorzugsweise zu militär. Zwecken, wurde bewilligt (28. Juli). Die neuen Gesetze über die Presse und das Versammlungsrecht kamen im Mai zu stande; sie schufen im Gegensatz zu dem bisherigen Willkürregiment wenigstens eine gesetzliche Grundlage. Die extremen Parteien benutzten die gewonnene Freiheit.