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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1873-79)

von langer Dauer zu sein, denn die Legitimisten betrieben leidenschaftlicher als je die Verschmelzung, hatten viele Orleanisten dafür gewonnen und formulierten bereits einen Antrag auf Zurückberufung des Grafen Chambord auf den Thron seiner Väter. Da aber dieser in einem Briefe an Chesnelong vom 27. Okt. eine bedingungslose Zurückberufung verlangte und weder in der Fahnenfrage (ob Trikolore oder die weiße Fahne) noch in der Verfassungsfrage zum voraus eine bindende Erklärung abgeben wollte, so zogen sich die Orleanisten zurück. Dagegen verlangte nun Mac-Mahon die Herstellung einer starken Exekutive, und die Versammlung beschloß, die Dauer der Präsidentschaft auf sieben Jahre festzusetzen.

Unter dem Broglieschen Ministerium machten der Ultramontanismus und der Bonapartismus sehr bedeutende Fortschritte. Die Hirtenbriefe der franz. Bischöfe überboten sich in Angriffen auf die Person des Deutschen Kaisers und die Reichsregierung, sodaß der Kultusminister in einem Rundschreiben vom 26. Dez. 1873 die Bischöfe zur Vorsicht ermahnte und Bismarck die franz. Regierung zur Rede stellte. Die Bonapartisten errangen bei den Ersatzwahlen mehrere günstige Erfolge und sahen sich im Besitze der meisten höhern Beamtenstellen. Nach dem 9. Jan. 1873 erfolgten Tode des Exkaisers Napoleon scharten sie sich um dessen Sohn, der 16. März 1874 in Chiselhurst die Feier seiner Großjährigkeit beging. Sie agitierten namentlich unter dem niedern Volke und warteten die günstige Gelegenheit zu einem Staatsstreiche ab.

Inzwischen war Broglie gefallen. Nachdem er die Annahme des Mairegesetzes vom 20. Jan. 1874 durchgesetzt hatte, wodurch die Ernennung der Bürgermeister vollständig in die Gewalt der Regierung gebracht ward, legte er noch ein höchst reaktionäres Senatsgesetz und ein das allgemeine Stimmrecht beschränkendes Gesetz für die Abgeordnetenwahlen vor. Doch bei der Frage, ob das Wahlgesetz sofort zur Beratung kommen solle, entschied die Versammlung gegen Broglie. Darauf nahm er 16. Mai 1874 seine Entlassung, und Kriegsminister Cissey bildete 22. Mai ein neues, gleichfalls den monarchischen Parteien entnommenes Kabinett. Die Bevorzugung der Klerikalen und Bonapartisten dauerte fort. Bei der Beratung der Gesetze über die Übertragung der Gewalten und über die Wahl und die Befugnisse des Senats kam es endlich zur Entscheidung, indem das rechte und das linke Centrum der Nationalversammlung sich vereinigten und beiden Gesetzen in einer von der Regierungsvorlage abweichenden Fassung Febr. 1875 zur Annahme verhalfen. Das eine dieser Gesetze bestimmte das Verhältnis des Präsidenten der Republik, der auf sieben Jahre gewählt werden und wieder wählbar sein sollte, zum Senat und zur Abgeordnetenkammer; das andere setzte die Zahl der Senatoren auf 300 fest, wovon 75 von der Nationalversammlung auf Lebenszeit (und bei Todesfällen deren Nachfolger durch Kooptation vom Senat), 225 von den Departements und Kolonien durch deren Abgeordnete, General- und Arrondissementsräte und Gemeindevertreter auf neun Jahre gewählt werden sollten. Auf diese Beschlüsse hin, die nicht zum Geringsten auch durch die Mäßigung der fortgeschrittenen Republikaner unter Gambetta ermöglicht worden waren, trat das Ministerium Cissey ab, und 11. März bildete Buffet, der seit 4. April 1873 Präsident der Nationalversammlung gewesen war, ein neues Kabinett. Darauf folgte 16. Juli die Annahme des Gesetzes über die Rechte der Kammern und des Präsidenten, 2. Aug. die des Wahlgesetzes für den Senat und 30. Nov. die des Gesetzes über die durch Arrondissementsabstimmung (nicht nach Listen) vorzunehmende Wahl der Abgeordneten. Die Wahl der von der Nationalversammlung zu erwählenden 75 Senatoren wurde vom 9. bis 21. Dez. in elf Abstimmungen vollzogen und hatte einen Sieg der Linken, also eine gänzliche Niederlage des Ministeriums Buffet zum Resultat.

Alles hing nun zunächst von den Neuwahlen in den Senat und die Abgeordnetenkammer ab. Sie fielen großenteils im Sinne der neuen Verfassung aus, sodaß von den 532 Abgeordneten etwa 360 als Republikaner, 170 als Monarchisten, darunter 80 als Bonapartisten galten. Im Senat hatten allerdings die Republikaner nicht die Mehrheit (149 von 300 Stimmen); aber auch die monarchistische Opposition hatte sie nicht (139), sodaß einer Gruppe des rechten Centrums die jeweilige Entscheidung zufiel. Jedenfalls bedeuteten die Wahlen eine vollständige Niederlage der Reaktionäre, am allermeisten der Klerikalen und Buffets, der selbst in keine der beiden Kammern gewählt wurde. Er gab 21. Febr. 1876 seine Entlassung ein, und 9. März wurde ein großenteils aus Männern des linken Centrums gebildetes Ministerium ernannt, dessen Chef Dufaure war. Am 7. März fand die Eröffnung der neuen Session statt, und am 13. wurden die definitiven Vorstände der beiden Kammern gewählt; im Senat Audiffret-Pasquier, in der Abgeordnetenkammer Grévy. Die Republikaner verlangten von der Regierung zunächst Entlassung aller legitimistisch oder bonapartistisch gesinnten Präfekten und Aufhebung des neuen Mairegesetzes und des Belagerungszustandes. Die Erfüllung des ersten Punktes scheiterte an dem Widerstreben Mac-Mahons; der Belagerungszustand wurde, einem in beiden Kammern angenommenen Antrag entsprechend, von der Regierung aufgehoben, sowie auch einige von Buffet willkürlich eingeführte Beschränkungen des Preßgesetzes abgeschafft. Ein von Victor Hugo und von Raspail gestellter Antrag auf Erlaß einer allgemeinen Amnestie für politische und Preßvergehen wurde mit großer Mehrheit verworfen. Das von dem Unterrichtsminister Waddington vorgelegte Gesetz, wonach das 1875 angenommene Unterrichtsgesetz dahin abgeändert werden sollte, daß künftig die Verleihung der akademischen Grade nur dem Staate zustehen solle, wurde von der Abgeordnetenkammer 7. Juni bestätigt, aber vom Senat 11. Aug. abgelehnt. Das Mairegesetz von 1874 ward von den Abgeordneten am 11. Juli aufgehoben und die Wahl der Bürgermeister wieder den Gemeinden überlassen mit Ausnahme der Hauptorte der Arrondissements und Kantone, in denen sie von der Regierung abhängig blieb. Zugleich sollte vor der Wahl der Bürgermeister eine Neuwahl sämtlicher Gemeinderäte vorgenommen werden. Der Senat genehmigte 11. Aug. das von der Abgeordnetenkammer beschlossene Bürgermeistergesetz, lehnte aber den letzten Zusatz ab. Die Neuwahlen der Bürgermeister wurden 8. Okt. in 33000 Gemeinden vollzogen und fielen meist in republikanischem Sinne aus. Da war es für die Regierung verhängnisvoll, daß sie eben jetzt den Rittern der Ehrenlegion, deren Beerdigung ohne kirchliche Feier erfolgte, auf Drängen der Klerikalen die Erweisung militär. Ehren